Okuli / 3. Sonntag der Passionszeit (15. März 2020)

Autorin / Autor:
Dekan Dr. Ekkehard Graf, Marbach [Ekkehard.Graf@elkw.de]

Lukas 9,57-62

IntentionJesus fordert uns heraus. Er fordert uns auf, ganze Sache mit ihm zu machen. Dies kann bedeuten, liebgewordene Lebensumstände zu verlassen, Traditionen hinter sich zu lassen oder familiäre Verpflichtungen, die uns auf dem Weg der Nachfolge Jesu behindern, zu überdenken. Wer etwas aufgibt oder verlässt, um Jesus nachzufolgen, wird reich dafür beschenkt und ein Vielfaches von Gott empfangen.

Liebe Gemeinde,
Lukas überliefert uns in seinem Evangelium mehrere Begegnungen mit Jesus. Lukas 9,57-62:
„Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Er aber sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“
Jesus fordert heraus und Jesus fordert auf, ganz klar hinzuschauen, was uns hindert, ganze Sache mit ihm zu machen.

Jesus fordert auf, die Heimat zu verlassenMatthäus überliefert uns, dass der erste, der da zu Jesus kommt, ein Schriftgelehrter war. Also einer der ganz bewusst zu Jesus kam, um von ihm als einem Rabbi noch mehr zu lernen. Er wolle eine Zeitlang etwas lernen, also ein paar Informationen über ein gottgefälliges Leben. Doch Jesus fordert ihn auf, seine Heimat zu verlassen und ihm nachzufolgen. Jesus freut sich, wenn Leute ihn begleiten wollen, aber das geht nicht einfach nur abschnittsweise oder sonntagsweise, sondern wenn, dann ganz. Jesus schenkt reinen Wein ein; er sagt: „Dort wo ich unterwegs bin, bin ich immer ein Fremdling. Dort wo ich bin, gibt es keine Heimat.“ Da geht es sogar den wilden Tieren besser. Selbst Füchse und Vögel haben einen Ort. Aber er, der Schöpfer, hat keinen Ort, wo er wirklich zuhause ist. So berichten es uns auch die Evangelien. Es beginnt damit, dass seine irdische Geburt dort stattfindet, wo Maria und Josef gar nicht zuhause sind. Nicht in Nazareth, sondern in Bethlehem. Ohne Kinderbettchen, sondern in einer Futterkrippe. Und dann trachtet der König Herodes nach dem Leben, und die Familie muss für etwa vier Jahre nach Ägypten. Später nach seiner Taufe am Jordan kam er mal in seinen Heimatort Nazareth. Aber dort haben sie ihn hochkant rausgeschmissen. Jesus hatte keine Heimat, keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen konnte. Das war keine idyllische Zeit, als Jesus als Wanderprediger umherzog. Es war existentiell sehr herausfordernd. Jesus ging es so, wie wir es in der Winterzeit von Obdachlosen in unserem Land hören: kein Platz, wo sie willkommen sind, kein Ort, wo sie sich beruhigt schlafen legen können. Jesus fordert dazu auf, seine Existenz mit ihm zu teilen, dass man ohne Heimat unterwegs ist.
Auch bei uns: Wir haben es hier schön, wir dürfen in festen Häusern wohnen, zur Miete oder im Wohneigentum. Wir haben es warm, wir haben Strom und Wasser, großartig. Eigentlich auch ein Grund, über diese Lebensumstände ins Dankgebet zu gehen. Gott dafür zu danken, wie gut wir es haben. Aber wenn wir Jesus nachfolgen, dann bleiben wir auch ein Stück weit heimatlos, obwohl wir gute äußere Umstände haben. Es ist nämlich eher so, dass uns die innere Heimat nicht gegeben ist. Kommen Sie ins Gespräch mit Ihren Nachbarn, mit Ihren Verwandten, die wohl nicht an Jesus glauben. Was für Werte haben sie, was ist ihnen wichtig? Da merken wir, wie fremd wir einander sind. Wir werden in der Jesus-Nachfolge dieser Welt entfremdet, weil wir in manchem anders ticken als die Leute um uns herum. Jesus fordert uns auf, die bedeutungslosen Werte, diese oberflächliche Ethik dieser Lebenswelt, zu verlassen, quasi heimatlos zu werden. Aber zugleich verspricht er uns eine Heimat bei seinem himmlischen Vater.

Jesus fordert auf, die Traditionen zu verlassen„Folge mir nach!“, sagt Jesus zu einem. Diesen Ruf hat er auch zu dem Zöllner Levi Matthäus gesagt und zu Philippus. Beide sind ihm sofort nachgefolgt, sind seine Jünger geworden ohne weitere Diskussion. Doch in dieser Begegnung antwortet der Angesprochene: „Ich habe da noch eine wichtige Verpflichtung. Lass mich zuvor meinen Vater begraben!“ In einem Bibelkommentar zu dieser Stelle steht, dass der Vater wohl noch nicht verstorben war, sondern schwer krank darnieder lag; es könnte also noch eine Weile dauern, bis die Nachfolge umgesetzt werden kann. Dennoch ist es eine Zumutung durch Jesus, was er da verlangt. Jedem Juden der damaligen Zeit dreht es da den Magen um, weil es die heilige Pflicht und Tradition erfordert, dass der Sohn für das Begräbnis seiner Eltern sorgt. Als einzige Ausnahme galt im alten Israel, dass einer, der gerade im priesterlichen Dienst agiert, sich nicht an Toten verunreinigen durfte und daher von dieser Pflicht ausgenommen war. Das könnte der Schlüssel sein, warum Jesus fordert, diese Tradition zu verlassen. Beim Ruf in die Nachfolge sagt Jesus quasi: „Ich berufe dich in einen priesterlichen Dienst!“ Denn er ergänzt: „Geh hin und verkündige das Reich Gottes! – Wirke du jetzt in der Vollmacht Gottes!“ Es geht nicht darum, alte Traditionen zu bedienen, sondern es geht regelrecht darum, Menschenleben zu retten. Dass die Menschen das Reich Gottes erfahren, es annehmen und gerettet werden für die Ewigkeit, das zählt mehr als einen Abschiedsritus zu gestalten, den die Tradition vorgibt. In der Tat ist dies eine starke Herausforderung durch Jesus.
Was haben wir für Traditionen, in denen wir stecken, die uns Jesus zu verlassen auffordert? Was hindert uns noch, ganze Sache mit Jesus zu machen? Das ist bei jeder und jedem unterschiedlich und auch in verschiedenen Lebensaltern nicht vergleichbar. Aber welche Traditionen, wel-che scheinbaren Verpflichtungen binden dich so, dass du nicht ganze Sache im Glauben, in der Nachfolge mit Jesus, machen kannst? Diese unbequeme Frage müssen wir uns heute stellen lassen!

Jesus fordert auf, die Familie zu verlassenIn der dritten Begegnung wird es noch einmal richtig hart. Einer will Jesus nachfolgen, vorher aber noch Abschied feiern. Als der Prophet Elia den Elisa zum Nachfolger berufen hat, war es in Ordnung, dass dieser noch von seiner Familie Abschied nahm. Aber hier haben wir jetzt eine andere Situation. Bei Elisa war dafür noch Zeit, bei Jesus nicht mehr. Jesus hatte sich bereits auf den Weg nach Jerusalem gemacht. Jetzt war keine Zeit mehr für rauschende Partys. Jetzt ging es darum, sich zu konzentrieren, um möglichst noch viele auf diesem Weg für Gottes Reich zu gewinnen. Jesus gebraucht ein Bild aus der Landwirtschaft: „Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ Wer beim Pflügen nach hinten schaut, dem läuft die Pflugspur daneben. Man muss nach vorne ausgerichtet bleiben, in antiken Zeiten auch deswegen, um rechtzeitig einen Felsbrocken auf dem Acker zu erkennen. Denn sonst ging die hölzerne Pflugschar zu Bruch. Da war keine Möglichkeit, nach hinten zu schauen. Und so soll es auch sein, wenn man sich mit Jesus auf den Weg macht. Kein Blick zurück, der einen durcheinanderbringt, der einen vielleicht aus einer Sentimentalität heraus noch mal ins Fragen bringt. Auch kein Blick zurück, der einen in eine alte Bindung zurückfallen lässt. Nicht nur familiäre Bindungen, vielleicht auch eine Bindung einer Sucht, eine Bindung einer alten Schuld. All das soll jetzt in der Nachfolge Vergangenheit bleiben. Dort wo dich deine Familie binden will, da ist es wichtig, den Blick nach vorne zu richten. Familie ist wichtig, aber nicht relevant für die Ewigkeit. Wenn die Familie uns daran hindert, mit Jesus unterwegs zu sein, sollen wir die Familie lieber verlassen.
Ganz so hart wird es bei uns wohl eher selten sein, aber wie oft kollidieren familiäre Verpflichtungen damit, meinen Glauben zu leben. Kann ich bei der großen Familienfeier noch ein Tischgebet sprechen, wenn Zweidrittel der Familie überhaupt nichts vom Glauben wissen will? Habe ich die Möglichkeit, an den Weihnachts- und Osterfeiertagen die Gottesdienste wahrzunehmen, oder bin ich familiär verpflichtet, zu irgendwelchen Festen zu gehen, statt meinem Bedürfnis nach Gemeinschaft unter Christen nachzugehen? Das fällt nicht leicht, es fordert uns zu einem klaren Bekenntnis heraus. Aber auf dem Weg der Nachfolge Jesu werden wir unermesslich gesegnet.
In der Nachfolge unseres Herrn zu sein, heißt vor allem, beschenkt zu werden. Was auf den ersten Blick mitunter wie ein Verlust aussieht, wenn es heißt, die Heimat zu verlassen, Traditionen und Verpflichtungen aufzugeben, oder gar die Familie zu verlassen, ist in Wahrheit ein vielfaches Empfangen: Eine Heimat im Himmel, ein Leben ganz ausgerichtet am gütigen Gott des Friedens und eine neue Familie, Schwestern und Brüder in der Gemeinde, mit denen wir gemeinsam unterwegs sein dürfen mit und zu Jesus. So sind wir reich beschenkt in der Nachfolge. Amen.

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