Heiligabend/Christvesper (24. Dezember 2019)

Autorin / Autor:
Prälatin Gabriele Wulz, Ulm [praelatur.ulm@elk-wue.de]

Ezechiel 37, 24-28

IntentionDie Botschaft des Propheten Hesekiel bringt den „Überschuss“ an Hoffnung und Zukunft Gottes zur Sprache Wir brauchen deshalb nicht weniger von Weihnachten zu erwarten, sondern alles von Gott erhoffen.

37, 24 Und mein Knecht David soll ihr König sein und der einzige Hirte für sie alle. Und sie sollen wandeln in meinen Rechten und meine Gebote halten und danach tun.
25 Und sie sollen wieder in dem Lande wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe, in dem eure Väter gewohnt haben. Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen darin wohnen für immer, und mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein.
26 Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen, der soll ein ewiger Bund mit ihnen sein. Und ich will sie erhalten und mehren, und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer.
27 Meine Wohnung soll unter ihnen sein, und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein, 28 damit auch die Völker erfahren, dass ich der HERR bin, der Israel heilig macht, wenn mein Heiligtum für immer unter ihnen sein wird.

Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen„Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen“ – Liebe Gemeinde,
dieses Jahr hat mich dieser Vers wieder einmal gepackt. Was kann das bedeuten: Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen?
Ohne Worte kann man das, was man erlebt und erfährt, ja nicht mitteilen, nicht erzählen und deshalb auch nicht erinnern. Es braucht die Worte, die das Geschehen zu etwas machen, das bleibt. Und wenn man erzählt, wird das, was geschehen ist, wieder lebendig und spricht zu uns.

Den Anfang erzählenIch glaube, alle Eltern kennen das: Kinder staunen und wollen immer wieder hören, wie das genau bei ihrer Geburt gewesen ist. Die Erzählung von der Geburt, von den Umständen, von der genauen Uhrzeit wird nie alt. Mütter, Väter werden immer wieder aufs Neue befragt.
So erzählen auch wir jedes Jahr die Geschichte von der Geburt Jesu.

Und so wie wir das Wissen um unseren Anfang und unseren Ursprung zum Leben brauchen, so brauchen wir als Kirche, als Gemeinde, als Christenmenschen die Begegnung mit dem Anfang, den Gott mit seiner Welt gemacht hat.

Maria bewahrt wie jede Mutter die Szenen dieser Nacht in ihrem Gedächtnis. Mit allen Gefühlen. Mit der Angst. Mit der Sorge. Mit den Schmerzen. Und mit der ganzen Bodenlosigkeit einer Fremden, die nicht weiß, wo sie ihr Kind zur Welt gebracht hat und wie es weitergehen wird. Unbehaust ist die Geburt, unbehaust ist dieses Menschenleben von Anfang an.
Aber sie ist auch eine, die mit den Ereignissen die Worte bewahrt, die zu ihr gesprochen wurden. Die Worte der Engel, die Worte der Hirten – und das Wort vom Frieden auf Erden.
Alle diese Worte graben sich in ihr Herz. Maria wird sie nie vergessen. Sie wird diese Geschichte mit sich tragen. Sie wird davon erzählen. Ihr Leben lang.

Alles, was geschieht, braucht Worte, damit wir es fassen können und uns daran erinnern können. Und alles, was in dieser Nacht geschieht, findet Worte. Worte, die nicht aus dem Augenblick entstehen, sondern die tief gründen.
Es sind die alten Worte, die Hoffnung und Sehnsucht bewahrt haben. Es sind die alten Worte, die weitergegeben worden sind von Generation zu Generation und die nichts an Frische verloren haben. Die Hirten vom Feld singen und sagen davon. Und allen, denen sie begegnen, erzählen sie vom Frieden Gottes, der auf die Erde gekommen ist. Laut und vernehmbar loben sie Gott für das, was ihnen in dieser Nacht widerfahren ist.

Er gedenkt seiner Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf (Lukas 1, 54)Den Menschen von Bethlehem ist in dieser Nacht Großes widerfahren. Und in jeder Geburt eines Kindes strahlt bis heute etwas vom Wunder dieser Nacht auf. Jedes neugeborene Kind bringt die Botschaft vom Anfang in die Welt. Vom Wunder des Lebens mit allen Möglichkeiten, die uns das Leben schenkt.
In dieser Nacht werden die Verheißungen für das ganze Volk Israel, ja für die Menschheit überhaupt, körperlich, leiblich erfahren.
Staunend, fassungslos erkennen die Menschen:
Was Gott versprochen hat und was wir in Erinnerung haben, was wir beten, was wir singen – all das hilft uns auszudrücken und zu zeigen, was wir erlebt und gesehen haben.
Haben wir's nicht gehört? Haben wir's nicht gelesen? Gottes Treue hat kein Ende. Seine Verheißungen haben Kraft, die Welt zu verändern.

Die Worte beginnen zu sprechen. Ganz direkt. So kommt auch zur Sprache, was längst vergessen schien. Die alten Verheißungen der Propheten von einem Kind, das geboren wird, von einem Sohn, der gegeben ist. Und von dem neuen König aus dem Haus Davids, der endlich Frieden bringen wird.
Eine solche Verheißung finden wir auch beim Propheten Hesekiel. Sie ist der Predigttext für den Heiligabend.

Ich lese aus dem 37. Kapitel des Buches Hesekiel die Verse 24 bis 28:

„Und mein Knecht David soll ihr König sein und der einzige Hirte für sie alle. Und sie sollen wandeln in meinen Rechten und meine Gebote halten und danach tun. Und sie sollen wieder in dem Lande wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe, in dem eure Väter gewohnt haben. Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen darin wohnen für immer, und mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein. Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen, der soll ein ewiger Bund mit ihnen sein. Und ich will sie erhalten und mehren, und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer. Meine Wohnung soll unter ihnen sein, und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein, damit auch die Völker erfahren, dass ich der HERR bin, der Israel heilig macht, wenn mein Heiligtum für immer unter ihnen sein wird.“

Hohe Erwartungen?Alle Jahre wieder ist es so sicher wie das Amen in der Kirche. Ein paar Tage vor dem Fest warnt eine Psychologin oder ein anderer Experte davor, die Erwartungen an Weihnachten zu hoch zu hängen. Zu tief ist der Fall. Zu groß die Enttäuschung, wenn doch mal wieder nicht alles stimmt. Zu bitter die Erfahrung, dass auch an Weihnachten nicht alles auf einmal ganz anders geworden ist.
Der Prophet Hesekiel ist ein Ratgeber anderer Art. Er sagt: Keine falsche Bescheidenheit, wenn es um Gott geht. Er ermuntert uns, die Erwartungen noch höher zu schrauben und auf gar keinen Fall zu klein von Gott zu denken.
Was für eine Entlastung für Weihnachten!

Das Fest hängt nicht von unseren Bemühungen und Anstrengungen ab. Es wird von unserem Streit nicht zerstört und von unserer Traurigkeit nicht besiegt. Es verstummt nicht, weil wir sprachlos geworden sind. Frieden hängt nicht von den mehr oder weniger gelungenen Verwandtenbesuchen an den Feiertagen ab. Und wer keine Freude zu spüren vermag, muss sich nicht schlecht fühlen. Weihnachten ist mehr, und vor allem: Es ist etwas ganz anderes. Weihnachten ist der offene Himmel über unserer zerstörten und kaputten Welt.

Friede – höher als unsere Vernunft!Der Prophet Hesekiel, liebe Gemeinde, hatte zu seiner Zeit mit eigenen Augen gesehen, wie die Herrlichkeit des Herrn den Tempel verlassen hat. Er hat mit eigenen Ohren von der Zerstörung der Stadt Jerusalem und des Tempels gehört. Über Jahre hinweg war er wie gelähmt, konnte nicht mehr sprechen, nicht mehr essen, nicht mehr schlucken. An seinem Leib ist die Katastrophe Jerusalems und seines Volkes sichtbar geworden.

Das Buch des Propheten Hesekiel erzählt nicht nur von der zerstörten Stadt, nicht nur vom zerstörten Tempel, sondern auch von einem zerbrochenen, zerstörten Menschenleben.
So wie Jerusalem zum Un-Ort geworden ist, so ist auch der Prophet zu einem geworden, den man nicht anschauen will.

Und dieser Mensch spricht nun im Auftrag Gottes von einem König aus dem Hause Davids, von einem guten Hirten und von einem Bund des Friedens, den er mit Israel schließen wird. Einen unzerstörbaren, ewigen Bund!
Was für ein Wort! Was für eine Verheißung!

Weihnachten – ganz andersDie Worte des Propheten Hesekiel sind nicht allzu bekannt. Man hört sie selten in den Weihnachtsgottesdiensten. Sie sind vielleicht deshalb besonders gut geeignet, uns die Geschichte von Bethlehem nahezubringen. Aus uralter Zeit erreicht uns der Ruf:
Gott will Frieden auf Erden. Gott will bei seinen Menschen sein.
Gott will unter uns wohnen.

Das Wort wird Fleisch, und das Kind in der Krippe steht für den neuen Anfang, den Gott selbst setzt.
Mit diesem Kind verbinden sich alle Verheißungen, alle Hoffnungen Israels. Dieses Kind ist der Knecht Gottes. Dieses Kind ist das Licht der Welt. In Marien Schoß liegt der, den aller Weltkreis nie beschloss …

Wir müssen Weihnachten nicht machen. Wir können es auch gar nicht. Es wird, wie es wird. Entscheidend an Weihnachten sind nur die Worte.
Die Worte, die vom Kind erzählen und von der Nacht, in der der Himmel offenstand.
Die Worte, die den guten Hirten ankündigen. Er weidet sein Volk gut. Er sucht nicht den eigenen Vorteil.
Die Worte, die vom Frieden künden – vom Frieden im Himmel und auf Erden.
Alle die Worte, die Maria behielt und in ihrem Herzen bewegte.
Die Geschichte ist noch lange nicht zu Ende ist. Sie geht weiter.
Auch hier. Und heute.
Amen.

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