Letzter Sonntag nach Epiphanias (02. Februar 2020)

Autorin / Autor:
Rundfunkpfarrerin i. R. Dr. Lucie Panzer, Stuttgart [lucie.panzer@web.de]

Offenbarung 1, 9-18

IntentionDie Aussicht auf den lebendigen Jesus macht die Welt anders – bis heute. Denn er hat den Schlüssel, begleitet uns und zeigt neue Wege. Die Zukunft ist offen.

Gefangen, gelähmt, hilflosWenn es nicht so weitergehen kann wie bisher, dann geht einem irgendwie die Welt unter. Im privaten Bereich: Wenn Ehe oder Partnerschaft am Ende scheinen, wenn berufliche Pläne scheitern, wenn man weggehen muss von da, wo man zu Hause war: Da geht die Welt unter.
Und im öffentlichen Bereich genauso: Die Klimakatastrophe, die schlimmen Zustände in den Flüchtlingslagern, und zu viele sagen: wir können nicht helfen. 26 % der Kinder im wohlhabenden Baden-Württemberg sind auf Hartz IV-Leistungen angewiesen, und die Zahl wächst an. Wohin soll das führen, fragen viele.
Manche versuchen, davon zu laufen. Wollen nichts mehr davon hören und sehen. So wie Mose, dem seine Probleme über den Kopf gewachsen sind. Wir haben in der Schriftlesung von ihm gehört (2. Mose 3, 1-8.10.13-14).
Aber das gelingt längst nicht allen. Manchmal ist man wie gelähmt. Gefangen in der eigenen Hilflosigkeit. Eine Katastrophe droht, sie wird mich mitreißen. Aber was könnte ich jetzt noch tun? Ich kann da doch gar nichts machen.

Johannes auf Patmos erzähltSo stelle ich mir die Situation von Johannes vor, der uns heute Morgen beschäftigen soll. Johannes, der Leiter einer christlichen Gemeinde zur Zeit der Christenverfolgungen im 1. Jahrhundert. Ihn hatte man auf die Insel Patmos verbannt. Da war er völlig abgeschnitten von seinen Leuten. Er konnte nichts für sie tun. Er musste das Schlimmste befürchten, für sich und für seine Gemeinde.
Da passiert ihm, was Mose auch passiert ist: Er hört ein Wort, das ihm weiter hilft. Er sieht ein Zeichen, das ihm Hoffnung macht. Er hat einen Traum, der ihm die Augen öffnet, eine Vision, die ihm einen Weg zeigt und eine neue Welt. Und das, was er sieht und hört und träumt, das rührt ihn an.
Ich will Ihnen vorlesen, was Johannes über seine Vision berichtet. Vielleicht, dass es auch Sie und mich anrührt, was er gehört hat. Ich lese den heutigen Predigttext (Offenbarung 1, 9-18):

Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus.
10 Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune,
11 die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea.
12 Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter
13 und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel.
14 Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme
15 und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen;
16 und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.
17 Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte
18 und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.

So hat Johannes beschrieben, was ihn angesichts der drohenden Katastrophe angerührt hat.
Später war er sicher, dass Jesus Christus selbst zu ihm gesprochen hat. Was hat er ihm gesagt? Was hat Johannes gehört?

Johannes hört: Fürchte dich nicht!Das erste: Fürchte dich nicht! Das ist oft das erste, wenn Gott sich zu Wort meldet. „Fürchte dich nicht!“ Fast immer fängt es damit an. Wahrscheinlich ist das überhaupt der Grund, warum Gott sich zu Wort meldet auf ganz verschiedene Weise. Dass Menschen sich nicht fürchten sollen. Wer sich nicht fürchtet, gewinnt einen klaren Blick auf das, was vorgeht. Dann macht einen die Angst nicht verrückt. Dann lässt man sich nicht verrückt machen von dem, was andere befürchten. Damit ist schon viel gewonnen. Deshalb: Fürchte dich nicht.

Ich bin der erste …Und dann hört Johannes und ist sicher, dass Jesus selbst mit ihm spricht: Ich bin der erste und der letzte und der Lebendige.
Ich bin der erste: Ich war schon dort, wo du jetzt auch bist. Ich kenne die Gefahren und die Angst. Ich kenne das Leid und das Mitleid. Von Kindheit an haben sie mich verfolgt. Ich bin Menschen begegnet, deren Leid hat mir das Herz abgedrückt. Man hat mich verhaftet. Man hat mich hingerichtet. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich kenne die Angst, die man hat, wenn einem eine Katastrophe bevorsteht. Aber: Man kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Gott hält das Leben fest und hält am Leben fest. Ich bin der erste, der das erfahren hat. Das, denke ich, meint Jesus, wenn er sagt: Ich bin der erste.
Seither sagen wir Christen: Er ist auferstanden, Gott hat ihn nicht fallen lassen. Das Leben geht weiter. Auch wenn alles zu Ende scheint und einem die Welt untergeht.
Ich bin der erste, hört Johannes. Und wenn du dich fragst, wie es weitergehen soll, kannst du dich an mir orientieren. Da siehst du, wie es geht, wenn man Angst hat. Wie man mit Leid umgehen kann, mit dem eigenen und dem der anderen. Was einen tröstet und wie man andere tröstet: An mir kannst du das sehen. Und dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Von mir haben das viele erfahren. Ich bin der erste.

… und der letzte …Und ich bin der letzte. Nicht die Vorhersagen, nicht die Weltuntergangspropheten, nicht die Hochrechnungen und nicht die Prognosen haben das letzte Wort. Die Zukunft ist nicht das, was sich ergibt, wenn es immer so weitergeht. Es kann so nicht weitergehen. Das ist ja wahr. Aber die Zukunft kann anders sein. Denn die Zukunft ist Gottes Welt. Die Welt, die so ist, wie Gott sie haben will. Das, was nicht so bleiben kann wie es ist, wird vergehen. Und das ist kein Weltuntergang. Gottes neue Welt wird kommen. „Die Herren dieser Welt gehen“, hat der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann gesagt, „unser Herr aber kommt.“ Dann werden die Tränen abgewischt. Und Tod, Leid, Geschrei und Schmerz werden nicht mehr sein.

… und der LebendigeIch denke, das hat auch Johannes herausgehört aus diesem „Ich bin der letzte“ und dann hört er noch: „Und ich bin der Lebendige.“ Ich bin lebendig, jetzt, hier und heute. Nicht bloß damals. Nicht bloß irgendwann in einer anderen Welt. Nein. „Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.“ Ich bin lebendig. Ich bin flexibel und beweglich. Ich stehe nicht fest auf einem Standpunkt, und die Welt entwickelt sich nicht an mir vorbei. Ich gehe mit. Ich bin bei dir, wohin du auch gehst. Wohin dich das Leben auch verschlägt. Ich bin bei dir. Ich finde Wege zu dir. Ich finde Wege für dich. Ich gehe mit dir. Du musst deinen Weg nicht allein finden. Du musst nicht allein gehen. Und wenn du fällst oder das Leben dich niederschlägt: Ich stehe dir bei. Ich helfe dir auf. Ich werde Wege dazu finden.

Krisen und Katastrophen sind oft der Beginn einer neuen, besseren EntwicklungSie merken: Ich habe versucht, mit Johannes zu hören und mit ihm zu verstehen, was er damals gehört hat. Ich habe versucht, mich anrühren zu lassen. So wie mich manchmal ein Wort anrührt, dass mir einer sagt, wenn ich meine, die Welt müsste untergehen.
Und ich habe gemerkt: Da redet einer, der den Weltuntergang hinter sich hat. Ich war tot und ich bin lebendig, sagt er. So kann nur Jesus Christus selber reden. Nur er kann sehen, was ich nicht sehen kann und was auch Johannes damals noch nicht sehen konnte.
So ist das, sagt mir meine Lebenserfahrung, auch, wenn die Probleme groß und gravierend sind: Wenn eine Beziehung scheitert, eine Ehe zerbricht. Dann scheint alles aus und vorbei, alles, worauf man seine Zukunft gebaut hat. Aber oft ist es doch auch ein neuer Anfang, und es zeigen sich neue Möglichkeiten, und man spürt: Das Leben geht weiter. Anders – aber es kann doch auch wieder schön werden.
Und auch im öffentlichen Leben: Wie viele Krisen und Katastrophen sind am Ende der Beginn einer neuen, besseren Entwicklung. Ein verlorener Krieg, der Zusammenbruch einer Weltordnung, ein Tsunami, ein Supergau: Das ist unglaublich viel Leid und Unglück und für viele geht die Welt unter. Und doch sind die Katastrophen auch der Anlass zum Umdenken, der Anfang einer neuen Entwicklung und die Chance, es anders und besser zu machen. Und die Sorge um das Klima – sie kann der Anfang sein von einem neuen sorgsameren Umgang mit unserer Welt

Jesus hat den Schlüssel. Er lebt, begleitet uns und zeigt WegeDas sagt mir meine Lebenserfahrung und Ihre vielleicht auch. Wer auf Jesus hört und sich an ihm orientiert, der findet Wege, dass es anders werden kann. Denn er hat den Schlüssel, heraus aus den Gefängnissen, in denen Menschen mit ihrer Angst kämpfen. Er hat den Schlüssel, wenn sich Menschen manchmal gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Auf einmal öffnet sich das Gefängnis der eigenen Borniertheit, der eigenen Verbohrtheit. Auf einmal finden sich die richtigen Worte, findet sich die neue Idee: Und eine Tür geht auf, und der Weg in die Zukunft ist offen.

Da sei ein naiver Optimismus, sagen Sie jetzt vielleicht, und längst nicht alle Krisen gehen gut aus. Manches ist und bleibt tot. Und mancher liebe Mensch kommt wirklich nicht wieder. Endgültig. Aber auch da sagt der, der schon vorausgegangen ist, auch in den Tod: Ich habe den Schlüssel. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Gewiss, es geht nicht alles gut aus. Manchmal dauert es lange, bis sich Neues zeigt. Auch Jesu Jünger damals, nach der Katastrophe seiner Hinrichtung, haben den Untergang ihrer Welt erlebt. Aber sie haben auch erfahren: Er lebt. Er ist bei uns. Er begleitet uns. Da konnten sie einander stärken und stützen und aushalten helfen und sich gegenseitig die Hoffnung erneuern.

Diese Aussicht macht die Welt anders – bis heuteDie Leute damals haben gespürt: Mit dieser Aussicht hat die andere Welt bereits angefangen. Und ich behaupte: Diese Aussicht macht die Welt anders – bis heute.
Amen.

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