Sexagesimae (20. Februar 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrer Thorsten Eißler, Reutlingen [Thorsten.Eissler@elkw.de]

Hebräer 4,12-13

IntentionMit der Predigt möchte ich den Menschen die Angst nehmen. Gott weiß, genau, wer und wie ich bin und wie ich sein kann. Er weiß alles von mir, weil er mich geschaffen hat. Durch sein lebendiges Wort – Jesus Christus – wird das alles sichtbar. Das ist aber kein Grund, dass ich mich dafür schämen muss. Denn er zeigt mir damit auch, was aus mir noch werden kann.

Liebe Gemeinde,
dass Worte eine bestimmte Wirkung haben können, das wissen wir. Sie können wertschätzen oder sogar heilen: „Du siehst heute Morgen aber besonders hübsch aus!“, das lässt jemanden lächeln. „Das hast Du sehr gut gemacht!“ erhöht das Selbstbewusstsein – nicht nur von Kindern. Und: „Ich verzeihe Dir“ eröffnet einen neuen Weg. Das, was vielleicht kaputt war, hat eine Chance zu heilen.

Sie können aber auch verletzen: ein mehr so dahingesagtes: „Was kannst Du eigentlich?“, ein unbedachter Kommentar unter einem Instagram-Post: „Mein Gott, ist die hässlich!“ oder ein ganz direktes: „Sie sind entlassen …“. Das lässt uns meist nicht kalt. Das geht uns buchstäblich unter die Haut.

So beschreibt das auch der Hebräerbrief (4,12-13):
„Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft geben müssen.“

Der Brief an die Hebräer – eine PredigtDiese Verse gehen mir nicht leicht über die Lippen. Es ist keine Geschichte, in der Jesus den Menschen erzählt, wie Gott ist. Kein Gleichnis, kein Heilungswunder. Es sind zwei Verse aus einem Brief, von dem wir eigentlich immer noch nicht so richtig wissen, wer ihn geschrieben hat. Und wer die Menschen waren, die ihn bekommen haben. Der ganze Brief gleicht einer Art von Predigt für diese Gemeinde. Und in diesem ersten Abschnitt geht es eben darum, was für eine Wirkung das Wort Gottes hat.

Vom ersten Wort an …Dabei kann ich das mit dem „lebendig“ und „kräftig“ gut nachvollziehen. Ganz am Anfang der Bibel, wird die Geschichte erzählt, wie Gott die Welt geschaffen hat. Gott erschafft alles, was wir auf unserer Welt so kennen, indem er spricht. Alles, was er sagt. wird buchstäblich lebendig. Sonne und Mond, Erde und Wasser, Pflanzen und Tiere und auch die Menschen. Und Gott schaut sich das alles an. und er findet es sehr gut. Gottes Wort ist lebendig. Und das ganz wortwörtlich. Nicht nur bei der Schöpfung. Es macht, was es ist: lebendig!

Für mich schwingt bei diesen Versen aus dem Hebräerbrief auch noch eine andere Stelle aus der Bibel mit: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Es ist der Anfang des Johannesevangeliums. Hier geht es auch darum, dass das Wort Gottes lebendig ist. Und kräftig. So lebendig und kräftig, dass es als Mensch zu uns auf die Erde kommt. Jesus selbst ist dieses Wort.

Und so ist es kräftig. Es hat Wirkung. Jesus ist durch das Land gezogen und hat den Menschen eben Geschichten von Gott erzählt. Das hat die Menschen so sehr beeindruckt, dass die Oberen Angst bekommen haben. Das Wort Gottes war so kräftig, dass es unangenehm geworden ist.

Vielleicht ist es ja genau deshalb „schärfer als jedes zweischneidige Schwert“. Zugegeben: Mir fällt es schwer mit diesen Bildern von Waffen umzugehen. Dafür wurden Waffen schon zu oft missbraucht – auch im Namen Gottes. Aber ich glaube, dass es hier nicht wirklich um das Schwert als Waffe geht. Das Wort Gottes ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert, weil es die Wahrheit ans Licht bringen kann. Und das geht eben unter die Haut „… bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft geben müssen.“

Jesus ist die WahrheitJesus selbst bringt also die Wahrheit ans Licht. Und das kann sicher auch schmerzhaft sein. Für den Zöllner Zachäus z. B. Bei ihm lädt sich Jesus einfach selber ein. Und der, der so viele Leute über den Tisch gezogen hat und so viel in seine eigene Tasche gewirtschaftet hat – genau der merkt bei diesem Abendessen, was er alles falsch gemacht hat. Wie viele Menschen er verletzt hat. Das war sicher in dem Moment nicht einfach für ihn. Aber es hat ihn verändert. Diese Wahrheit hat ihn zu einem besseren Menschen gemacht.

Und ich? Was ist mit mir? Mit uns hier heute Morgen?
Wird mein Leben auch durch diese Wahrheit zerpflückt?
Ist es also doch so, dass uns Gott immer wieder aufs Neue einen Spiegel vorhält, damit wir sehen, was wir alles falsch machen?

Ja und Nein.

Jesus hat an vielen Punkten den Leuten ziemlich klar gesagt, was er denkt. Wie wir Menschen uns zu verhalten haben. Damit können wir schon so was wie eine Richtschnur haben, an der wir uns orientieren können. Aber ich meine auch, dass Jesus ziemlich genau gewusst hat, dass wir daran immer wieder scheitern werden. Niemand kann sich immer nur richtig und korrekt verhalten. Das ist schon mein ganzes Leben lang so und wird auch weiter so sein. Und trotzdem hat Gott schon seit dem Beginn meines Lebens eine Geschichte mit mir. Mit uns allen. Seit Weihnachten wissen wir es: Gott ist voller Erbarmen, Liebe und Wahrheit. Und gleichzeitig selber verletzlich und klein. Er will nicht vernichten, sondern beschützen und herausfordern.

Also Ja: Durch das Wort wird mir ein Spiegel vorgehalten, damit ich die Wahrheit erkennen kann. Und ja, das kann auch mal schmerzhaft sein.
Aber es geht ihm nicht darum, mich zu quälen. Oder mich klein zu machen oder klein zu halten.
Deshalb Nein: So kann ich mich zu einer besseren Version von mir selber entwickeln. Vielleicht aufblühen und merken, was ich alles kann. Was in mir steckt.
Denn in mir und in uns allen steckt dieses große Ja Gottes. Das Ja, mit dem er uns erschaffen hat. Das Ja, das uns unser ganzes Leben lang begleitet. Das Ja zu dem, wie ich bin und wie ich werden kann.

„Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert …“ Amen.

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