Miserikordias Domini (01. Mai 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Christina Jeremias-Hofius, Oberndorf am Neckar [christina.jeremias-hofius@elkw.de]

Johannes 21,15-19

Intention
Motivieren und bewegen, sich in den Alltag zurückbegeben als je und je (im doppelten Sinn) gefragte und zu den vorfindlichen Aufgaben befähigte Christenmenschen.

Liebst Du mich? Oder: Die Hintergründigkeit der FrageGut gefrühstückt, die Sonne scheint, der Tag liegt vor Dir. Um Dich herum sind Menschen mit denen Dich viel verbindet, nicht alles, doch genug, um Dich in ihrer Gemeinschaft wohlzufühlen. Und Du lässt Dich fallen, entspannst. Pulsschlag bei 60. So könnte es bleiben. Ein wenig träge lauschst Du dem Klangteppich der Stimmen.
„Liebst Du mich?“ Plötzlich steht die Frage im Raum, an Dich gerichtet.
Und? Was macht jetzt Dein Puls? Und Deine Körperspannung?

„Liebst Du mich?“ Erwartungsvoll schaut sie ihr Gegenüber an.
„Liebst Du mich?“ Zögerlich nur fragt er.
Szenen wohlbekannt aus Film und Fernsehen.
Und? Wie klingt die Hintergrundmusik in Deinem Kopfkino, wenn Du die Worte hörst „Liebst Du mich?“?

Liebst Du mich? Wer so fragt, riskiert viel. Entweder wird eine Selbstverständlichkeit freigelegt, in Frage gestellt: Stimmt es noch? Oder etwas Unausgesprochenes soll endlich Gestalt bekommen: Sprache schafft Wirklichkeit, Gewissheit wird gesucht. Liebst Du mich?

Liebst Du mich? Wer so fragt, riskiert viel. Noch mehr riskiert, wer so fragt, wenn die Beziehung zuvor in eine Krise gekommen ist. Wenn Verrat und Beziehungsabbruch der Frage vorausgegangen sind. Was gilt? Liebst Du mich? Hier wird mehr als eine pure Sachinformation erfragt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehen auf dem Spiel.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehen auf dem Spiel, als der Auferstandene den Petrus so fragt: „Liebst Du mich?“. Als er fragt dort am Strand des Sees Genezareth, beim genüsslichen Frühstück am Morgen, Essen und Süßwasser die Fülle, das Grün der fruchtbaren Uferregion leuchtet. Nur die Berge des Golans im Osten des Sees werfen am Morgen noch Schatten. Und wie die Berge werfen auch noch die dreimalige Verleugnung, der Verrat an Jesus und das Ende der Beziehung, der Tod am Kreuz, ihre Schatten. Durch die Dunkelheit, das dunkle Tal, sind Jesus und Petrus durch. Und jetzt? Was jetzt? Wie steht es um ihre Beziehung? Wie steht Petrus zu Jesus?

Der PredigttextIm 21.Kapitel des Evangeliums nach Johannes lesen wir:
„Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als mich diese lieb haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!“

Kommunikation ist ein schwieriges Geschäft„Liebst Du mich?“ „Ja, Herr, Du weißt, dass ich Dich lieb habe.“
Und ich möchte Petrus greifen, ihn aufrütteln und ihm sagen: Hör doch hin! Da wirst Du gefragt: Liebst Du mich? Und Du antwortest mit: Das weißt du doch. Als ob der Auferstandene von Dir eine Info haben wollte! „Liebst Du mich?“ Jetzt und hier gilt es, Petrus. Liebst Du ihn? Bedeutet er Dir alles, bedeutet er Dir Dein Leben? Chance zum Neuanfang nach Verleugnung und Unverständnis! Und was tust Du? Du antwortest: „Herr, Du weißt, dass ich Dich liebhabe.“ Nein, er weiß es eben nicht. Darum fragt er. Es geht um Gewissheit. Merkst Du das nicht? Dass Du Dich auf den Auferstandenen beziehst, daran liegt ihm was. So gefragt bist Du von Gott!

Gefragt: „Liebst Du mich?“ Petrus, bist Du eigentlich nie jung gewesen? Genau hingehört habe ich, als es darauf ankam. Wie lauteten die Worte meines Gegenübers? „Ich liebe Dich“? Oder: „Ich habe Dich lieb“ im Sinne von „Ich hab Dich gern“? Der Auferstandene fragt: „Liebst Du mich?“ Und Du ziehst Dich auf Freundschaft zurück: Ich bin Dir gut. Ach Petrus. Dreimal fragt Dich der Auferstandene. Und beim dritten Mal fragt er schon gar nicht mehr nach Deiner Liebe. Da fragt er nur nach Deiner Freundschaft: Hast Du mich lieb? Freunde? Und nicht mal da kannst Du aus ganzem Herzen sagen: Ja, Freunde. Unbedingt.

Herausforderung und UnterstützungAch Petrus. Fürchtest Du Dich? Macht Dir die Verbindlichkeit Angst? Die Aufgabe?
Denn um Verbindlichkeit geht es dem Fragenden. Es geht um nicht weniger als um die Frage: Wem kann der Auferstandene seine Lämmer, seine Schafe, anvertrauen, bevor er zum Vater zurückkehrt? Wer übernimmt seine Aufgabe? Wer steht für das Leben, ihm vom Vater anvertraut, ein? Die Kleinen und die Großen brauchen Schutz. Wer führt sie zu Nahrungsplätzen für die Seele und den Leib? Wer kümmert sich um sie, dass sie erquickt werden und aufatmen? Wer hat den Mut, angesichts von Angriffen und Angst, von Angang und Anfechtung Brot und Wein auf den Tisch zu stellen und zu sagen: „Herzliche Einladung. Leben in Fülle.“?
Danach sucht der Auferstandene: Wer übernimmt seine Aufgabe? Mit Herz und Seele? „Liebst Du mich?“ Bist Du um seinetwillen in seinem Sinne dazu bereit? Nicht aus Pflicht, sondern weil er Dir etwas, nein, ganz viel bedeutet? Danach fragt er!

Ach Petrus. Hör doch hin. Oder hast Du Angst, das Arbeitsfeld zu wechseln? Vom Fischer zum Hirten zu werden?
Wobei: Ich gestehe es zu: Der Auferstandene mutet Petrus viel zu. Große Veränderung kommt auf ihn zu, und Verantwortung für Leben bekommt er.
Ins kalte Wasser wird er geworfen. Und sein Schwimmunterricht, seine Umschulung, besteht aus drei Worten: „Folge mir nach.“

Schwimmunterricht. Wie eine Mutter, die ihren Sohn im Bodensee das Schwimmen beibringen will. Und sie steckt in einem Dilemma, in einer Zwickmühle: Hält sie ihr Kind die ganze Zeit über Wasser, bleibt es sicher, doch unfrei. Damit es sich bewegt, muss sie es loslassen. Lässt sie den Sohn einfach los, so wird er Wasser schlucken und um Atem und im Grunde um sein Leben kämpfen. Und so lässt sie ihn los und bleibt sie bei ihm, ganz nah, um ihn zu unterstützen. Und im Vertrauen auf ihre Nähe paddelt das Kind los, paddelt neben ihr her, hundekrault ihr nach, seinem Rettungsring, life saver, Lebensretterin.

Folge mir nach, sagt der Auferstandene zum neu Beauftragten. Hab die Freiheit, Dich zu bewegen, ins Leben hinein, Deine Aufgabe zu übernehmen, aufzubrechen. Hab die Freiheit, jedoch bleib in meiner Nähe. Du weißt es ja längst: Nicht alle Wege werden Spaziergänge sein. Führen, wohin Du nicht willst. Das gehört auch dazu. Doch wenn Du in meiner Nähe bleibst, kommst Du durch. Folge mir nach, mein Freund. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Du erinnerst Dich?

„Folge mir nach“, sagt der Auferstandene zum frisch ernannten Hirten. Ein Hirte läuft hinter seiner Herde: Gutes und Barmherzigkeit gehen den Schafen und den Lämmern hinterher, weisen in der Gestalt des Hirten von hinten den Weg.
Folge mir nach. Und zwischen Herde und Hirten kommt so der Auferstandene zu stehen, zwischen Aufgabe und Beauftragtem bewegt sich der Herr, der Herr aller Herren. Gibt Orientierung, erinnert daran, wem der Beauftragte verpflichtet ist, schafft Nähe und Distanz zur Aufgabe. Nähe: weil es Jesu Schäflein sind. Distanz: weil er dem Auferstandenen, nicht den Schafen verpflichtet ist. Das trotzige Schaf lässt er in Ruhe. Es weiß es besser. Dem verlorenen Schaf geht der Hirte nach.

Was bleibt: Vergewisserte Beziehung, Herausforderung und UnterstützungLiebst Du mich?, fragt der Auferstandene. Und es fällt auf: Er fragt im Präsens. Der Evangelist macht deutlich: Der Auferstandene sagt etwas. Und Petrus antwortete. Damals wie heute sucht der Auferstandene Vergewisserung. Bei Petrus wie bei uns. Petrus hat damals seine Antwort gegeben. Doch die Frage bleibt, und sie gilt. Vor 2000 Jahren wie heute auch. „Liebst Du mich?“ Wie sieht es aus: Bist Du ihm wenigstens gut? Jetzt und hier?
Denn er vertraut Dir seine Welt mit all ihrem Leben an. Dort wo Du bist. In Deinem Lebensraum. In der Zeit, in der Du lebst. In den Aufgaben, die sich Dir stellen, zu schützen und zu erquicken. Geflüchtete und das Grundwasser, Deine Altvorderen und Kinder. Von der Pandemie Ausgelaugte und Bienen auf der Suche nach Weide, wegen der Inflation am Essen Knapsende und nach Licht im Grau Dürstende.
Das schaffst Du, meint der Auferstandene. Das schaffst Du, Dich um Leben zu kümmern. Folge mir nach, sagt er. Im Präsens. Damals wie heute, sagt er es. Es gilt: Er bleibt in Deiner Nähe. Sich das vorzustellen, einen Tag lang, ganz bildlich, ganz konkret: Bei allem, was Du tust, stell es Dir vor: Zwischen Dir und Deinem Tun steht der Auferstandene. Schafft Nähe und Distanz, gibt Freiheit und Orientierung. Was macht das mit Dir und Deinem Tun?
Er bleibt bei Dir, in guten wie in schweren Tagen. Manche Wege werden Premiumwanderweg-Charakter haben, reizvoll vor Dir liegen. Andere gehst du mehr oder minder unfreiwillig. Da fragt Dich keiner, ob Du willst, und du gehst mit innerem Widerstand.
Doch immer in guter Gesellschaft, in der Gesellschaft eines geliebten Anderen oder zumindest eines Freundes. Aufbruch ist angesagt, Aufbruch ins Leben. Amen.


Die Predigt lebt (mit) davon, dass im Vorfeld Psalm 23 gebetet oder gesungen zum Klingen kommt.


Wichtige Anregungen für diese Predigt sind entnommen von/verdanken sich:
Charles Péguy (https://www.poemhunter.com/i/ebooks/pdf/charles_p%C3%A9guy_2012_3.pdf),
Bruno Latour, Charles Péguy. Time, Space and le monde modern, übers. Tim Howles, New Literary History, Volume 46, Number 1, Winter 2015, pp. 41-62) und
Dietrich Sagert, Versteckt. Homiletische Miniaturen, 2016.

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