Gründonnerstag (14. April 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Harry Waßmann, Rottenburg [Harry.Wassmann@t-online.de]

1. Korinther 10, 16-17

IntentionDas Abendmahl ist ein Licht in schweren Zeiten. Hier und heute. In Brot und Kelch wird Jesus zur Brücke zum neuen Leben – Strahlkraft der neuen Gemeinschaft.
Bewusst sollte ungesäuertes Brot ausgeteilt werden, Brothostien oder Mazzen.

Liebe Gemeinde,
gibt es ein Festessen, das mir mehr bietet als Leckerbissen und Gaumenkitzel?
Wenn ich richtig Hunger habe, wenn ich mich so richtig körperlich verausgabt habe, dann schmeckt mir jedes Essen prächtig.
Auch Brot und Wasser sind dann reiner Genuss.

Aber gibt es auch eine Speise,
die nicht nur meinen Leib, sondern auch meine Seele aufrichtet?
Wie sehne ich mich danach! Gerade jetzt.
In Zeiten, in denen Krisen und Katastrophen uns umgeben.

Wie belastet das alles!
Wie bringt uns das an den Rand. Innerlich und äußerlich.

Gibt es da so etwas wie ein Festessen der Hoffnung?
Bei dem ich Teil einer Hoffnungsgemeinschaft werde?

Genau zu so einem Essen sind wir alle eingeladen – hier und heute.
Am Abend von Gründonnerstag.

In dieser Nacht hat Jesus das Mahl der Hoffnung und der Befreiung gefeiert: Passah.
In der Nacht, als er Angst hatte vor Verrat und Verfolgung.
Angst vor Leiden und vorm Sterben.
Mit Ängsten hat Jesus Passah gefeiert.
Und zugleich in tiefem Vertrauen auf Gott, den Vater, der ihn herausreißen kann aus den Stricken des Todes.
Mit einer Vorahnung: Das wird mein letztes Passah sein.

Jesus hat Passah gefeiert als eine Lichtspur auf seinem Weg nach Golgatha.
Ein Licht, das nicht verlöscht und nicht vergeht.
Das in den Ostermorgen und in alle Zeiten strahlt.

Dieses Licht strahlt heute – in der Nacht vor Karfreitag – auch in unser Leben.
Feiern wir heute Nacht Abendmahl, dann in Erinnerung an Jesu letztes Passahmahl.
Wir sind darin verbunden mit Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt, die nämlich Morgen Abend das Passahmahl feiern.

Paulus sagt einmal in einem ganz kurzen Wort,
was dieses Festessen in uns bewirken kann (1.Korinther 10,16 und 17):

„Der Kelch des Segens, den wir segnen,
ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi?
Das Brot, das wir brechen,
ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?
Denn ein Brot ist's.
So sind wir, die vielen, ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben.“

Liebe Gemeinde,
das ist unüberhörbar in den Worten von Paulus:
Im Abendmahl entsteht „Gemeinschaft“. Eine neue Gemeinschaft!
Alle, die es empfangen, werden mit Jesus verbunden.
So eng und so intensiv wie eine Gemeinschaft nur sein kann.
Verbunden mit seinem Leib und seinem Blut.
Eine unfassbare Nähe.

Eine so stark verbindende Nähe, die dann auch Distanz zu anderen schafft.

Paulus sagt das in seinem Brief so:
Wenn ihr beim Abendmahl Brot brecht und aus dem Kelch trinkt, dann ist das eine Absage an andere Götter.
Solche Götter gab es in Korinth viele. Denen opferten viele auch Wein und Fleisch.
Da macht ihr nicht mit, sagt Paulus.
Davon esst und trinkt ihr nicht.
Das ist das falsche Zeichen.
Ihr und euer Leben ist nicht von diesen Göttern getragen und bewahrt.
Sucht ihr Gemeinschaft mit dem wirklichen Gott? Dem Vater Jesu Christi?
Dann verbindet euch mit Christus. Mit ihm. Ganz. Mit seinem Leib und Blut.

Für diese Verbindung mit Jesus beim Abendmahl stehen zwei Dinge – das Brot und der Kelch. Und das sind auch beim jüdischen Passahmahl – neben anderen Speisen die zentralen Elemente.

Gemeinschaft der UngesäuertenÜber das Brot heißt es beim Passahmahl: „Dies ist das Brot des Elends, das wir gegessen haben, als wir Knechte waren in Ägypten.“
Das ungesäuerte Brot steht also sinnbildlich für die Leiden und Qualen des Volkes Israel in Ägypten, für Sklaverei und Armut.
Und es ist gleichzeitig der rasche To-go-Proviant für die Flucht, für den von Feinden bedrohten Weg durch Todesgefahren in die Freiheit.
Mit diesem Elend und diesen Leiden – mit dem Weg Israels durch Lebensbedrohungen zur Freiheit – verbindet und identifiziert sich Jesus, wenn er nach dem Dankgebet über das ungesäuerte Brot sagt: „Das ist mein Leib!“
Wo wir im Abendmahl das Brot brechen und essen, da werden wir Weggefährten Jesu – auf seinem Leidensweg zum neuen Leben.
Wir werden, wie Paulus einmal sagt „Ungesäuerte“ (1.Korinther 5,7).
Was soviel bedeutet wie: die alten Lasten und Leiden sollen uns nicht weiter runterdrücken – wir können neu ins Leben gehen.
Der Kelch, den wir segnen

Der Kelch steht im Passahmahl für die Erfahrung von Befreiung.
Gottes Liebe und Treue führen Israel in die Freiheit, zu neuem Leben, zu neuer Gemeinschaft mit Gott.
ER – gepriesen sei der EWIGE – überwindet Leiden und Qualen und überwindet selbst die Mächte des Todes.
Aus dem Kelch trinken Befreite, die den Bedrohungen und Todesmächten entkommen sind.
Wein ist ein Freudentrank. „Lechajim!“ – „auf das Leben!“, sagt man heute, wenn man sich in Israel zuprostet.

Jesus verbindet und identifiziert sich nach seinem Dankgebet mit eben dieser Erfahrung Israels.
Trinken Christen nun im Abendmahl aus dem „gesegneten Kelch“, den „Kelch des Heils“ (Psalm 116,13), so entsteht Gemeinschaft mit Jesus, mit seinem Leben, das Gott über den Tod am Kreuz hinaus bewahrt und neu erschaffen hat.

So sind Christen durch Jesus mit dem Gott Israels und seiner Geschichte verbunden: „Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes...“ (Römer 8,38f), selbst der Tod nicht. Denn: „Ist jemand in Christus, ist er eine neue Kreatur“ (2.Korinther 5,17).

Wie das Abendmahl stärken kann – in höchsten Nöten – das habe ich besonders dann erlebt, wenn Kranke und Sterbende darum gebeten haben.
Wie wir im Kreis der Lieben um das Bett versammelt waren und gespürt haben: Nichts, kein Leid der Welt kann uns von Gott trennen. Wir sind mit Christus verbunden – in allem und für immer.

Und immer – auch heute – sind wir als Geknickte und Verletzte zum Abendmahl zusammen – und spüren:
Es ist da ein Licht in meinem Leben, das nicht vergeht: Christus.
Es ist da die Hoffnung, die mich trägt.
Das ist Gemeinschaft, die mich stärkt.

„Weil die Vielen durch das eine Brot ein Leib sind,
sind alle durch das eine Brot verbunden.“

Liebe Gemeinde,
wer das Brot isst und aus dem Kelch trinkt, wird im Abendmahl Bundesgenosse von Jesus, ist ganz mit ihm verbunden, mit seinem Leben, Sterben und Auferstehen, wird Teil einer Christus-Gemeinschaft, die ausstrahlt.

Die Früchte der neuen GemeinschaftDiese neue Gemeinschaft in Christus trägt Früchte:
Früchte der Hoffnung – und Früchte der Liebe.
Da werden Arme und Schwache nicht übersehen.
Da wächst gegenseitige Unterstützung: Diakonie ist ein Zeichen dieser Gemeinschaft.

Wir retten die Welt nicht.
Aber Christen können zu Hoffnungsmenschen werden – füreinander.

Das Abendmahl ist dafür Wegzehrung und Unterpfand.
Das Abendmahl ist so etwas wie eine psychosomatische Kraftquelle – weil dort nämlich unsere Psyche – die Seele – und auch der Leib – unser Soma – gestärkt wird.

Wir können Kriege nicht verhindern.
Ohnmächtig haben wir das miterleben müssen, wie die Ukraine überfallen wurde.
Und doch ist da die Macht der Liebe.
Christliche Gemeinden stehen Geflohenen aus der Ukraine bei: durch Gebet und praktische Hilfe.

Wir können Mobbing nicht aus der Welt schaffen.
Aber wir stehen Schülerinnen und Schülern bei – da und dort. Mit Schulseelsorge. Lassen sie nicht allein in Angst und Scham Selbstzweifel. Ein so lebenswichtiger Dienst ist das.

Wir können Krankheit und Tod nicht aus der Welt schaffen.
Aber wir können uns und andere durch das Abendmahl in der Hoffnung verwurzeln, die auch zuletzt nicht stirbt: Christus in uns – im Leben, im Sterben und über den Tod hinaus.

Ich schließe mit einem Gebet:

Gepriesen sei Gott,
der aus Kummer und Trauer zur Freude führt,
aus Knechtschaft zur Freiheit,
aus Finsternis zum großen Licht ... (nach einem Lobpreis aus der Passah-Liturgie)

Gepriesen sei Gott,
der sein Licht in der Welt leuchten lässt.
der seinen Sohn Jesus Christus, in uns leuchten lässt.
Der uns in ihm Anteil schenkt an Kräften der kommenden Welt!

Amen.

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