Quasimodogeniti (19. April 2020)

Autorin / Autor:
Rundfunkpfarrerin i. R. Dr. Lucie Panzer, Stuttgart [lucie.panzer@web.de]

Jesaja 40, 26-31

IntentionIn Krisenzeiten wird man schneller müde und matt. Ich möchte den Rat des Jesaja weitergeben: Auf Gott vertrauen – das gibt neue Kraft.

Gottvertrauen macht stark„Weißt du, wieviel Sternlein stehen…?“ Als unsere Kinder klein waren, habe ich ihnen das gern zum Einschlafen vorgesungen. „Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet.“ Und am Schluss: „… kennt auch dich und hat dich lieb“. Mit diesem Lied konnten sie gut einschlafen und heute singen sie es ihren Kindern vor.
Die Kinder fühlen sich geborgen mit diesem Lied. Sie spüren die Liebe von Mutter oder Vater, die für sie singen. Und sie hören, dass Gott sie auch liebt. Das gibt Sicherheit für die Nacht. „Urvertrauen“ nennen das die Psychologen. „Gottvertrauen“ sage ich lieber. Es ist gut, wenn Kinder so aufwachsen können. Da wird eine Grundlage gelegt für das ganze Leben. Die Psychologen sagen, wer solches Urvertrauen hat, den kann im Leben so schnell nichts erschüttern.
So hat das wohl auch Wilhelm Hey gesehen, der Pädagoge und Pfarrer, der das Lied im 19. Jahrhundert gedichtet hat. Von ihm stammt auch das Morgengebet für Kinder, wo es am Schluss heißt: „Behüte mich auch diesen Tag, dass mir kein Leid geschehen mag.“ Gott der Herr, der die Sternlein zählt, die Mücklein und die Fischlein, der auch mich liebhat – der wird mich behüten. Wie schön, wenn Kinder mit so einem Gefühl in den Tag gehen können. Das macht mutig und selbstbewusst. So müssen sie nicht ängstlich sein.
Wilhelm Hey hat sich für sein Lied von einem Abschnitt aus der Bibel inspirieren lassen. Ein Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja, da ist auch von den Sternen die Rede, die Gott mit Namen ruft, damit ihm nicht einer fehlt. Ich lese ihnen das einmal vor.

Jesaja 40, 26-31:
26 Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. 27 Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: „Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber“? 28 Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. 29 Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. 30 Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; 31 aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

Auch in schweren Zeiten?Das ist ein Prophetenwort für Erwachsene. Jesaja hat es in schwerer Zeit zu seinen Landsleuten gesagt. Eine feindliche Großmacht hatte ihr Land mit Krieg überzogen, jetzt war die Heimat zerstört, die Menschen ins Feindesland verschleppt. Jahre war das schon her, das unfreiwillige Exil dauerte nun schon viele Jahre. Kein Wunder, dass die Leute mürbe werden. Kein Wunder, dass sie sagen: „Gott kümmert sich nicht mehr um uns. Verlierer wie wir sind ihm egal.“ Was gab es für sie noch zu hoffen – sie würden im fremden Land untergehen und sterben.
Da redet dieser Jesaja von Gottes Macht und Kraft. Er kennt jeden Stern. Er hat das Weltall geschaffen. Jesaja will den Verzagten Mut machen. Er versichert ihnen: „Gott steht auch jetzt zu euch. Habt Geduld. Er kann euch helfen. Er wird euch helfen.“ So, wie die Eltern ihren Kindern singen: „Kennt auch dich und hat dich lieb!“ – ganz egal, was am Tag schief gegangen ist. Ganz egal, welche Enttäuschung, welcher Kummer das Kind bedrückt.
Zu Kindern kann man wohl so reden, sagen Sie jetzt vielleicht. Die wissen ja noch nicht, wie die Welt sein kann und wie die Menschen sind. Denen muss man noch nicht von den dunklen Seiten des Lebens erzählen. Die lernen sie noch früh genug kennen.
Aber ich glaube, das ist auch für Kinder nicht richtig so. Man kann ihnen nichts vormachen. Natürlich soll man ihnen nichts vormachen. Aber man muss ehrlich sein zu ihnen. Sie spüren nämlich ganz gut, wenn etwas nicht in Ordnung ist.
Es ist für Kinder nicht richtig, ihnen etwas vorzumachen. Und für Erwachsene erst recht nicht. Probleme zu verharmlosen, schlechte Nachrichten als fake news zu bezeichnen, das macht die Dinge nur schlimmer. Wohin das führt, sehen wir in dieser Corona-Pandemie zum Beispiel in den USA oder in Großbritannien, wo man es zu lange mit Verharmlosen probiert hat.

Die Situation nicht verharmlosen!Jesaja verharmlost nichts. Er weiß ja, wie die Leute reden: „Mein Weg ist Gott verborgen“, sagen sie. Es ist Gott egal, wie es uns geht. „Gott hat mich verlassen“, zitiert er seine Landsleute, er hat uns vergessen“ (Jes 49, 14). Jesaja versteht das. Damals das Leben weit weg von der Heimat. Heute das Leid so vieler. Alte Menschen, die abgeschnitten sind von ihrer Familie, die sie so dringend brauchten. Junge, die leben möchten in diesen Frühlingstagen und leben müssen wie Gefangene. Ich mag gar nicht daran denken, wie es den Menschen in anderen Ländern geht, wo die Versorgung nicht so gut klappt wie bei uns. Oder die Menschen in den Flüchtlingslagern. „Um uns kümmert sich niemand, kein Mensch und kein Gott“. Wen wundert es, wenn sie so reden und verzweifeln. Und in ihrer Verzweiflung verzweifelte Dinge tun.
Jesaja damals hat das gekannt genau wie wir heute. Er hat gesehen, wie sie müde geworden sind und matt. Gerade auch die jungen, die vom Leben abgeschnitten sind. Gerade auch die Starken, weil sie so gar nichts machen können. Für die Starken ist das besonders schwer zu ertragen.

Jesajas RatJesaja hat einen Rat für sie: „Harren“ rät der Prophet, „auf Gott harren“, denn der kann neue Kraft geben. „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler.“ Mir gefällt diese altertümliche Formulierung aus der Luther-Bibel – vor allem das Wort „harren“. Harren: Das heißt warten, heißt Geduld haben. Also nicht: alles hinschmeißen und weg, wenn mir alles zu viel geworden ist. Nicht: Sich besinnungslos ins Leben stürzen, weil die Situation scheinbar nur so auszuhalten ist. Auch nicht die Augen schließen und schlafen, nichts mehr mitkriegen, wie betäubt aufgeben. Das läge ja nahe, wenn man müde ist. Auch nicht so tun, als ob nichts wäre.
Jesaja rät: die Müdigkeit ruhig zulassen, warten, Pause machen, weil ich nicht mehr kann. Zugeben, dass ich nicht mehr kann. Aber darin sich nicht aufgeben, sondern wissen: Es wird anders werden. Das steckt für mich in diesem altmodischen Wort harren. Harren heißt in der Erwartung leben, dass etwas Neues, etwas anderes kommt. Harren heißt, mit Gott rechnen. Harren heißt, auf Gott vertrauen. Damit rechnen, dass Gott einen neuen Anfang, neue Kraft geben wird. Ich finde: Man lebt anders mit dieser Hoffnung: Das Leben ist nicht vorbei. Es braucht nur eine Pause.

Die Kraft GottesIch glaube: Viel von der neuen Kraft kommt allein schon daher, dass ich begreife: Ich schaffe es nicht aus eigener Kraft – und das ist nicht schlimm. Ich kann das ruhig zugeben! Ich kann ruhig zugeben, dass ich auf Hilfe angewiesen bin – auf Hilfe von Gott und auf Menschen, die mir helfen. Das ist keine Schande. Im Gegenteil, von Gott, der den Müden und schwach Gewordenen neue Kraft gibt, lerne ich: Angewiesensein ist eine Grundform menschlicher Existenz. Ich darf ruhig sagen, ich schaffe das nicht alleine, nicht meinen Dienst, nicht die Betreuung der Kinder, wenn sie, wie jetzt, immerzu zu Hause sein müssen. Ich schaffe nicht die doppelte Arbeit im Büro, weil eine Stelle wegrationalisiert worden ist. Ich werde allein nicht mehr fertig mit meinem Kummer, ich weiß nicht weiter mit meinem Leben. Ich schaffe das nicht – ich bin angewiesen darauf, dass Gott mir Kraft gibt: Ich bin angewiesen auf Hilfe. Vor Gott darf ich das ruhig sagen, und ich muss mich jedenfalls deshalb nicht für eine Versagerin halten. Gott, steh mir bei. Hilf mir. Schick mir Hilfe.
Und dann kann man – oft und eigentlich meistens – eine ganz neue Erfahrung machen. Eine Erfahrung, die Kraft gibt. Denn dann kann man entdecken, wie viel Hilfe es gibt und wie viele Helfer. Manches mutmachende Wort hätte ich nicht gehört, manche Hilfe wäre nie eingetroffen, wenn nicht jemand gemerkt hätte: Die ist angewiesen auf mich. Eingestehen, dass ich angewiesen bin – das macht stark: weil man Menschen findet, die einem beistehen. Zugeben, dass ich angewiesen bin: Das verbindet stärker als vieles andere und gemeinsam sind Menschen immer stärker als einer allein. Die auf Gott harren, weil sie begriffen haben, dass sie angewiesen sind, die kriegen neue Kraft. Aber das ist eine andere Kraft als die der Jungen und Starken: die Kraft Gottes.

Jesus Christus als Kraft GottesWas ist das für eine Kraft? Ein paar hundert Jahre später hat ein anderer Gottesmann, der Apostel Paulus, den müden und zerstrittenen und frustrierten und verunsicherten Christen in Korinth geschrieben: „Wir predigen Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ Jesus Christus also zeigt, wie die Kraft Gottes aussieht. Was für eine Kraft hatte der?
Jesus hatte z.B. die Kraft, Dinge zu tun, die nicht im Trend lagen. Er hatte die Kraft, Kontakte mit Menschen zu knüpfen, die ihm nichts bringen würden außer vielleicht Scherereien, die ihn aber brauchten. Er hatte die Kraft, sich anzuhören, was sonst keiner hören wollte. Er hatte die Kraft, nicht zu fragen: Was kriege ich dafür? Und er fragte auch nicht: Lohnt sich das denn überhaupt? Er war so stark, dass er keine Angst hatte, zu kurz zu kommen. Deshalb hat er sich zu denen gehalten, die ihn brauchten statt zu denen, die ihm vielleicht hätten nützen können. Und die Menschen um ihn herum haben gespürt und erlebt, wie aus seiner Kraft neues Leben entstand, wo sie schon längst nichts mehr erwartet hatten.
„Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft.“ Die Pause machen, wenn sie müde geworden sind und sich an Jesus orientieren, die kriegen die Kraft Gottes. Wenn ein erster Schritt nötig ist, dann fragen sie nicht länger: Warum denn ich, sondern sagen: Warum nicht ich? Und wenn sie es allein nicht schaffen, dann sagen sie: Es ist nötig, dass wir da etwas tun. Allein schaffe ich das nicht. Aber zusammen könnte es gehen. Und dann werden sie Hilfe finden. Dann wachsen Kräfte, die keiner erahnt hat.
Ich verlasse mich darauf: Gott gibt uns seinen Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit, wenn wir auf ihn harren. Denn er kennt uns und unsere Ratlosigkeit. Und er hat uns lieb. Amen.

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