Epiphanias

Die Finsternis vergeht,
und das wahre Licht scheint jetzt.

Der erste Brief des Johannes 2, 8

Oft verweist schon im Alten Testament Licht auf die Erscheinungsform
Gottes. Schon die Erschaffung des Lichtes in 1. Mose 1,3. 4 ist
wie der Akt besonderer Zuwendung Gottes an das, was Kosmos und
Erde werden soll. »Und Gott sah, dass das Licht gut war.«
»Licht ist dein Kleid, das du anhast«, heißt es im Lob des Schöpfers
Psalm 104, Vers 2. Lichterscheinungen markieren die Stationen
der Heilsgeschichte: der brennende Dornbusch, der nicht verbrennt –
Gottes Licht verlöscht nicht –, die Feuersäule, die dem Volk in der
Wüstennacht als Orientierung dient, der Lichtglanz Gottes, der in
den Visionen Hesekiels in den Tempel zurückkehrt (Hes 43), der
Lichtglanz in der Weihnachtsgeschichte über den Hirten auf dem
Feld – »die Klarheit des Herrn leuchtete um sie, und sie fürchteten
sich sehr« (Lk 2,9) –, die Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor – »sein
Angesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß wie
das Licht« (Mt 17,2) – bis hin zu den Ostererscheinungen, in welchen
es vom Engel des Herrn, der den Frauen die Botschaft von der
Auferstehung bringt, heißt: »Seine Erscheinung war wie der Blitz und
sein Kleid weiß wie der Schnee« (Mt 28,3). Und ebenso wird in der
Vision vom himmlischen Jerusalem Offenbarung 21 und 22 die Gegenwart
Gottes mit dem hellsten Licht, das alle Nacht vertrieben hat,
versinnbildlicht.
Es wäre doch zu einfach, wenn wir jetzt am »nordischen Lichthunger
« anknüpfen und Christus als den Erfüller der Lichtsehnsucht der
Menschen verstehen würden. Es steckt ja tatsächlich schon in jedem
Kind ein großes Verlangen nach dem Licht. Nichts fasziniert meine
kleinen Enkelsöhne so, wie wenn Opa eine Kerze anzündet. Und ich
muss bereits alle Streichhölzer verstecken, damit sie in ihrer Freude
am Feuer kein Unheil anrichten.
Jesus, der uns den Hunger nach Lichtzauber erfüllt? Das Licht,
von dem hier die Rede ist, vertreibt die Finsternis, vertreibt Kälte,
Orientierungslosigkeit, vertreibt anonyme Mächte, die Menschen oft
qualvoll gefangen halten, sie in finstere Fanatismen verstocken und sie
zu bösen Taten verführen. Dieses Licht hilft uns auch, einander offen
und frei, ohne Arglist, zu begegnen.
Der Zusammenhang, in dem das Leitwort zum Epiphaniasfest
steht, hebt besonders auf die geschwisterliche Liebe in der Gemeinde
ab. »Wer sagt, er sei im Licht, und hasst seinen Bruder, der ist noch in
der Finsternis. Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, und ist
kein Ärgernis in ihm. Wer aber seinen Bruder hasst, der ist in der
Finsternis und wandelt in der Finsternis und weiß nicht, wo er hingeht;
denn die Finsternis hat seine Augen verblendet« (1. Joh 2,9–11).
Der Verfasser des 1. Johannesbriefes will also sagen: Wer sich aus dem
Lichtkreis Jesu Christi entfernt und dann auch den Geschwistern
kalt und gehässig gegenübersteht, der stolpert orientierungslos im
Finsteren.
Annette von Droste-Hülshoff hat in ihrem »Geistlichen Jahr« das
Gedicht »Am Feste der hl. drei Könige« auffallend psychologisch gestaltet:
Der Weg der Könige ist wie der Weg der Seele zum Licht, wobei
die Dichterin – das entspricht ihrer oft sehr vom Dunkel bestimmten
Seelenlage – doch merkwürdig verhalten vom Licht spricht
und in den letzten Versen eher ihre Verzweiflung an ihrem eigenen
Verhaftetsein im Dunklen äußert. Hier nur zwei Verse, die in packenden
Bildern den Weg der Menschenseele auf der Wüstenwanderschaft
zum Licht spürbar machen.

Finsternis hüllt schwarz und dicht,
Was die Gegend mag enthalten;
Riesig drohen die Gestalten:
Wandrer, fürchtet ihr euch nicht?
Doch ob tausend Schleier flicht
los und leicht die Wolkenaue:
Siegreich durch das zarte Graue
sich ein funkelnd Sternlein bricht.
Langsam wallt es durch das Blaue,
Und der Zug folgt seinem Licht.
Sonder Sorge, sonder Acht,
Wie drei stille Monde ziehen
Um des Sonnensternes Glühen
Ziehn die dreie durch die Nacht.
Wenn die Staublawine kracht,
Wenn mit grausig schönen Flecken
Sich der Wüste Blumen strecken,
schaun sie still auf jene Macht,
Die sie sicher wird bedecken,
Die den Stern hat angefacht.

Was bei Annette von Droste-Hülshoff zu wenig herauskommt, ist die
Aussage, dass das wahre Licht jetzt tatsächlich scheint. Wobei Luther
mit dem Wort »jetzt« nicht genau wiedergibt, was der griechische
Text sagt. Dort heißt es »das wahre Licht scheint schon«. Das Wörtlein
schon weist auf einen Prozess, in welchem das Licht wie am frühen
Morgen sich immer weiter ausbreitet. Es scheint schon! Die
Nacht ist also bereits vorbei. Wer auf den Tag gewartet hat, der hat es
schon gewonnen. Und das prozessuale »Schon« lässt spüren, dass
noch hellere Ausbreitung des Lichts zu erwarten ist. Sie ist bereits im
Gang.
Das Epiphaniasfest erinnert seit alter Zeit besonders daran, dass
Christus das Licht der Welt ist (Joh 8,12), das Licht der Völker, wie
der alte Simeon sagt: »… meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
welchen du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten
die Heiden, und zum Preis des Volkes Israel« (Lk 2,30–32). Es
wird angeknüpft an die Bestimmung Israels: »Ich habe dich auch zum
Licht der Heiden gemacht, dass du seist mein Heil bis an die Enden
der Erde« (Jes 49,6). Ähnlich die Bestimmung des Gottesknechtes:
»Er selbst (er, der den glimmenden Docht nicht auslöscht und das
zerstoßene Rohr nicht zerbricht) wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen,
bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten
auf seine Weisung« (Jes 42,4). Ähnlich in Jesaja 53,11: »Weil seine
Seele gearbeitet hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben.
Und er wird … den vielen Gerechtigkeit schaffen.«
Die Weisen aus dem Morgenland gehen voraus auf dem Weg der
Völker in das Licht Christi. Wir erinnern einander daran, dass wir be-
rufen sind, das Licht Christi, das Evangelium, unter die Völker zu
bringen. Es kann unter Christen, die vom Neuen Testament her leben
und die damit Ernst machen, dass Christus das Licht der Welt ist,
keine Frage sein, ob Mission ein christlicher Auftrag sei. So gewiss die
Jünger dazu ausgesandt werden (Mt 28,19. 20) und so gewiss nicht
nur die Apostelgeschichte, sondern auch alle apostolischen Briefe
samt der Offenbarung des Johannes Dokumente der Missionsgeschichte
sind – und wir keine Christen wären, wenn der Missionsbefehl
nicht ausgeführt worden wäre – ist Mission ein elementarer
Auftrag der Gemeinde Jesu Christi. Man kann und soll sich immer
neu fragen, wie sie angemessen geschieht, nicht, ob sie zu geschehen
hat.
Sie wird auch zum Dialog mit Menschen anderer Religion führen.
Und sie hat immer dazu geführt. Die Missionsgeschichte – man denke
an Hermann Gundert oder an Hermann Friedrich Mögling – war
in ihren führenden Vertretern immer ein dialogisches Unternehmen.
Und die Auffassung, Dialog schließe Mission aus, dürfte die Schutzbehauptung
einer verbürgerlichten Religionsauffassung sein, in der
der Dialog nicht als gemeinsames, konfliktbereites Ringen um die
Wahrheit geführt wird, sondern eher als »Bildungsprogramm« zum
Zweck der Erweiterung des eigenen Wissens (was freilich auch nicht
schadet). Zum wirklichen, lohnenden Dialog gehört – nach Hans
Küng – nicht nur die Dialogbereitschaft und die Dialogfähigkeit,
sondern auch die Dialogwürdigkeit, die sich darin zeigt, dass der Dialogpartner
auch bereit ist, »zu bekennen frei, was seines Herzens
Glaube sei« (EG 72). Was dann ein solcher Dialog im Einzelnen bewirkt,
das können wir ja ruhig dem Heiligen Geist überlassen. Es genügt,
wenn wir uns für den Dialog das Ziel setzen, die Erkenntnis Jesu
Christi, wie sie uns bisher gegeben wurde, deutlich zu machen und
mit ebenso großem Eifer auf das zu hören, was die Dialogpartner uns
von ihrer Glaubenserkenntnis sagen.
Es könnte dann sein, dass wir im Dialog mit Menschen anderer
Religion feststellen, was im Johannesprolog von dem Licht, das in Jesus
Christus Mensch geworden ist, gesagt wird: Es ist »das wahrhaftige
Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen
« (Joh 1,9). Es muss erlaubt sein, nach den Spuren des Lichtes
Jesu Christi auch in anderen Kulturen und Religionen zu suchen.
Vorausgesetzt, man lässt sich nicht unbewusst vom Religionsmodell
der Aufklärung bestimmen, nach welchem es eine Ur-Religion gibt,
aus der alle Religionen wie Äste aus einem Stamm herausgewachsen
seien. Man diskutiert freier, wenn man sich von diesem Modell frei
macht und die enorme Verschiedenheit verschiedener Religionen von
vornherein anerkennt und ernst nimmt. Aber da Christus kein Gefangener
seiner Christenheit ist, da er, der Logos, die Welt geschaffen hat
und als eine Art Urlicht alles Geschaffenen immer schon da ist, da er
auch durchaus sich selbst bezeugt und auf den Dienst seiner Zeugen
und Missionare nicht völlig angewiesen ist (er braucht sie und kann
sie gebrauchen, er ist aber nicht von ihrem Dienst schlechthin abhängig,
Christus hat nicht nur unsere Füße, er steht auf eigenen Beinen),
muss es erlaubt sein, mit einigem Interesse die Spuren des vorangehenden
Christus auch in der Welt religiöser Kulturen zu suchen. Die
Geschichte von den Magiern oder Sterndeutern aus dem Morgenland,
also doch offenbar von Menschen, die in Gestirnsreligionen befangen
waren, die durch eine Sternerscheinung zum Licht von Bethlehem
geführt werden, kann uns darauf aufmerksam machen, dass das
Licht, das in Christus Mensch wurde, auch Menschen in fremden Religionen
ansprechen und zu sich führen kann. Man darf freilich die
Richtung des Weges der Weisen aus dem Morgenland nicht umdrehen.
Sie gehen aus ihrer Gestirnsreligion zu Christus, dem Licht der
Welt. Es steht nirgends, dass Christus sie in ihre Gestirnsreligion zurückgeführt
hätte. Sowenig der Weg der Kinder Israel aus Ägypten ins
Gelobte Land umgekehrt werden kann.
Schließlich noch eine politische Reminiszenz zu 1. Johannes 2,8 und zum
Fest der Erscheinung Christi als dem Licht, vor dem die Finsternis vergeht:
Als Karl Barth im Jahr 1946 mit seiner Schrift »Christengemeinde
und Bürgergemeinde« eine neue wirklich christliche politische Ethik begründen
wollte, in der sozusagen christozentrisch alle politischen Fragen
von Jesus Christus her durchleuchtet werden sollten, schrieb er:
»Die Christengemeinde lebt von der Enthüllung des wahren Gottes
und seiner Offenbarung, von ihm als dem Licht, das in Jesus
Christus dazu aufgeleuchtet ist, damit es die Werke der Finsternis zer-
störe. Sie lebt am angebrochenen Tage des Herrn, und ihre Aufgabe
der Welt gegenüber besteht darin, sie zu wecken und ihr zu sagen,
dass dieser Tag angebrochen ist. Die notwendige politische Entsprechung
dieses Sachverhalts besteht darin, dass die Christengemeinde
die abgesagte Gegnerin aller Geheimpolitik und Geheimdiplomatie
ist. Was grundsätzlich geheim sein und bleiben wollte, das könnte
auch in der politischen Sphäre nur das Unrecht sein, während das
Recht sich eben dadurch vor dem Unrecht auszeichnet, dass es in seiner
Aufrichtung, Behauptung und Durchführung an das Licht der
Öffentlichkeit drängt. Wo Freiheit und Verantwortlichkeit im Dienst
der Bürgergemeinde eines sind, da kann und muss vor aller Ohren geredet,
vor aller Augen gehandelt werden, da können und müssen der
Gesetzgeber, der Regent und der Richter – ohne sich das Heft durch
das Publikum verwirren zu lassen, ohne von diesem abhängig zu werden
– grundsätzlich nach allen Seiten zur Rechenschaft bereit sein.
Die Staatskunst, die sich ins Dunkel hüllt, ist die Kunst des Staates,
der als anarchischer oder tyrannischer Staat das böse Gewissen seiner
Bürger oder seiner Funktionäre zu verbergen hat. Die Christengemeinde
wird ihm darin auf keinen Fall Beistand leisten.«
Besonders diese Sätze seiner Schrift brachten ihm damals eher Hohn
und Spott ein als Bereitschaft zur wirklichen Auseinandersetzung. Helmut
Thielicke witzelte, ob Barth nicht, wenn er schon so christozentrisch,
christomonistisch oder auch christomanisch vorgehe, vom Messiasgeheimnis
Jesu, wie es William Wrede herausgearbeitet hat, die Notwendigkeit
der geheimen Politik und der Geheimdienste begründen wolle.
Einstweilen kam nicht nur an das Tageslicht, was die Geheime
Staatspolizei, sondern auch was der KGB und die Stasi getrieben haben,
und es wird immer deutlicher, was der CIA im Dunkeln wirkt.
Wie viele menschliche Tragödien werden durch die Geheimdienste
verschuldet. Und wie stark wird durch die Geheimpolitik zwischen
den Staaten das allgegenwärtige Misstrauen geschürt. Es wäre an der
Zeit, Barths Sätze noch einmal neu zu lesen und neu darüber nachzudenken,
welche politischen Konsequenzen das Leitwort »die Finsternis
vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt« für Christen haben
kann. Es genügt nicht, das Licht Christi im abgeschirmten Bereich
der frommen Seelen zu feiern; er ist das Licht der Welt, dieser Welt.
Und es scheint, um diese Welt und ihre Praktiken und Machenschaften
zu durchleuchten und zu verändern.
Auf jeden Fall werden Christen, die dieses Licht lieben, in allen Bereichen,
in denen sie tätig sind, auf Transparenz drängen.

Wegworte zum Herunterladen: 09_Epiphanias (pdf)