Trinitatis

Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth,
alle Lande sind seiner Ehre voll.

Der Prophet Jesaja 6, 3

Das dreimal Heilig, das Trishagion, steht im Zusammenhang der Berufung
des Propheten Jesaja. Im Todesjahr des Königs Usia geht er in
den Tempel. Er sieht, was er vorher nie sah, undeutlich und mehr verhüllt
als offenbart, den »Saum des Gewandes Gottes«. Allein sein Gewandsaum
füllt den Tempel. Der heilige Gott bleibt auch dem künftigen
Propheten gegenüber unsichtbar. Die Seraphen, merkwürdige
Gestalten, halb Engel, halb Tier, die da im Tempel abgebildet sind,
werden plötzlich lebendig. Sie stehen über ihm und rufen: »Heilig,
heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!«
Nun, wo die Heiligkeit Gottes ausgesprochen wird, beben die
Schwellen des Tempels, als könne der Tempel als Behausung Gottes
nur erzittern unter seiner Gegenwart, als würde seine Heiligkeit das
Tempelgehäuse sprengen. Rauch füllt den Raum wie von einem verzehrenden
Feuer. Jesaja hat den Eindruck, dass das sein frühes Ende
ist. »Weh mir, ich vergehe! Denn ich habe den König, den Herrn der
himmlischen Heerscharen, gesehen!« Er geht von dem aus, das in Israel
jedem klar war: Wer Gott sieht, muss sterben. Wir werden ihm
direkt, unmittelbar, erst in unserer Todesstunde begegnen.
Vor allem wird sich Jesaja seiner persönlichen Unreinheit, besonders
seiner geistigen Verdorbenheit bewusst: »Ich bin unreiner
Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen.« Das Geschwätz,
das täglich von uns ausgeht und das unser Denken und
Empfinden besetzt hat, trennt uns von dem heiligen Gott, es disqualifiziert
uns von der Begegnung mit ihm, es macht es unmöglich, dass
wir auch nur einen Gedanken von ihm erfassen, in uns aufbewahren
und dann angemessen weitersagen können. Und es geht allen im Volk
so. Wir leben alle in einer Sprachgemeinschaft, die auch eine Denkgemeinschaft
ist. Wer ihr angehört, ist für die Kommunikation mit
Gott verdorben, disqualifiziert.
Jesaja erlebt dann einen ungemein schmerzhaften Reinigungspro-
zess. Einer der Seraphim fliegt zum Räucheraltar, nimmt eine Kohle
vom Räucherbecken und brennt dem Mann, der künftig Gottes Botschaft
seinem Volk sagen soll, die Lippen rein. Das heißt, er reinigt in
äußerst schmerzhaftem Prozess sein Denken und Reden. Und er vergibt
ihm, ja er tilgt aus ihm die Sündenmacht, die sein Denken und
Empfinden gefangenhält. Dann erfolgt die Berufung und Sendung
des Jesaja. Er erhält seinen schweren Auftrag, den er am Volk Gottes
ausführen soll.
Wenn von Gottes Heiligkeit in der Bibel die Rede ist, dann signalisiert
diese Rede eine Distanz ohnegleichen. Nie und nimmer dürfen
wir Gott für uns vereinnahmen. Er entzieht sich uns. Er ist der Herr,
nicht wir sind seine Herren und Auftraggeber. Ganz unmöglich, dass
wir ihn vor den Karren unserer Interessen spannen, dass er von uns
dazu missbraucht wird, dass er unsere Kriege führt oder sanktioniert,
unsere Vorurteile und Urteile religiös überhöht. Er ist nicht der Sammelbegriff
unserer religiösen Gefühle. Und wir können ihn auch
nicht mit unseren Begriffen »definieren«, das heißt begrenzen, ihn sozusagen
mit unserer Theologie dingfest machen. Der heilige Gott entzieht
sich allen unseren Versuchen, uns seiner zu bemächtigen.
Deshalb das Bilderverbot (2. Mose 20,4. 5). Wer den heiligen Gott
abbildet, der hat bereits versucht, ihn seiner Vorstellung zu unterwerfen,
den freien Gott zu fixieren auf die eigene Gottesvorstellung.
Vorsicht bei jeder Art von Theologie! Der heilige Gott passt nicht
in unsere Begriffsgehäuse. Versuchen wir, ihn in unsere Begriffe und
Sprachbilder einzusperren, so wird er die Gehäuse sprengen, anzünden
mit heiligem Feuer. Unsere Sprachbilder können allenfalls schwache
Hinweise sein auf ihn. Und sie müssen immer »nach oben offen«
bleiben wie die ausgebrannte Ruine einer Kirche. Gott ist nicht der
Gefangene unserer Theologie, auch nicht unserer Liturgie, auch nicht
der Garant unserer Ethik, er ist nicht der Gefangene seines Volkes,
nicht der Gefangene der Christenheit, nicht der Hausgötze dieser
oder jener Kirche. Er ist und bleibt der freie Gott.
»Ziehe deine Schuhe aus, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliges
Land«, so hört Mose eine Stimme vom brennenden Dornbusch
(2. Mose 3,5). Vielleicht könnte man in dem brennenden Dornbusch,
der von Gottes Feuer erfasst ist, der aber doch nicht verbrennt,
das Sinnbild seines Volkes Israel und das Sinnbild jedes Menschen,
der von ihm erfasst ist, sehen: Das Feuer Gottes brennt auf ihm, es lodert
aus ihm heraus. Aber wunderbarer Weise verbrennt er nicht. Das
Feuer, das ihn doch eigentlich verzehren müsste, erhält ihn und
macht ihn zum Leuchtfeuer in der Wüstennacht.
In der Geschichte von Abrahams Fürbitte für Lot wird deutlich,
dass der heilige Gott zwar nicht mit sich handeln, dass er sich aber
durchaus bitten lässt, wenn die Bitte aus ernster Sorge um Menschen
kommt und wenn der leidenschaftliche Fürbitter doch weiß, wer vor
ihm steht und wen er um das Leben seiner Freunde bittet: »Siehe, ich
habe mich unterwunden zu reden mit dem Herrn, obgleich ich Erde
und Asche bin« (1. Mose 19,27).
Im Neuen Testament heißt es in 1. Timotheus 6,15 f.: »Der Selige
und allein Gewaltige, der König aller Könige und Herr aller Herren,
der allein Unsterblichkeit hat, der da wohnt in einem Licht, da niemand
zukommen kann, welchen kein Mensch gesehen hat noch sehen
kann.« Jochen Klepper hat sich davon anregen lassen zu seinem
Lied:

Gott wohnt in einem Lichte,
dem keiner nahen kann.
Von seinem Angesichte
trennt uns der Sünde Bann.
Unsterblich und gewaltig
ist unser Gott allein,
will König tausendfaltig,
Herr aller Herren sein.
(EG 379,1).


In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass Jesus uns im Vaterunser
vor allem anderen zu bitten lehrt: »Dein Name werde geheiligt«
(Mt 6,9). Und im zweiten Gebot heißt es: »Du sollst den Namen des
Herrn deines Gottes nicht missbrauchen, denn der Herr wird nicht
ungestraft lassen den, der seinen Namen missbraucht« (2. Mose
20,7). Wenn Menschen den Namen Gottes entehren, ihn instrumentalisieren,
mit ihm ihre Spielchen treiben, so schädigen sie vor allem
sich selbst.
Vor einigen Jahren sorgte das Theaterstück »Corpus Christi« für
Aufsehen. Seit dem Karikaturenstreit, der Muslime in aller Welt zu
bösen Gewalttätigkeiten getrieben hat, scheint das Thema auch im
abendländischen christlichen Bereich wieder an Reiz zu gewinnen.
Fällt im spätbürgerlichen Europa den »Kulturschaffenden« nun auch
gar nichts mehr ein, dann greifen sie in die Mottenkiste des Sakrilegs.
Was tun? Wir werden wenig verhindern können. Gotteslästerungsparagraphen
gibt es in unserem Recht nicht mehr, was auch gut ist.
Denn die Konsequenz wäre, dass staatliche Richter in Religionssachen
urteilen müssten.
Das würde auf einen »Gottesstaat« hinauslaufen. Es gibt nur den
Schutz vor Verletzung religiöser Empfindungen. Was das betrifft, so
erwartet man von den Nachfolgern des gekreuzigten Christus eine gewisse
unwehleidige Leidensfähigkeit. Wirklich aktiv werden kann die
Polizei erst, wenn die öffentliche Ordnung bedroht ist. Das heißt, wir
Christen müssten Pflastersteine werfen, Leute verprügeln und Häuser
anzünden, damit die Polizei eingreifen kann. Das kann wohl nicht
unsere Art sein, solange der Geist Jesu uns leitet. Aber so viel sollten
wir mindestens tun: Wir sollten öffentlich und rückhaltlos sagen, was
wir von dem Spiel mit dem Heiligen halten. Wir sollten kein Verständnis
zeigen, sollten dieses Spiel mit dem Feuer nicht auch noch
interessant finden, sollten uns hier nicht als ach so tolerante Zeitgenossen
empfehlen, sollten denen, die dieses Spiel treiben, vor allem
nicht den kleinen Finger reichen. Nein, wir sollten denen, die auf diese
Weise um Aufmerksamkeit buhlen, respektlos zeigen, dass das, was
sie tun, eine pubertäre Kinderei ist. Und mehr als das.
Freilich wird der nachhaltigste Protest gegen die Entheiligung des
Heiligen darin bestehen, dass wir uns in unserem persönlichen Leben
durch den heiligen Gott in Beschlag nehmen lassen. »Ihr sollt heilig
sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott« (3. Mose 19,1), so wird
zum Volk Gottes Israel gesagt. Ebenso: »Ihr sollt mein Eigentum sein
vor allen Völkern … ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und
ein heiliges Volk sein« (2. Mose 19,5. 6).
Im Neuen Testament wird dieser Begriff »heiliges Volk« auch im
Blick auf die Christen gebraucht: »Ihr seid das auserwählte Geschlecht,
das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums,
dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat
von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht« (1. Petr 2,9). Das ist
freilich eine gewaltige Würde, die unsChristen hier zugesprochen wird.
Und in ihr steckt ein großer Anspruch. Priesterlich leben, für schuldige
Menschen einstehen vor Gott und den Menschen. Vor den Menschen
einstehen als Zeugen des lebendigen Gottes. Und dabei Menschen
sein, denen auf die Stirn geschrieben steht, dass Jesus Christus allein
ihr Herr, ihr König ist, dass sie sein königliches Volk sind.
Die Heiligkeit Gottes bedeutet eben nicht nur »Distanz ohnegleichen
«, sie ist zugleich im Gegenteil Heiligkeit, die von dem heiligen
Gott auf die Menschen übergeht, die er für sich in Beschlag nimmt
und die sich ihm zur Verfügung stellen.
Wie soll das zugehen? Gewiss nicht ohne Jesus Christus, der von
sich in seinem hohenpriesterlichen Gebet gesagt hat: »Ich heilige
mich selbst für sie, damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit«
(Joh 17,19). Und: »Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die
Wahrheit« (Joh 17,17).
Und damit das Wort der Wahrheit uns wirklich erfassen, verwandeln
und zu Werkzeugen der Liebe Gottes machen kann, brauchen
wir das Wirken des Geistes Jesu Christi, des »Geistes der Wahrheit«,
den Jesus uns senden wird (Joh 16,13). Damit sind wir beim Sinn des
Dreieinigkeitsfestes. An ihm loben wir den dreieinigen Gott als den
dreimal Heiligen: Gott als den heiligen Schöpfer und den heiligen
Vater. Jesus Christus als den, der sich für uns heiligt. Den heiligen
Geist als den, der uns für den heiligen Gott in Beschlag nimmt, der
uns seine Wahrheit öffnet und uns fähig macht, durch unsere Liebe
Gottes Namen zu heiligen.
Wobei neben der hohen Aufgabe nicht zu kurz kommen darf die
Zusage, dass Gott seine Heiligen führt. »Es werden alle Heiligen zu
dir beten zur Zeit der Angst. Darum, wenn große Wasserfluten kommen,
werden sie nicht an sie gelangen«, heißt es in Psalm 32. Oder in
Psalm 4: »Erkennt, dass der Herr seine Heiligen wunderbar führt; der
Herr hört, wenn ich ihn anrufe.« Und schließlich können wir mit Petrus
in seiner Pfingstrede in Jerusalem sagen (Apg 2,26 f.): »Mein Herz
ist fröhlich und mein Zunge ist fröhlich; und mein Fleisch wird ruhen
in der Hoffnung. Denn du wirst meine Seele nicht bei den Toten
lassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe.«

Wegworte zum Herunterladen: 34_Trinitatisfest (pdf)