2. Sonntag nach Weihnachten (05. Januar 2020)

Autorin / Autor:
Pfarrer Markus Granzow-Emden, Stuttgart [Markus.Granzow-Emden@elkw.de]

Jesaja 61, 1-4; 61, 9-11

IntentionDas Jahr ist noch jung – die ruhigen Tage gehen zu Ende. Nicht alle Wünsche werden sich erfüllt haben, Fragen bleiben. An der Schwelle zum Alltag ist ein Wort gegen die Verunsicherung zu hören: Gott wird befreiend an den Menschen handeln, Neues wird wachsen. Diese Ansage – die Jesus aufnimmt (Lk 4) –, kann auch uns gewiss machen auf unseren Wegen ins neue Jahr hinein.

Liebe Gemeinde,
das kann es geben: Man hatte ganz große Erwartungen – und dann kam es doch anders.
„Zwischen Weihnachten und Neujahr wird es ruhiger“ hoffen manche. „Da kann der Stress abklingen. Da haben wir endlich genug Zeit für einander.“ Und dann kommt etwas dazwischen, und nichts ist es mit den Hoffnungen, die man hatte.
Es kann auch eine Urlaubsreise sein, von der man in den schönsten Farben geträumt hatte. So viel hatte man sich gerade von diesem Urlaub versprochen, und dann verlaufen die Tage eher enttäuschend.

Die Menschen, von denen wir heute hören, müssen ebenfalls mit einer Enttäuschung fertigwerden. Und da geht es nicht nur um einen Urlaub oder ein paar Tage, die nicht so sind, wie man hoffte. Da geht es um die Lebensgrundlage.
Nach vielen Jahren durften sie endlich wieder heim. Die Rückkehr in ihr Heimatland hatten sie sich in den schönsten Farben ausgemalt. Wie hatten sie sich gefreut, Jerusalem wiederzusehen!
Und dann hatten sie die Stadt – nach Jahrzehnten in der Fremde – wieder betreten,
und mussten feststellen: Jerusalem lag noch immer in Trümmern.
„Wie kann dieser Ort jemals wieder unsere Heimat werden?“ „Warum sind wir überhaupt zurückgekehrt?“ „In Babylon waren wir fremd, aber hier ist nichts als Elend.“
Und dann tritt einer in die Mitte und hat ein neues Wort. Ein neues Wort für die Verzagten.

Wir hören aus dem Jesajabuch, Kapitel 61:

[Lesen des Predigttextes Jesaja 61,1-4.9-11]

Die Gegenkraft: das Wort von außenEnttäuschungen bleiben niemandem erspart. Manches, was wir erleben, zieht uns hinunter. Wie können wir damit umgehen? Wie kommen wir damit zurecht?

Da müssten Gegenkräfte her. Doch wo sind sie? Wie kann die Resignation unterbrochen werden? Wovon nähren wir uns, wenn wir innerlich müde sind?

In Jerusalem damals kam ein Wort auf die verzagten Menschen zu, ein Wort von außen. Der es sprach, wusste sich von höchster Stelle in Dienst genommen. Er hatte den Mund aufgetan, um von Gott her etwas Neues anzusagen. Mit seinen Worten sucht er die Traurigkeit der Menschen zu überwinden.
Dem Propheten mangelt es dabei nicht an Selbstbewusstsein! Er weiß sich vom Geist Gottes bewegt. Er spricht davon, dass ihn Gott der HERR gesalbt habe.

Gesalbt werden in biblischer Zeit bestimmte Menschen, etwa Könige und Propheten, um einen wichtigen Auftrag auszuführen. Der hier spricht, hat den Auftrag, Menschen im Elend etwas Neues anzusagen. Eine gute Botschaft zu den Menschen zu bringen, deren Hoffnungen zerbrochen sind.

Was der Prophet ansagt: Öffnung, Befreiung, SchuldenerlassDer Prophet sagt an: Da öffnet sich etwas. Die Augen öffnen sich für das Neue, das Gott tut. Die Gedanken, die immer nur um sich selber kreisen, öffnen sich.
Eine Zeit der Gnade bricht an. Gnade kommt und lässt die Trauer weichen. Zerbrochene Herzen sollen verbunden werden und heilen.

Was Gott durch diesen Menschen hören lässt, das ist etwas Großes! Das ist nicht nur eine neue Jahreszahl auf dem Kalender, das ist eine neue Zeit, eine ganz neue Sichtweise.
Gott schafft Befreiung:
Altschulden werden erlassen.
Wer bedrückt war, wird aufatmen.
Wer im Elend war, wird getröstet.

Was vor Augen steht, ist nicht das Letzte, nicht das Gültige, lässt Gott sagen.
Gültig ist, was Gott zu tun verspricht:
Gott macht es hell,
Gott macht es weit.
Gott ist nicht am Ende.
Gott fängt an.
Ein gnädiges Jahr des HERRN beginnt.

Die sichtbaren Bilder für das Neue: Krone, Öl und neue Kleider, Menschen wie Bäume GottesDen trauernden und müde gewordenen Menschen sagt der Prophet: Gott wird ganz neu an euch handeln: Menschen, die in der Asche ihrer Trauer saßen, die verschlossen waren gegen ihre Umwelt, denen wird ein Kopfschmuck in Aussicht gestellt. – Eine Krone statt der Asche! Bald werden sie ihr Haupt wieder erheben. Mit neuer Würde geschmückt.
Kostbares, duftendes Öl steht bereit für die Niedergeschlagenen. Sicher wird es nicht gegen ihren Willen einfach über sie ausgegossen. Doch es steht zur Verfügung. Sie können ein paar Tropfen davon auftragen. Spüren, wie es sich anfühlt, was für ein neuer Duft da ins Leben kommt. Nach und nach lockt Gott seine Leute ins Leben zurück und in die Freude.

Und dann gibt es noch schöne Kleider! Wer will ein Festgewand probieren? Und sein Trauerkleid, seine betrübten Gedanken dafür loslassen? – Gott kleidet Menschen neu ein. Kleider machen Leute, heißt es. Gott schenkt neue Kleider und schafft eine neue Wirklichkeit.
Gott stellt seine Menschen wieder her. Was er tut und schenkt, gibt ihnen ihre Würde zurück und stärkt ihren Mut.

Menschen, die das erfahren haben, gewinnen einen aufrechten Gang. Sie sehen nicht nur bis zum nächsten Problem, sondern schon weiter. Und das sieht man ihnen an.

Landauf und landab wird man solche von Gott innerlich belebten Menschen mit einem neuen Namen nennen: „Gottesbäume“ heißen sie, „Pflanzung des HERRN“. Ihre Wurzeln reichen tief, und sie tragen wohlschmeckende Früchte. Sie sind etwas zum Lob Gottes.
Sie erheben ihr Haupt, sagen frei und freundlich und klar, was ist. Sie breiten den Wohlgeruch der Gnade Gottes aus. Wahre Kostbarkeiten sind sie. Menschen, die fest stehen wie ein Baum und für andere wirken. Sie sind für die Welt ein Segen.

Das Wachsen und der Weg ins LobenAlles, was wächst, braucht Zeit. Das gilt auch für die „Bäume der Gerechtigkeit“, für die „Pflanzungen des HERRN“. Botanisch ist hier von Terebinthen die Rede, also von prächtigen Bäumen. Auch Terebinthen brauchen Zeit zum Wachsen.
Doch wenn es eine Terebinthe wird, dann ist auch das kleine Bäumchen schon eine Terebinthe. Eine ganz besondere Pflanze – nach dem Willen und Ratschluss des Herrn.
Gott der HERR hat das Neue geschaffen. Er hat sein Wort sagen lassen, hat gepflanzt und ist weiter am Segnen.

Manche haben schon offene Ohren für das, was Gott sagt. Manche haben schon offene Augen für das, was Gott wachsen lässt. Vielleicht sind manche Augen noch verschlossen – weil da noch Tränen sind. Vielleicht können manche Ohren noch nicht vernehmen, was Gott ihnen sagen will.
Aber manche Menschen fangen schon mit Lobgesängen. Nicht weil sie die Welt, wie sie ist, nur noch durch eine rosa Brille sehen würden, sondern weil sie gehört haben, worauf das alles hinauslaufen soll. Sie sehen eine Bewegung und fühlen sich davon mitgenommen. schon rundum alles zu loben wäre, aber weil sie sich doch getragen wissen und in eine Bewegung gestellt.
Das Loben richtet sie auf und richtet sie aus auf ein gutes Ziel hin.
Etwa so wie am Ende unseres Textes: „Ich freue mich im HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam mit priesterlichem Kopfschmuck geziert und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt. Denn gleichwie Gewächs aus der Erde wächst und Same im Garten aufgeht,
so lässt Gott der HERR Gerechtigkeit aufgehen und Ruhm vor allen Völkern.“

In Jesus leuchtet die Verheißung – und wir nehmen sie ins neue Jahr mitLiebe Gemeinde,
das Loblied auf das Kommende ist in Israel lebendig geblieben. Es ist nicht über der Normalität in Vergessenheit geraten. Bis heute nicht. Es wird im Synagogengottesdienst regelmäßig verlesen. Als Jesus in seiner Heimatstadt Nazareth wie gewohnt im Gottesdienst war, berichtet der Evangelist Lukas, dass Jesus begehrte, die Lesung aus der Schrift zu übernehmen. Und der vorgesehene Abschnitt aus dem Propheten war genau dieses Loblied auf das Kommende. Er hat es vorgelesen. Doch er hat es nicht bei der Lesung belassen. Er hat das Gelesene auf unerhörte Weise kommentiert. Er sagte:
Auf mir ruht Gottes Geist. Und Gottes Werk der Befreiung geschieht weiter, es geschieht durch mich. „Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren“ (Lukas 4,21).

Jesus tritt in diese Verheißung hinein. In ihm leuchtet auf, was Gott durch seinen Propheten verkündet hatte.
Lasst uns in ein neues Jahr gehen mit der Botschaft von Gottes Befreiung im Ohr und im Herzen. Was Gott ansagt und was Jesus zum Leuchten bringt, das macht uns zuversichtlich und getrost.
Das lässt uns aufschauen, aufatmen, das nimmt uns mit in die Freiheit und ins Loben:
„Ich freue mich im HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet.“ (V.10)

Amen.

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