Jubilate (03. Mai 2020)

Autorin / Autor:
Dekan Hans Stiegler, Ansbach [hans.stiegler@elkb.de]

Johannes 15, 1-8

IntentionIn Verbindung mit Jesus und seinem Wort bleiben – das ist ein Gewinn an Lebensqualität für mich, meine Mitmenschen und die ganze Welt.

15,1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner.
2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe.
3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.
4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt.
5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
6 Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen.
7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.
8 Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger

Liebe Gemeinde!
Die letzten Wochen haben massive Veränderungen, Einschränkungen und Bedrohungen gebracht. Da tut es vielleicht mehr als sonst gut, auf Bekanntes zu stoßen. Viele kennen dieses Wort Jesu vom Weinstock und den Reben. Manchmal bergen so geläufige Worte allerdings auch eine Gefahr in sich: Man hört sie, weiß um ihren Inhalt und hakt sie dann ab. „Alles klar, Jesus der Weinstock und ich eine Rebe an ihm“. Altvertraute Erinnerungen und Bilder im Zusammenhang mit diesem Wort steuern unsere Gedanken. Ich hoffe, dass die vielleicht schon leicht geöffneten Schubladen wieder zugehen. Dass Sie sich mit mir einmal neu auf diese Bildrede Jesu einlassen, um andere Schätze dieses Gleichnisses zu entdecken.

1. Ein Erstes: Haben Sie schon einmal beim Lesen dieses Gleichnisses bewusst wahrgenommen, dass Jesus siebenmal das Wort „bleiben“ in den wenigen Sätzen gebraucht? Wenn wir den Sinn seines Weinstockbildes erfassen wollen, dann nur über dieses „Bleiben“. Es hat für das gesamte Gleichnis und Jesu Predigt darüber zentrale Bedeutung. Jesus geht es ums Dranbleiben und Drinbleiben. Nicht einfach in dem Sinn, dass wir in der Kirche oder in der Kirchengemeinde bleiben ohne auszutreten. Er gibt dem Bleiben eine viel tiefere Bedeutung mit einem fast mystisch geheimnisvollen Zug: „Bleibt in mir!“ Ihm geht es um die Bindung, um die Verbindung zu seiner Person und seinem Werk. Dort, wo zwei Menschen miteinander eine Verbindung eingehen, spielen Worte, spielt die Kommunikation eine ganz entscheidende Rolle. Unsere Bindung, unsere Verbindung zu Jesus hängt zentral mit seinem Wort zusammen. „Wenn ihr bleiben werdet an meiner Rede, dann seid ihr in Wahrheit meine Jünger.“ Zeit haben, reden miteinander, sich immer wieder mit Worten aufeinander einlassen, sich sagen, was einen so im Kopf und im Herzen umtreibt, schafft Beziehung. Zwischen Menschen reißt die Verbindung, wenn sie nicht mehr kommunizieren, gegenseitig keine Worte mehr austauschen, sich nichts mehr zu sagen haben! So wird auch unsere Verbindung zu Jesus abreißen, unser Christsein und Glauben absterben, wenn wir nicht in Wortverbindung, im täglichen Gebet mit ihm bleiben. Jesus hat und will uns seine Worte sagen, weil sie zum Leben führen. Und er will auch, dass es vom Hören zum Tun seiner Worte kommt.
So kann man dieses „Bleibet in mir“ ganz unterschiedlich hören:
– Für die einen ist es ein hartes Wort, fast ein Befehl. „Jetzt wird nicht mehr ausgewichen und auch nicht mehr davongelaufen. Bleib bei mir und geh nicht immer auf Lebenswegen, die von Gott unserem Vater als schlecht bezeichnet werden. Du weißt, dass Gottes Wille in den meisten Fällen klar und eindeutig ist. Lebe endlich danach und tu, was Ich – Jesus – dir in meinem Wort sage!“
– Für andere klingt ein wesentlich liebevollerer Unterton in diesem „Bleibet in mir“: Du Mensch kannst mit all deinen Sorgen und Ängsten zu mir kommen, dich bei mir ausruhen. Du wirst Trost und den Halt finden, nach dem sich dein Herz sehnt. Für dich und dein Leben habe ich Verständnis und biete dir meine Hilfe an.
– Die Dritten hören Jesu Wort so wie der verlorene Sohn die Stimme seines liebenden Vaters: Egal, wie weit du dich von mir, der Quelle des Lebens, entfernt hast, die Tür zum Wiederkommen, zur Heimkehr und zum Bleiben bei mir steht dir ganz offen. Komm, sieh und spüre die Wärme der Heimat im Hause Gottes unseres himmlischen Vaters.
Ich weiß nicht, wie sie Jesu Worte hören. Wichtig ist, dass wir sie nicht überhören, nicht einfach auf Durchzug oder Abschalten stellen.

2. Denn – ein zweiter, oft wenig bewusster Gedanke – Jesus hat Erwartungen an Christen. Glauben hat für IHN Folgen. Sein Reden ist so klar, dass sich daraus Konsequenzen ergeben. Von Frucht redet er. Früchte will er sehen an unserem Leben, in unserem Christsein. In diesem Zusammenhang rückt nun das Bild vom Weinstock in den Vordergrund. Ein Weinstock, egal wie knorrig und alt er auch ist, drückt Saft in seine Reben. Es wachsen Trauben an ihm. Die Leute, die an Jesus bleiben und sich durch seine Worte Nahrung und Wachstum zuführen lassen, stehen in so einer Wachstumsbeziehung. Kräfte, die kein Mensch aus sich hervorbringen kann fließen durch ihr Leben. Man sieht folgerichtig Früchte, Lebensäußerungen, zu denen keiner einfach so in der Lage ist. Welche Früchte hat Jesus im Blick?
Wie oft erschrecke auch ich in meiner, in unserer kleinen privaten Welt, im ganz normalen Leben über manch menschliches Reden, Verhalten und Tun. Wieviel Lieblosigkeit und Unversöhnlichkeit zeigt sich da? In nicht wenigen Berichten unserer Medien geht es leider nicht mehr um die Wahrheit, sondern um das Rechtbehalten, das Kleinmachen des anderen! Ein übersteigerter Egoismus beherrscht das Miteinander. Früchte wie Ehrlichkeit, Nachsicht, Vergebung oder das Zurücktreten des Ichs um des anderen willen sind selten in unserer Gesellschaft. Appelle oder Aufrufe bewirken hier gar nichts. Keiner wird und kann sich einfach so ändern.
Wer aber am Weinstock Jesus Christus bleibt, empfängt so viel Kraft, gegen den Strom der Masse zu schwimmen. Auch auf die Gefahr hin, dass einige mir fromme Illusionen unterstellen: Meines Erachtens kann sich ein Mensch, der am Saftstrom Jesu hängt von der Überbetonung des Ich lösen. Lebensfrüchte wie Demut, Sanftmut, Geduld, Nächstenliebe oder Treue in der Ehe reifen in unserem Alltag, wenn das Ich am Weinstock Jesus Christus bleibt. Schon im Alten Testament macht Jesaja deutlich (Jes 55,11), dass Worte von Gott nicht leer zurückkommen, nicht ohne Wirkung bleiben! Das gilt für uns, die wir als Rebe am Weinstock des Auferstandenen bleiben. Früchte reifen, die der Welt und mir selber im Leben guttun.

3. Nun könnte es sein, dass manchem dieser Anspruch Jesu viel zu hoch erscheint: „Wer so lebt und glaubt verliert ja sein Ich!“ Darauf würde ich antworten: Stimmt. Mein Ich wird immer kleiner, weil das Du Jesu, seine Worte und Wahrheiten immer größer werden. Aber das bedeutet eben keinen Verlust, sondern einen Gewinn an Lebensqualität für mich, meine Mitmenschen und die ganze Welt. Grund dafür ist das letzte Ziel, das Gott durchs einen Jesus für uns alle hat: Er will, dass wir Leben in und Leben mit Fülle haben, in voller Genüge (Joh 10,11)!

Zum Schluss möchte ich eine alte Jungschargeschichte erzählen, die das Nachdenken über unsere eigene Stellung im positiven Sinn befruchten kann.
„Vater Müller hat im Garten vor Jahren ein Apfelbäumchen gepflanzt und freut sich, dass er nach Jahren zum ersten Mal einen Apfel trägt. Alle im Haus wissen das und passen gut auf. Die beiden Söhne Bernd und Stefan spielen im Garten Fußball. Sie wollen sein wie die großen Stars, schlagen Pässe und ballern aufs Tor. Aber einer der Füße geht in die falsche Richtung und trifft bei dem kleinen Apfelbäumchen genau auf dem Apfel, der dann zu Boden fällt. Guter Rat ist teuer. Die zwei Buben haben schließlich eine Idee: Sie holen aus Mutters Nähkasten einen Faden und binden den Apfel wieder an den Baum. Der Erfolg dieser Rettungsaktion ist leider nur von kurzer Dauer, weil nach einigen Tagen der Vater seinen Apfel schrumpeln sieht. Er ist nicht mehr mit dem Saft des Stammes verbunden.“
Für uns heißt das: Bleiben wir an Jesus, an seinem Wort – dann wachsen auch die Früchte aus dieser lebendigen Beziehung zu Jesus Christus!
Amen.

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