Pfingsten

Es soll nicht durch Heer oder Kraft,
sondern durch meinen Geist geschehen,
spricht der Herr Zebaoth.

Der Prophet Sacharja 4, 6

Vor einiger Zeit hatte ich die Gelegenheit, ein Wochenende mit deutschen
Generälen zusammenzusein, die mit Bundeswehrtruppen im
Kosovo Dienst tun. Die freie, kritische, auch selbstkritische Art, in
der sie über sich und ihre Mission nachdachten, hat mich beeindruckt.
Sie befehligen dort eine Art Friedenstruppe, deren tägliche
Aufgabe es ist, Menschen voreinander zu schützen. Vor allem müssen
sie nach allem, was den Kosovoalbanern von Serben angetan wurde,
serbische Menschen vor der Rache verfeindeter Kosovoalbaner beschützen.
Ihre Berichte haben mich davon überzeugt, dass ihnen das
zum großen Teil gelingt und dass ihre Präsenz im Kosovo tatsächlich
Menschen schützt.
Auf die Frage, wie lang die Bundeswehr dort noch sein werde, konnten
sie mir keine Antwort geben. »Bis der wirkliche Friede ausbricht.«
»Wann wird das sein?« »Wir sind weit davon entfernt.« »Kann die
Bundeswehr den Frieden bringen?« »Gewiss nicht, das müssen andere
tun.« »Wer?« »Wir arbeiten gern zusammen mit Friedensarbeitern, die
von christlichen und anderen Friedensorganisationen ins Land geschickt
werden. Aber es sind viel zu wenige.« »Hat die orthodoxe Kirche,
haben die muslimischen Religionsgemeinschaften eine positive
Wirkung auf den Friedensprozess?« »Wir können es nur hoffen.«

Der Einsatz von UNO-Friedenstruppen an mehreren Krisenpunkten
der Erde zeigt, dass militärische Macht unter Umständen Schlimmeres
verhindern kann. Dass militärische Aktionen oft aber alles viel schlimmer
machen, das haben wir im Libanonkrieg ebenso erlebt wie in fast allen
anderen Kriegen der letzten Jahrzehnte. Aber, auch ich als der Kriegsdienstverweigerer,
der ich es war und bin, muss anerkennen, dass durch kontrollierten Einsatz
von Friedenstruppen vorübergehend verhindert werden kann,
dass verfeindete Völker einander niedermetzeln.
Doch: Können sie Frieden schaffen? Das von ihnen zu erwarten,
wäre eine unsinnige Zumutung. Es wäre eine unfaire Überforderung.
Denn Friede ist mehr als nur dieser Zustand, in dem Verfeindete von
anderen durch Androhung und Einsatz von Gewalt daran gehindert
werden, übereinander herzufallen. Friede beginnt in der Umkehr und
Verwandlung der Menschen, ihrer Gesinnung, ihrer Gefühle, ihrer
Taten. Das kann keine Macht der Welt erzwingen. Das dürfen wir
auch von Politkern nicht erwarten, so wichtig ihr Friedensdienst am
Verhandlungstisch ist.
Können wir es von den Kirchen erwarten? Keine Frage, sie haben
eine kaum zu überschätzende Friedensaufgabe. Und es ist von großer
Bedeutung, ob sie Konflikte einfach treiben lassen oder gar noch
schüren und mit allerlei religiösen Argumenten rechtfertigen oder ob
sie entschlossen den Kriegstreibern widerstehen und ihrerseits sich auf
den Weg machen zwischen den Fronten, um ein Wegenetz der Verständigung
zu bauen. Und auch die Zusammenarbeit mit Menschen
anderer Religion sollten selbstbewusste Christen durchaus suchen,
wenn es darum geht, dem Frieden zwischen den Menschen zu dienen.
Aber können die Kirchen einfach Frieden schaffen?

Es kommt in allem, was wir tun, auf den rechten Geist an.
Der rechte Geist ist der Heilige Geist. Über den verfügen wir nicht.
Den können und sollen wir erbitten.
Ihm sollen wir uns öffnen und uns von ihm leiten lassen.
Seinen Initiativen sollen wir folgen. Doch können wir nicht selbst erarbeiten
oder gar erzwingen, dass der Funke des Geistes überspringt.
Auf ihn kommt alles an. Er ist die Seele unseres Tuns. Auch das beste
Tun bleibt tot, vergeblich, nutzlose Kraftverschwendung, wenn nicht
der Funke des Geistes unser Tun belebt, so dass der Herr der Kirche
selbst durch uns wirkt.

Irgendwann nach dem zweiten Jahr in der Regierungszeit des persischen
Großkaisers Darius, also nach 520 v.Chr., hatte der jüdische
Politiker Serubabel – mit persischer Genehmigung, ja sogar Empfehlung
– die Aufgabe, den Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen. Je
näher die aus Babylon heimgekehrten Juden der Verwirklichung dieses
Planes kamen, desto heißer wurde ihre Erwartung auf den Anbruch
einer ganz neuen Zeit; ja, sie hofften, wenn der Tempel wieder
stünde, dann werde eine Art Heilszeit anbrechen.
Doch ein »großer Berg« liegt vor Serubabel, der ihn daran hindert,
den Tempelbau voranzubringen. Ist es wirklich nur der Schuttberg,
der von der Zerstörung des ersten Tempels herrührt und der noch
nicht ganz abgeräumt ist? Es ist offenbar viel mehr der Widerstand
der Samaritaner, die im Land geblieben waren und die sich nun gar
nicht sonderlich über die Rückkehr der vor langer Zeit deportierten
Juden freuen. Noch weniger freuen sie sich, wenn diese unerwünschten
Spätheimkehrer nun in Jerusalem ihr Heiligtum neu aufbauen.
Und dass diese Heimkehrer – ich finde: ungeschickter Weise! – den
Samaritanern zu verstehen gegeben haben: Ohne euch! Der Tempel
ist ganz für uns da! Eure Glaubenshaltung ist uns suspekt! Das hat in
den Samaritanern nicht gerade Sympathien für den Tempelbau erweckt.
Im Gegenteil, sie versuchen auf alle mögliche Weise, den Tempelbau
zu verhindern.
Dazu kommen Gleichgültigkeit, Skepsis auch unter den Heimkehrern.
»Ist das wirklich jetzt dran, dass wir den Tempel neu aufbauen?
So ein teueres Riesenprojekt? Sollten wir nicht zuerst einmal uns
selbst und unseren Kindern anständige Häuser bauen? Der Tempelbau,
wäre das nicht Sache unserer Enkel?«
Ein Berg liegt vor Serubabel. Auf der einen Seite der Bevölkerung
hoch gespannte Erwartung auf den Tempelbau, auf der anderen
Schwierigkeiten über Schwierigkeiten! Da kann man schon verstehen,
dass in dem Politiker Serubabel die Versuchung wächst, drauflos zu
schlagen, Gewalt einzusetzen. Polizeigewalt? Die Kritiker und Miesmacher
verhaften, wegen zersetzender Tätigkeit hinter Gitter bringen?
Truppengewalt? Eine Schutztruppe bilden und den Samaritanern ein
paar Dörfer anzünden, damit sie sehen, dass wir uns nicht mehr alles
bieten lassen? Und dann im Schutz »drakonischer Maßnahmen« den
Tempel bauen zur Ehre Gottes?
»Ja das nicht!«, sagt Sacharja, »du wirst sehen, der große Berg der
Schwierigkeiten wird vor dir zur Ebene werden. Aber nicht durch
drakonische Maßnahmen, vielmehr: ›Es wird nicht durch Heer oder
Kraft geschehen, sondern durch meinen Geist, spricht der Herr
Zebaoth.‹«
Pfingsten, Fest des Heiligen Geistes, der die Kirche schafft. Wodurch
wird die Kirche, das »Haus der lebendigen Steine« (1. Petr 2,4),
»das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk, das Gott gehört«
(1. Petr 2,9) gebaut? Was überwindet den Berg der Schwierig-
keiten, den wir oft vor uns sehen, den wir durch geduldigen Fleiß abbauen
wollen, an dem wir aber oft genug scheitern?
Nicht »drakonische Maßnahmen« helfen. Im Gegenteil, sie schaden
nur. Sie wecken den inneren Widerstand derer, die in der Kirche
eine durchaus unerwünschte gesellschaftliche Kraft sehen. Und sie deprimieren
und demotivieren die Gutwilligen, die sich gern für eine
starke Kirche engagieren würden. Aber nichts ist demotivierender, als
eine Kirche zu erleben, die in ihrer Schwäche ihre Hoffnung auf »drakonische
Maßnahmen« setzt. Mit Recht erwartet man von der Kirche,
dass sie im Geist der Vergebung, auch der Feindesliebe, auf ihre
Widersacher zugeht. Und mit Recht erwartet man von ihr, dass sie in
ihren eigenen Reihen Fragen des Geistes, der rechten Schriftauslegung,
der Lehre, Fragen der ethischen Entscheidung gewaltlos angeht,
durch geschwisterliches Gespräch, das sehr wohl auch zum Streitgespräch
werden, das im äußersten Notfall auch zu Trennungen führen
kann. Aber nicht »Kraftproben« im weltlichen Sinn entscheiden die
Wahrheit, sondern das geduldige Ringen umeinander, das gemeinsame
Ringen um die Wahrheit und um den rechten Weg. Da ist ein »Geduldiger
besser als ein Starker und wer sich selbst beherrscht besser,
als wer Städte gewinnt« (Spr 16,32). Da kann man auch manches offen
lassen und den Geist Gottes bitten, er möge uns künftig mehr
Weisheit schenken.
Es ist auch ganz gegen das Wesen der Kirche als Geschöpf des
Geistes Gottes, wenn wir für den Bestand der Kirche auf die Hilfe
staatlicher Macht vertrauen. Dass wir auf die Einhaltung alter Verträge
achten, das tun wir auch im Interesse des Staates – Recht muss
Recht bleiben – und dass wir, etwa im Religionsunterricht, das Angebot
des Staates wahrnehmen und unseren Auftrag in dieser Sache so
gut als irgend möglich erfüllen, das steht zu hoffen. Aber das Leben
der Kirche ist durchaus nicht von der Gunst des Staates abhängig.
Und je freier sie ihrer Sache dient – auch im Wächteramt in Bezug
auf staatliche Maßnahmen gegenüber benachteiligten und bedrohten
Menschen, je selbstbewusster sie ihrem Herrn und ihm allein folgt,
desto eher wird sie Werkzeug des Heiligen Geistes sein können.
Derzeit sind die Landeskirchen stark in Umstrukturierungen begriffen.
Sie müssen sich sinkenden Kirchensteuereinnahmen anpassen
Daher die Pfarrplanprojekte, das Projekt »Wirtschaftliches Handeln
in der Kirche«, die Diskussion über eine Neuordnung der Kirchlichen
Verwaltungsstellen und über kreisscharfe Zuschnitte der Dekanatsgrenzen,
auch das Ausloten der Frage, auf welchen Gebieten
Kirchenbezirke miteinander zusammenarbeiten können, zum Beispiel
in der Diakonie, in der Erwachsenenbildung, auch in der Verwaltung.
In der großen Programmschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland
mit dem anspruchsvollen Titel »Kirche der Freiheit. Perspektiven
für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert« wird das alles dargestellt.
Wir sollten meines Erachtens denen, die sich um diese Aufgaben
mühen, ebensoviel Weisheit wie Erfolg wünschen. Und wir sollten
ihnen dankbar sein, dass sie diese Arbeit tun.
Uns selbst und allen Christen können wir nur wünschen, dass wir
nicht in dem Sinn »strukturgläubig« werden, dass wir meinen, diese
oder jene Struktur garantiere mehr wirkliches Leben in der Kirche.
Strukturen hin oder her, es kommt auf den rechten Geist, auf den
Heiligen Geist an. Um den können wir nicht genug bitten. Und unsere
Bitte soll und darf um Jesu Christi willen, der für seine Kirche
einsteht, voll Zuversicht sein.

Wegworte zum Herunterladen: 33_Pfingsten (pdf)