Osternacht (03. April 2021)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Gertraude Kühnle-Hahn, Stuttgart [Gertraude.Kuehnle-Hahn@elk-wue.de]

Matthäus 28, 1-10

IntentionIch möchte mit der Predigt einerseits das letztlich unerklärliche Geschehen von Ostern würdigen. Andererseits möchte ich eine Brücke von diesem Geschehen zum einzelnen Menschenleben aufzeigen und einladen, sich auf den Weg zu machen. Denn der Auferstandene begegnet denen, die sich vom „Fürchtet euch nicht“ des Engels bewegen lassen.

28,1 Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. 2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. 3 Seine Erscheinung war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. 4 Die Wachen aber erbebten aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. 5 Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. 6 Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat; 7 und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. 8 Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. 9 Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. 10 Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.

Liebe Gemeinde!
Wenn ich diese Worte der Bibel höre, beneide ich die Musiker und Künstler, die noch andere Möglichkeiten als Worte haben, um dieses Geschehen auszudrücken, zum Beispiel die Kräfte des Erdbebens oder bei Johann Sebastian Bach das „auferstanden am dritten Tage“, hörbar als glückliches Ostergeschrei in der h-moll-Messe: „et resurrexit tertia die“.
Und ein Maler hat seine Farben. Ich denke an das kräftige Hellrot, Gelb und Weiß, das Matthias Grünewald in seinem Auferstehungsbild auf dem Isenheimer Altar gemalt hat. Vielleicht steht es Ihnen vor Augen.

Was Musiker und Maler hörbar und sichtbar machen, ist das, was uns allen in menschlichen Worten anvertraut ist, in Worten, die voller Geheimnis sind. Sie sagen im Grunde Unsagbares.
Erdbeben und Blitz, das können wir uns noch vorstellen, auch eine Grabhöhle, die leer ist, ebenso die Wächter, die wie erstarrt neben dem Stein über ihren Schwertern und Lanzen liegen; und ebenso den Weg der Frauen zum Grab. Das sind Schritte, die wir verstehen.

Aber das Eigentliche ist unsagbar. Der Bericht des Matthäusevangeliums kann sich an dieses Geheimnis auch nur herantasten.
„Er ist nicht hier, er ist auferstanden.“ Das wird hinterher gesagt. Wie die Auferstehung vor sich geht, wird nicht geschildert. Das Wunder hat sich vollzogen. Niemand hat es gesehen. Kein Mensch kann es beschreiben.
Und Musiker und Maler machen nur tastende Versuche, dem nachzuspüren, was gesagt wird. Wir tun das auch. Wir tun es in der Hoffnung, dass unsere kleine Lebensgeschichte hineingezogen wird in dieses große Wunder. Denn sonst wäre das Ganze ja nur ein Spektakel, das der eine für möglich hält, der andere nicht.

Zwei WegeVon zwei Wegen ist die Rede und von dem, dass zwischen den beiden Wegstrecken ein Blitz niederfährt, um sie voneinander zu scheiden.

Der Weg zum Grab, das ist Weg eins, der Weg zurück, das ist Weg zwei. Sie sind nicht wie sonst unsere Wege: Weganfang und Weiterweg oder Hinweg und Rückweg, sondern sie sind sehr verschieden voneinander.

Weg eins – der Weg zum GrabWeg eins, der Weg zum Grab, ist eigentlich der normale Weg, der uns vertraut ist. Es ist der Weg, der den Tod als unweigerliches Ende nimmt, nach 80, 50 oder auch erst 30 Jahren. Darein gilt es sich zu schicken, auch wenn es zutiefst schmerzt. Was bleibt, das ist nur noch der letzte Dienst, den man tun kann: das Richten des Grabes.

Die beiden Frauen machen das und zeigen damit eine gute Portion Mut. Denn es gehörte damals Mut dazu, das Grab eines Geächteten aufzusuchen. Die Jünger sind ja längst über alle Berge, haben sich irgendwo versteckt. Sie überlassen diesen letzten Dienst den Frauen.
Damit hört nun auch deren Weg auf, so wie die Matthäus-Passion von J.S. Bach das mit ihrem bewegenden Schlusschor ausdrückt. Vielleicht kennen ihn manche: „Wir setzen uns mit Tränen nieder und rufen dir im Grabe zu: Ruhe sanft, sanfte Ruh.“

Wenn man das bedenkt, wird einem sehr deutlich: Ostern ist nicht einfach eine organische Fortsetzung des Vorangegangenen. Hier geschieht etwas ganz Überraschendes. Alles wird geändert, umgestürzt: Blitz und Erdbeben sind Ausdruck dafür.
Das Überraschende ist eigentlich ein großes Nein, das von außen in unsere oft so angstvolle Welt fällt: Fürchtet euch nicht!

Die ersten Worte des Engels, des Boten aus der göttlichen Welt, gelten denen, deren Zuversicht gesunken ist, die sich am Ende des Weges sehen:
Fürchtet euch nicht!
Ein Satz, der in der Bibel nicht nur einmal vorkommt. Wir kennen ihn auch aus dem Mund eines Engels in der Weihnachtsnacht. Da hieß es: Er ist hier, der Heiland, der Retter. Doch jetzt heißt es: Er ist nicht mehr hier. Das ist schwerer zu hören. Denn es ist nun ein Abschied gefordert, ein Abschied vom ersten Weg zum Grab und ein Anfang des zweiten ganz anderen Weges.
Aber das ist schon Ostern, dass die, die gekommen waren, erleben: Es ist nicht alles aus. Wir sind nicht am Ende.

Und das ist die Botschaft auch für uns, dass es nicht nur den Weg eins gibt, der auf das Ende zuführt.
Vielleicht sind manche unter uns in dieser Nacht an dem Punkt, dass sie nicht weiter wissen, dass sie sich nur traurig niedersetzen können am Grab gestorbener Hoffnungen. Vielleicht haben sie gehofft, wieder ganz gesund zu werden, fit und leistungsfähig und unabhängig von anderen. Und nun müssen sie erkennen, dass die Krankheit das Leben verändert.
Andere müssen sich damit auseinandersetzen, dass ein Mensch sie verlässt nach vielen gemeinsamen Jahren, weil er oder sie ein anderes Leben führen will. Der Wunschtraum von miteinander Altwerden ist zerstört.

Die Schwere solcher Wege und Abschiede wird in der Bibel nicht verneint und auch nicht bagatellisiert. Und wenn es heißt „Fürchtet euch nicht!“, dann wird davon ausgegangen, dass es unter den Menschen viel Grund zum Fürchten gibt.

Weg zwei – weg vom Grab
Aber es bleibt nicht bei der Furcht. Es gibt das Erdbeben und den Blitz und das deutliche Nein, fürchtet euch nicht. Es ist nicht alles zu Ende. Es gibt einen Neuanfang für jeden, für jede. Einen Weg, der weg führt vom Grab, weg von der Trauer, weg von der gestorbenen Hoffnung hin zu einem Leben im Licht der Auferstehung Jesu Christi.

Es ist eigenartig in der Ostergeschichte, wie Matthäus sie beschreibt: Es wird nicht gesagt, die Frauen sollten bedacht diesen Weg gehen. Sie werden geradezu angetrieben: Eilends sollen sie ihn gehen. Und sie tun es. In dem Augenblick, da ihnen der Abschied aufgetragen wird, nehmen sie Abschied, Abschied von allen Versuchen, Jesus in einem Grab zu verehren. Und sie fangen etwas Neues an, den Lebendigen nicht mehr bei den Toten zu suchen, sondern ihn unter den Lebenden zu verkündigen und so seine Gegenwart wahr sein zu lassen.
So stürzen die Frauen davon, um den Jüngern zu berichten mit Furcht und großer Freude. Die Furcht ist nicht total verschwunden. Sie gehört zum Leben, solange wir auf dieser Erde sind, und sie wird auch den Weg zwei weg vom Grab begleiten. Aber das Schwergewicht hat sich verschoben: mit Furcht und großer Freude, heißt es. Die große Freude darüber, dass es ein Leben vor und nach dem Tod gibt. Sie wurzelt in der Hoffnung, dass der große Feind, der dunkle Schatten des Todes überwunden ist.

Vielleicht denken jetzt manche unter uns: Was für große Worte! Und ich habe nur ein kleines Leben und kann den Auferstandenen nicht bei den Füßen fassen wie die Frauen damals.

Es gibt eine Feinheit in diesem Osterbericht, die man fast übersieht. Die Frauen laufen eilends weg, um die frohe Botschaft weiterzusagen, und erst da begegnet ihnen der Auferstandene. Er begegnet ihnen nicht zuerst, worauf sie dann zu glauben beginnen. Nein, zuerst werden sie Zeuginnen und erst da begegnet ihnen der Auferstandene. Er begegnet ihnen nicht im Stehenbleiben, sondern auf dem Weg, bei Schritten, auch bei zaghaften und furchtsamen. Im Wagen, im Sich-Aufmachen begegnet er. Wir müssen also nicht erst das große Bekenntnis ablegen, nicht erst dies oder jenes erreichen, bevor die Osterbotschaft unser Leben berühren und verändern darf. Diese Botschaft sagt, dass es nichts gibt, das aussichtslos ist, nichts, das für uns das Aus bedeutet. Unser Leben soll nicht dunkel bleiben. Weil Christus die Macht des Todes überwunden hat.

„Geht hin!“, sagt auch der Auferstandene zu den Frauen. Geht hin nach Galiläa.
Was ist unser Galiläa? Was ist Ihr Galiläa? Was ist der Ort, wohin die Botschaft von der Auferstehung hingebracht werden soll?
Vielleicht ist es der Alltag, vielleicht ein bestimmter Mensch, der sich trostlos fühlt, oder eine schwierige Situation, die Sie gemieden haben, oder eine Entscheidung, die Mut braucht.
Auch dorthin können Sie das „Fürchtet euch nicht“ mitnehmen. Auch dort können Sie den Weg weg vom Grab gehen, weg von der Resignation hin zu der großen Hoffnung, die über unser irdisches Leben hinausgeht.
Denn Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Amen.

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