11. Sonntag nach Trinitatis
Gott widersteht den Hoffärtigen,
aber den Demütigen gibt er Gnade.
Der erste Brief des Petrus 5, 5
Ich nehme ruhig das stärkere Wort »die Hoffärtigen«, das in der älteren
Luther-Übersetzung steht, und nicht das schwächere Wort »die
Hochmütigen«. Hoffärtig, das Wort erinnert an Leute, die sich nichts
sagen lassen, die immer gleich hochfahren, wenn einer sie anfragt, kritisiert,
mit ihnen ein ernstes Wort reden will.
Der Begriff weist aber zuerst auf unsere Haltung vor Gott. Wenn
ich meine, bestehen zu können mit meinem Leben, wenn ich von mir
meine, ich hätte nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, wenn
ich mir meiner eigenen guten Motive gewiss bin, wenn ich mich zur
»Koalition der Anständigen« zähle und meine, Gott, der mich kennt,
müsse mich auch dazu zählen, wenn ich die certitudo, die Gewissheit
des Glaubens, die auf Gottes grundlegende Barmherzigkeit hofft, vertausche
mit der securitas, der Sicherheit, die sich auf das eigene
Rechtsein, den eigenen guten Willen verlässt, wenn ich im Grund den
Jüngsten Tag vorwegnehme und mein eigener Anwalt, Richter, Rechtfertiger
bin, dann bin ich ein vor Gott und den Menschen hoffärtiger
Mensch.
Besonders unser oft so banales Insistieren darauf, dass wir doch jedenfalls
den besten Willen hätten, sollten wir hinterfragen. Wer kennt
sich selbst? Bin ich mein eigener Herzenskünder? Hans Küng erzählte
einmal von einem Gespräch mit dem alten Karl Barth. Sie stritten
sich über irgendeine Frage. Küng sagte beiläufig: »Den guten Willen
will ich Ihnen ja wirklich nicht absprechen, aber …«, da unterbrach
ihn Barth und fragte: »Wirklich? Sind Sie sich da so sicher, dass mein
Wille gut ist? Ich habe da so meine Zweifel.« Nun möchte ich zwar
nicht behaupten, Karl Barth sei ein Muster christlicher Demut gewesen.
So wenig ich das vom Berichterstatter dieses Gesprächs oder
dem, der das hier so viele Jahre später aufschreibt, behaupten kann.
Was man über Karl Barths Verhältnis zu seinen Geschwistern liest,
macht nicht den Eindruck, als sei er mit einer auffallenden Portion
Demut geboren worden. Und wie er mit seinen theologischen Gegnern
zu Zeiten umging, das ließ auch nicht immer die hohe Schule
der Demut ahnen. Aber immerhin hat er die Schärfe seines kritischen
Verstandes nicht nur bei anderen zur Anwendung gebracht. Darin
könnten wir von ihm lernen.
Das Wort »Hoffart« oder »Hochmut« meint aber nicht nur unsere
Haltung vor Gott. Zu leicht könnte sich ein arroganter Mensch, unter
dem seine Mitmenschen zu leiden haben, auf die unzugänglichen
Mysterien seines Gottesverhältnisses herausreden, in welchem er vor
Gott im Staub liegt, während er im Berufsleben oder im Kreis von Familie
und Freunden andere in den Staub drückt. Die Haltung, die wir
vor Gott einnehmen, bestimmt in der Regel auch sehr unseren alltäglichen
Umgang mit den Menschen, die das Vergnügen oder die Last
haben, mit uns zusammenzuarbeiten und zusammenzuleben.
Hoffart, Hochmut im Umgang mit Menschen könnte man heute
mit dem Fremdwort Arroganz bezeichnen. Die Arroganz der Mächtigen
ist in der Weltpolitik eine Geißel. Sie trifft besonders hilflose Leute.
Der Arrogante kann sich in der Rolle dessen gefallen, der den Völkern
die Freiheit und das Recht bringt und der dazu es nun eben
leider auf einen Krieg ankommen lassen muss. Oft äußert sich in einer
solchen Haltung ein erstaunliches Stück unverfrorener Dummheit,
sodass man sich an das Sprichwort »Dummheit und Stolz wachsen
auf einem Holz« erinnert fühlt oder an Dietrich Bonhoeffers
Abhandlung »Von der Dummheit«: »Dummheit ist ein gefährlicherer
Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse lässt sich protestieren, es
lässt sich bloßstellen, es lässt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das
Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es
mindestens ein Unbehagen im Menschen zurücklässt. Gegen die
Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt
lässt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen,
die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach
nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar
kritisch – und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als
nichts sagende Einzelfälle beiseite geschoben werden. Dabei ist der
Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich zufrieden; ja, er
wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht.
Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber
dem Bösen. Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen
durch Gründe zu überzeugen; es ist sinnlos und gefährlich … Um zu
wissen, wie wir der Dummheit beikommen können, müssen wir ihr
Wesen zu verstehen suchen. Soviel ist sicher, dass sie nicht wesentlich
ein intellektueller, sonder ein menschlicher Defekt ist. Es gibt intellektuell
außerordentlich bewegliche Menschen, die dumm sind, und
intellektuell sehr schwerfällige, die alles andere als dumm sind.«
Die Mischung aus Dummheit und Stolz wird besonders zur Plage,
wenn arrogante Menschen in Führungspositionen gelangen. Nicht selten
streben sie solche an und wissen, ihre Gleise so zu legen, dass sie
recht bald an ihr Ziel kommen. Wenn eine Organisation meint, ihren
Nachwuchs damit am Besten zu fördern, dass sie den Begabten ihre
Karriereplanung nahelegt, dann sollen ihre Verantwortlichen sich nicht
wundern, wenn sie eines Tages eben jene Arroganten in ihrer Leitungsebene
versammelt finden, die sich viel weniger ihrem Auftrag und dem
Dienst an den ihnen anvertrauten Menschen als ihrer Macht verpflichtet
fühlen. Sie wurden ja beizeiten in diese Richtung konditioniert.
Den Hoffärtigen, Hochmütigen, Arroganten werden in diesem
Wort die Demütigen gegenübergestellt. Wer ist demütig? Und was
meint dieses Wort? Viele können es nicht mehr hören. Denn allzu oft
haben sie Leute erlebt, die sich auf ihre Demut etwas zugute taten.
»In unserer Demut lassen wir uns von niemanden übertreffen«, so geistert
ein Wort herum, das einer gesagt haben soll. »Es geht nicht darum,
dass Christen mit einem schiefen Kopf herumlaufen, ein demütiges
Wesen zur Schau tragen und kein lautes Wort sagen. Man kann
auch mit einem demütigen Augenaufschlag und säuselnder Stimme
eigenwillig, rechthaberisch, verschlagen und hoffärtig sein«, stellt in
seiner Auslegung Walter Schlenker fest.
Luther hat im Kloster mit großem Ernst »humilitas«, Niedrigkeit,
Demut eingeübt. Seine ganze Theologie der Jahre 1514 bis zur reformatorischen
Wende 1518 ist vom Streben nach Niedrigkeit bestimmt.
Er kam damit auf keinen grünen Zweig. Wenn er nicht entdeckt hätte,
dass Christus uns aus allen gemachten und eingeübten Haltungen befreit,
dann wäre er wahrscheinlich in der totalen Depression oder im
Wahnsinn geendet. Es ist fraglich, ob wir uns zur Demut wirklich er-
ziehen, ob wir sie wirklich einüben können. Gar zu leicht kommt etwas
heraus, das nur ein Zerrbild und dann das Gegenteil von Demut
ist. Dann spielt der Mensch den Zöllner im Tempel und dankt Gott
dafür, dass er nicht ist, wie dieser widerliche Pharisäer.
Aber was ist gemeint mit der Demut, die Gott bei uns sucht? Ich
verstehe »Demut« herkommend vom mittelhochdeutschen »diemuot
«, der dienenden Gesinnung. Wenn ich es lerne, Gott und den
Menschen mit ganzem Einsatz aller Kräfte, die Gott mir gibt, zu dienen,
dann wird mich das am ehesten davor bewahren, aus mir selbst
etwas machen zu wollen. Dann stehe ich oft vor meinen Grenzen, erfahre,
wie eng sie sind. Ich kann gar nicht anders, als Gott zu bitten,
das Fragment meines Lebens barmherzig anzusehen. Ich werde unmittelbar
die Hilflosigkeit vieler Menschen erleben und werde an ihnen
selbst hilflos werden. Und doch werde ich erfahren, dass mir
Kräfte gegeben werden, die nicht von mir sind und die ich vorher
nicht kannte. Solche Erfahrungen machen bescheiden und dankbar.
Und wir finden uns so in derselben Reihe mit sehr vielen anderen
Menschen wieder, die auf der untersten Stufe des Lebens Gott um ihr
Überleben bitten.
»Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er
Gnade.« Das Wissen darum, dass Gott der Hoffart widersteht und
den Demütigen aufhilft, finden wir abgewandelt in vielen Bibelworten.
Bei Jesaja, der den Hoffärtigen das Gericht ansagt: »Der Tag des
Herrn wird kommen über alles Hoffärtige und Hohe und über alles
Erhabene, dass es erniedrigt werde« (Jes 2,12 ff.). Im Lobgesang der
Maria: »Er zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn, er stößt
die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen« (Lk 1,51. 52).
Besonders die Sprüche Salomos weisen immer wieder darauf hin:
»Die Hoffart des Menschen wird ihn stürzen; aber der Demütige wird
Ehre empfangen« (Spr 29,23). Oder: »Ein stolzes Herz ist dem Herrn
ein Gräuel und wird gewiss nicht ungestraft bleiben« (Spr 16,5).
Oder: »Wer zugrunde gehen soll, der wird zuvor stolz, und Hochmut
kommt vor dem Fall« (Spr 16,18). Weil Hochmut vor Gott nicht bestehen
kann, deswegen kann die Unart des Hochmütigen in der Bibel
auch in geradezu grimmigem Humor beschrieben werden: »Es gibt
eine Art, die ihrem Vater flucht und ihre Mutter nicht segnet; eine
Art, die sich rein dünkt, und ist doch nicht von ihrem Schmutz gewaschen;
eine Art, die Schwerter als Zähne hat und Messer als Backenzähne
und mehrt die Elenden im Land und die Armen unter den
Leuten« (Spr 30,11–14). Diese arrogant Mächtigen und mächtig Arroganten
leben gottlos. Gott ist nicht bei ihnen. Weshalb sie keine
wirkliche Zukunft haben. Vielmehr wählt der große Gott sich seinen
Platz an der Seite der gedemütigten Menschen: »So spricht der Hohe
und Erhabene, der ewig wohnt, dessen Name heiligt ist: Ich wohne in
der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und
demütigen Geistes sind, damit ich erquicke den Geist der Gedemütigten
und das Herz der Zerschlagenen« (Jes 57,15).
Mag sein, dass sie mit ihrer zur Schau getragenen Sicherheit den
rechtlich Gesonnenen zur schweren Anfechtung werden, wie es im
Psalm 73 anschaulich geschildert wird:
Denn für sie gibt es keine Qualen,
gesund und feist ist ihr Leib.
Sie sind nicht in Mühsal wie sonst die Leute
und werden nicht wie andere Menschen geplagt.
Darum prangen sie in Hoffart
und hüllen sich in Frevel.
Sie brüsten sich wie ein fetter Wanst,
sie tun, was ihnen einfällt.
Sie achten alles für nichts und reden böse,
sie reden und lästern hoch her.
Was sie reden, das sollen vom Himmel herab geredet sein;
was sie sagen, das soll gelten auf Erden.
Siehe, das sind die Gottlosen;
die sind glücklich in der Welt und werden reich.
Wenn der Angefochtene aber mit diesen Eindrücken in den Tempel
geht und über ihr Ende nachdenkt, stellt er fest:
Ja, du stellst sie auf schlüpfrigen Grund
und stürzest sie zu Boden.
Wie werden sie so plötzlich zunichte!
Sie gehen unter und nehmen ein Ende mit Schrecken.
Wie ein Traum verschmäht wird, wenn man erwacht,
so verschmähst du, Herr, ihr Bild, wenn du dich erhebst.
(Ps 73,18–20)
Wogegen die geistlich Armen, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit,
selig gepriesen werden (Mt 5,3. 6). Wir dürfen diesen Wochenspruch
als ein Trostwort für die Angefochtenen verstehen.
Und – wenn wir den Zusammenhang in 1. Petrus 5 sehen – als
spezielle Mahnung für Jung und Alt in der christlichen Gemeinde.
Wenn Alte, besonders »die Ältesten« in der Gemeinde, denen die Leitung
der Gemeinde anvertraut ist, mit den Jungen nicht recht zusammenarbeiten
können, wenn da nichts läuft, hängt es oft daran,
dass die Alten auf ihre Erfahrung pochen und nicht zu ihren Fehlern
stehen können. Und daran, dass die Jungen sich nichts sagen lassen
und in der naiven Auffassung leben: »Hoppla, jetzt kommen wir« und
dass sie möglicherweise, wenn ein Älterer mit ihnen diskutieren will,
ihm schnippisch zur Antwort geben: »Andere Generation!«
Beide Haltungen sind ebenso töricht wie unfruchtbar. Alte und
Junge haben einander sehr viel zu sagen. Und wenn sie es in aller Bescheidenheit
tun und dabei aufeinander hören, werden sie bald spüren,
dass Gott selbst auf sie hört und ihr Zusammenwirken segnet.
Wegworte zum Herunterladen: 45_11.So.n.Trinitatis (pdf)