17. Sonntag nach Trinitatis

Unser Glaube ist der Sieg,
der die Welt überwunden hat.

Der erste Brief des Johannes 5, 4

Ein Freund machte mir eines Tages den Vorschlag, in dieses Wort einen
Doppelpunkt einzufügen. Etwa in dem Sinn: »Unser Glaube ist: der
Sieg, der die Welt überwunden hat.«
Warum diese Veränderung dieses Spruches (die mir übrigens zuerst
eingeleuchtet hat)? Der Freund begründete seinen Doppelpunkt so:
»Unser Glaube, das weiß doch jeder, ist in der Regel schwach, schlägt
sich ständig mit seinen Niederlagen herum. Sieh uns doch an! Geben
wir’s zu! Wenn wir von unserem Glauben, mit dem wir glauben, reden
und ihn den Sieg nennen, der die Welt überwunden hat, dann nehmen
wir den Mund so voll, dass jeder, der es hört, nur denkt: ›So siehst du
aus. Eia, wärn wir da! Das habe ich noch gar nicht gemerkt, dass dein
Glaube so gewaltig ist. Du prahlst!‹ Dass einer die Welt überwunden
hat, das können wir doch nur vom gekreuzigten und auferstandenen
Christus sagen. Und er ist ja der Inhalt und das Zentrum unseres Glaubens.
Das Wort ›Unser Glaube ist der Sieg‹ können wir nur so verstehen:
Der Inhalt unseres Glaubens, also der gekreuzigte und auferstandene
Christus selbst, ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Und
damit das deutlich wird, setzen wir am besten mitten in den Satz einen
Doppelpunkt; wir könnten auch das Wörtlein ›ist‹ weglassen und nur
sagen: Unser Glaube: der Sieg, der die Welt überwunden hat. Oder:
Unser Glaube? Wir glauben an den Sieg, der die Welt überwunden hat.
Gemeint ist: Wir glauben daran, dass Jesus Christus in seinem Sterben
und Auferstehen diese Welt überwunden hat.«
Wie nun? Der Christ in mir mit seinen täglichen Erfahrungen
stimmt der Deutung des Freundes aus Weimar zu. Der Doppelpunkt in
diesem Satz würde es nur erleichtern, diesen Satz voll Überzeugung
nachzusprechen in dem Sinn: Ja, auch wenn unser Glaube oft genug
schwach und kümmerlich ist, wir glauben doch daran, dass Jesus Christus
diese Welt überwunden hat, dass er stärker ist als die Kräfte, die diese
Welt bestimmen: Sünde, Tod und Teufel. Dass er stärker ist als das Unrecht
und der Unsinn, mit denen wir Menschen diese Erde füllen, als
Arroganz und Heuchelei, als die Dummheit, die uns Menschen niederhält,
und als die immense Trägheit und Schwäche, mit denen unser
Fleisch behaftet ist. Das alles hat Jesus in seinem Erdenleben und besonders
an seinem Kreuz ertragen. Und er hat es überwunden durch seine
heilige Liebe. Je entschiedener wir auf ihn blicken, desto weniger
kann uns alles anhaben, desto weniger können diese Kräfte uns niederdrücken
und vergiften. Es ist wie bei der merkwürdigen Erzählung vom
Volk Israel in der Wüste und den Schlangen (4.Mose 21,4–9): Das
Volk gerät in ein Schlangental. Immer mehr Frauen und Männer werden
von den Giftschlangen gebissen. Nun richtet Mose die eherne
Schlange, ein Symbol des Sieges über die Schlangen, auf. Jeder, dem es
gelingt, von seinen Schlangenbissen und von neu auf ihn eindringenden
Schlangen weg allein auf die eherne Schlange zu blicken, wird immun
gegen das Gift der Schlangen, die ihn gebissen haben oder bedrohen.
Das klingt gut. Und die Geschichte von den Schlangen und der
ehernen Schlange, dem Sieges- und Heilungssymbol, hat manchen
Anknüpfungspunkt zu Vorgängen, die nicht wenige von uns so ähnlich
auch schon erlebt haben. Wer auf seine Verletzungen und Gefährdungen
fixiert ist, der wird nie frei davon. Es geht um die Freiheit,
von beidem wegzusehen auf den Christus, der beides besiegt hat und
der uns von allem, was uns im Innersten kaputtmacht, heilt.
Jedoch, so schön der Doppelpunkt zum Verständnis dieses Wortes
ist, wir müssen jeden Satz der Bibel aus seinem Zusammenhang verstehen.
Im Zusammenhang klingt die Stelle 1. Johannes 5,4 so: »Alles,
was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube
ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.« Unser Glaube ist »von
Gott geboren«, ist die Gabe des Heiligen Geistes an uns. Deutlich
wird das im Johannes-Prolog mit folgenden Worten ausgedrückt:
»Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder
zu werden, die an seinen Namen glauben, welche nicht vom Willen
des Fleisches noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott
geboren sind« (Joh 1,12.13).
Folglich sagt der Verfasser des 1.Johannesbriefes – nehmen wir an,
es war der alte Presbyter Johannes, der aus langer Erfahrung über
Gott und die Welt und unseren Glauben nachdenkt, dass tatsächlich
der Glaube in uns, den uns Gott gegeben hat, der aus seinem Geist
geboren wurde, der folglich das Göttliche in uns ist, der Sieg ist, der
die Kräfte dieser Welt bereits überwunden hat.
So stark kann freilich nur ein Glaube sein, der ganz allein auf den
gekreuzigten und auferstandenen Christus bezogen ist. Der aus ihm
lebt, der uns mit ihm ganz eng verbindet, so dass wir tatsächlich mit
Paulus sagen können: »Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus
lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben
an den Sohn Gottes, der mich geliebt und der sich selbst für mich
dahingegeben hat« (Gal 2,20).
Wir sollten wohl doch nicht so ganz gering von unserem eigenen
Glauben denken. Er ist Gottes Gabe, mehr noch: er ist aus Gott geboren,
riskant gesagt: er ist der Christus in uns.
Unser Glaube ist freilich nicht verrechenbar mit dem, was wir an
uns selbst oder was andere an uns feststellen. Er ist seinem ganzen
Wesen nach unsichtbar. Aber er hat Kräfte, die wir noch viel zu wenig
an uns wahrgenommen haben: Christus-Kräfte, Überwinderkräfte.
Vielleicht ist uns dieses Wort gegeben, damit wir als Christen
selbstbewusster werden. Damit wir beginnen, auch an unseren eigenen
Glauben zu glauben. Es ist damit zu rechnen, dass er sich auf die
Dauer sehr vital erweisen wird, dass er uns widerstandskräftig macht
gegen alle die Kräfte, die sich in dieser Welt so ungebührlich aufspielen:
gegen den Unglauben, gegen die Resignation, gegen jenen Pendelschlag
von himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, in den
wir immer wieder hineingezerrt werden. Unser Glaube, den Gott in
uns geboren hat und den er in uns erhält als unser Kostbarstes, unser
Vitalstes, wird uns leiten und immer neu aufrichten, wenn wir am
Boden liegen. Er macht uns zu Stehaufmännern und Stehauffrauen.
Er wird uns immer wieder das Selbstbewusstsein geben, das ein Christ
braucht, um in dieser Welt unbeirrt seinen Weg gehen zu können.
Er wird uns auch im Sterben helfen. Wenn alle Begabungen und
Kräfte des Leibes, Geistes und der Seele uns verlassen und wir nur noch
die Summe unserer Defizite sein werden, wird unser Glaube festbleiben.
Er hat einen unzerstörbaren Charakter, weil Christus für ihn einsteht,
und er wird sich als das Wertvollste und Vitalste, als Kern des ewigen Lebens
in uns erweisen. Wir oft so verzagten Christen dürfen es uns sagen
lassen: »Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.«

Wegworte zum Herunterladen: 51_17.So.n.Trinitatis (pdf)