1. Sonntag nach Trinitatis

Christus spricht: Wer euch hört, der hört mich,
und wer euch verachtet, der verachtet mich.

Das Evangelium nach Lukas 10, 16

Es wäre merkwürdig, wenn uns bei diesem Wort nicht alle roten
Warnleuchten zu blinken anfingen. Vorsicht! Ist ein solches »päpstliches
« Selbstbewusstsein wirklich von der Bibel her zu begründen?
Ganz abgesehen von der Frage: Kann ein Mensch des 21. Jahrhunderts
sich ein solches Bewusstsein gefallen lassen? Ist nicht alles, was
wir Christen, auch was wir Theologen, von uns geben, nicht allenfalls
ein Diskussionsbeitrag? Lehnen wir Protestanten die päpstliche Unfehlbarkeit
ab, wie viel mehr werden wir es ablehnen, dass etwa ein
Pfarrer auf seiner Kanzel mit einem päpstlichen Unfehlbarkeitsanspruch
auftritt!
Und wie oft haben Menschen, die mit diesem Unfehlbarkeitsanspruch
auftraten, andere Menschen ins Verderben geschickt und zu
schlimmen Taten veranlasst!
Nur drei Beispiele: Auf der Synode von Clermont im Jahr 1095
gab Papst Urban II. vor vielen tausend Menschen den Startschuss
zum ersten Kreuzzug. Seine Begründung: »Deus lo volt«, Gott will es.
Viele Tausende, meist Franzosen, entschlossen sich in den nächsten
Wochen unter dem Einfluss der begeisterten Kreuzzugsprediger zum
Kreuzzug, wobei die verschiedensten Motive zusammenspielten. Als
erstes war da das religiöse Motiv: die Kreuzfahrer erlangten durch die
Teilnahme am Kreuzzug vollkommenen Ablass aller Sündenstrafen;
aber auch sehr weltliche Motive spielten mit: Abenteuerlust, phantastische
Vorstellungen vom märchenhaften Orient mit seinen Schätzen,
das Verlangen sich lästigen Verhältnissen zu Hause zu entziehen und
vieles mehr. »Wer euch hört, der hört mich.« Papst Urban II hat tatsächlich
in diesem Bewusstsein die Weiche gestellt zu Vorgängen, die
wir Christen uns heute noch als Schandfleck in der Geschichte der
Kirche vorhalten lassen müssen.
Ein zweites Beispiel: Statt auf Luthers 95 Thesen gegen den Ablass
einzugehen, hat Papst Leo X. Martin Luther in seiner Bulle »Exurge
Domine« den Bann, das heißt den Ausschluss aus der Kirche und
vom ewigen Heil, angedroht. Mit dieser Bannandrohungsbulle, deren
Androhung bald darauf an Luther und allen seinen Anhängern wahr
gemacht wurde, hat der Papst die Kirche gespalten. Er tat es in der
Auffassung, Jesus Christus spreche durch ihn.
Ein drittes Beispiel: Ich denke an eine Predigt vor dem Ausmarsch
einiger Regimenter im Jahr 1917 im Ulmer Münster, die einer meiner
Namensvetter gehalten hat. Sie steht für sehr viele Kriegspredigten,
die damals gehalten wurden. Seinen Kriegsgedichten nach zu schließen
hat wohl auch mein Großvater väterlicherseits solche Predigten
gehalten. In der Predigt wird nicht verschwiegen, dass die Zeiten ernst
und der Krieg schlimm seien; im entscheidenden Augenblick aber,
wenn der Zuhörer fragt, warum der Pfarrer dann Soldaten in diesen
schlimmen Krieg schicke, ruft der Pfarrer von der Kanzel immer wieder:
»Aber Gott will es!« Der Prediger macht sich nicht einmal die
Mühe, das zu begründen. Es steht für ihn einfach fest, dass Gott diesen
Krieg will und dass er, der Münsterpfarrer, deswegen nun im Namen
Gottes die Soldaten in diesen Krieg zu senden habe.
Sehr viele Männer haben in solchen Kriegen den Glauben an Gott
verloren. Spätestens wenn sie auf Franzosen trafen, die man ebenso im
Namen Gottes an die Front geschickt hatte und die sich fragen mussten:
Auf welcher Seite steht nun eigentlich Gott? Sollen wir hüben
und drüben in den Schützengräben das Mahl Jesu Christi feiern und
dann morgen früh im Morgengrauen einander auf die scheußlichste
Weise abschlachten?
»Es ist das beladenste aller Menschenworte«, schreibt Martin Buber
über das Wort »Gott« in seinen autobiographischen Fragmenten,
»keines ist so besudelt, so zerfetzt worden … die Geschlechter der
Menschen haben die Last ihres geängstigten Lebens auf dieses Wort
gewälzt und es zu Boden gedrückt; es liegt im Staub und trägt ihrer
aller Last. Die Geschlechter der Menschen und ihre Religionsparteiungen
haben das Wort zerrissen; sie haben dafür getötet und sind dafür
gestorben; es trägt ihrer aller Fingerspur und ihrer aller Blut … Sie
zeichnen Fratzen und schreiben ›Gott‹ darunter; sie morden einander
und sagen ›im Namen Gottes‹.« Angesichts dieser erdrückenden Tatsachen
müssen wir uns die moderne Skepsis gegen das Wort Jesu
»Wer euch hört, der hört mich und wer euch verachtet, der verachtet
mich« gefallen lassen.
Und doch gilt dieses Wort Jesu. Es gilt für Menschen, die sich sehr
selbstkritisch prüfen, ob die Botschaft, die sie ausrichten, wirklich das
Evangelium von Jesus Christus ist und ob sie seinen Willen, wie er
uns im Neuen Testament vielfach bezeugt wird, zur Sprache bringen.
Diese selbstkritische Prüfung kann nicht gründlich genug sein. Keineswegs
dürfen wir für das, was unsere religiöse Genialität hervorbringt
und was wir vielleicht mit hohem Pathos vortragen, den Anspruch
erheben, das sei die Stimme Jesu Christi. Es geht auch nicht
an, dass wir uns auf innere Gewissheiten berufen. Es geht darum, dass
wir die Botschaft Jesu Christi und die Botschaft von Jesus Christus,
wie wir sie dem Neuen Testament entnehmen, ausrichten. Nur insofern,
dass wir das tun, dürfen und sollen wir damit rechnen, dass Jesus
Christus selbst durch unser Wort spricht.
Aber wenn wir das Evangelium Jesu Christi wirklich predigen, sollen
wir damit auch wirklich rechnen, dass dabei das Wort wahr wird:
»Wer euch hört, der hört mich.« Wir sollen und dürfen damit rechnen,
dass Jesus Christus durch unser dürftiges Wort Menschen erreicht.
Und wir sollen uns von dieser Gewissheit auch nicht abbringen
lassen durch den berechtigten Vorwurf, wir würden selbst dem
Wort Christi zu wenig entsprechen, wir seien unwürdige Diener des
Wortes, weil zu wenig fromm, moralisch zu fragwürdig. Besonders wo
es um den Kern des Evangeliums, um den Zuspruch der Vergebung
der Sünden, den Zuspruch von Gottes Gnade und Heil geht, sollen
wir uns durch die Frage, ob der Diener des Wortes würdig und als
Mensch glaubwürdig sei, nicht irritieren lassen. Das Wort gilt, weil es
das Wort Jesu Christi ist und weil er selbst mit seinem Leben und
Sterben dafür einsteht.
Was folgt aus der Zusage Jesu »Wer euch hört, der hört mich, und
wer euch verachtet, der verachtet mich« für die Pfarrerin oder den
Pfarrer, die Lektorin oder den Lektor? Zunächst, dass sie in dem Bewusstsein
ihrer enormen Verantwortung bei der Predigtvorbereitung
intensiv prüfen, ob das, was sie als Schriftauslegung vorbringen wollen,
dem Gesamtzeugnis der Bibel entspricht und ob es wirklich
Christusverkündigung ist. Sodann, dass sie betend in den Gottes-
dienst gehen. Walter Schlenker bringt in seinem schönen Buch »Wir
sind nicht allein« zu diesem Wochenspruch ein gutes Gebet Luthers,
das er dessen Auslegung des ersten Buches Mose entnimmt: »Herr
Gott, du hast mich in der Kirche zu einem Bischof und Pfarrherrn gesetzt:
du siehst, wie ich so ungeschickt bin, solch großes und schweres
Amt recht auszurichten; und wo es ohne deinen Rat gewesen wäre, so
hätte ich schon längst alles miteinander verderbt. Darum rufe ich
dich an. Ich will zwar gerne meinen Mund und mein Herz dazu leihen
und neigen: ich will das Volk lehren, ich will selbst auch immer
lernen und mit deinem Wort umgehen und demselben fleißig nachdenken;
brauch du mich als dein Werkzeug. Lieber Herr, verlasse du
mich nur nicht, denn wo ich werde allein sein, so werde ich es leichtlich
alles miteinander verderben. Amen.«
Selbstverständlich wird ein Diener des Wortes auch in freier Weise
Gott um die Hilfe seines Geistes bitten, ehe er auf die Kanzel geht
und wenn er von der Kanzel kommt. Und dasselbe vor jeder Konfirmandenstunde,
Religionsstunde, jedem Hausbesuch, jedem seelsorgerlichen
Gespräch und besonders, bevor er an Krankenbetten geht.
Er oder sie sollen aber, wenn sie von der Kanzel kommen, dann
auch zu dem stehen, was sie gesagt haben und sollen dann zuversichtlich
den Geist wirken lassen. Es ist nicht nötig, dass der Pfarrer, wenn
er gesprochen hat, den Rest des Sonntags an seiner gehaltenen Predigt
und der Frage ihrer Wirkung herumgrübelt. Er lobt Gott besser, wenn
er sich nun mit freien Gedanken und Gefühlen seinen Kindern oder
Enkeln widmet. Das Wort ist nun gesagt, es ist heraus. Nun ist es
allein Gottes Sache für die rechte Wirkung zu sorgen.
Der Prediger soll dann freilich weder überrascht noch beleidigt
noch mimosenhaft wehleidig sein, wenn er Widerstand erntet, wenn
ihn auch verächtliche Reaktionen treffen. Nicht umsonst sagt Jesus:
»Wer euch verachtet, der verachtet mich.« Die Botschaft Jesu und die
Botschaft von Jesus Christus streichelt den Zuhörenden in der Regel
nicht das Fell. Sie bürstet sie gegen den Strich. Es ist die dem gewöhnlichen
Menschen fremde Botschaft. Sie ist nicht Bestätigung
dessen, was im Trend liegt, sondern Störung und Herausforderung.
Kann es uns wundern, wenn wir auch Widerstand ernten? Wenn
wirklich Jesus Christus durch uns spricht, dann beginnt damit immer
ein kämpferisches Geschehen. Es wird uns nicht gelingen, uns selbst
da ganz herauszuhalten. Je nüchterner wir damit rechnen und je
selbstverständlicher und unpathetischer wir das ins Kalkül ziehen,
desto angemessener werden wir unserer Aufgabe entsprechen.
Was folgt aus dem Wort Jesu »Wer euch hört, der hört mich, und
wer euch verachtet, der verachtet mich« für die gottesdienstliche Gemeinde?
Sie wird für den Menschen, der heute das Evangelium weitersagen
soll, herzlich beten, wird ihm Mut machen. Sie wird ihn couragiert
und geschwisterlich anfragen, wo sie meint, dass er das Evangelium
verkürzt oder verfälscht. Sie wird vor allem aber den Gottesdienst
miterleben mit der Erwartung, dass nicht der geniale oder unbegabte
Prediger zu ihr spricht, dass vielmehr Jesus Christus zu ihr spricht. Sie
wird hören wollen, »was der Geist den Gemeinden sagt« (Offb
2,7.11.17. 29; 3,6.13. 22).
Könnte aus dieser Zusage Jesu in dieser und jener Gemeinde auch
wieder eine neue Wertschätzung der Pfarrerin oder des Pfarrers folgen?
Nicht um ihrer persönlichen Vorzüge, sondern um ihres Amtes
willen? Etwa so, dass ein Kirchengemeinderat sich nicht wie der Aufsichtsrat
der Firma gebärdet, sondern sich als Kreis der Schwestern
und Brüder versteht, die der Pfarrerin, dem Pfarrer beistehen, seiner
eigentlichen Aufgabe nachzukommen? Das könnte bedeuten, dass sie
von ihm weniger Manager- und Unterhalterfähigkeiten erwarten,
auch nicht die vielfältigen Gaben des Generalisten, dass sie ihn vielmehr
darin bestärken, die Stimme Jesu Christi zur Sprache zu bringen
und mit der Gemeinde und mit einzelnen das Wirken des Heiligen
Geistes zu erbitten.

Wegworte zum Herunterladen: 35_1.So.n.Trinitatis (pdf)