Exaudi (29. Mai 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrer Dr. Martin Weeber, Stuttgart [martin.weeber@elk-wue.de]

Römer 8, 26-30

IntentionDer Predigttext ist komplex und schwer zugänglich. Aber in seinem Kernsatz spricht er eine Erfahrung an, die sich – Gott sei Dank! – immer wieder einstellt: Es gibt Momente, in denen uns eine grundlegende Übereinstimmung mit dem Leben geschenkt wird: „Alles gut.“ Von solchen Momenten leben wir. Wir können sie nicht erzwingen und nicht methodisch herbeiführen. Wir verdanken sie Gott.

8, 26 Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen. 27 Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er tritt für die Heiligen ein, wie Gott es will. 28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. 29 Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. 30 Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

Alles bestens„Denen, die Gott lieben, dienen alle Dinge zum Besten.“ Das ist der zentrale Satz dieses Predigttextes. Alles bestens also für jene, die Gott lieben. Eigentlich hätte Paulus das auch ein bisschen einfacher sagen können.
„Alles gut.“ Das ist eine Formel, die sich bei uns in den vergangenen Jahren schnell verbreitet hat: „Oh, entschuldigen Sie bitte…“ – „Alles gut.“ In anderen Ländern wird die Formel schon viel länger verwendet. In Brasilien etwa. Zwei Leute begegnen sich: Der eine fragt: „Alles gut?“ Der andere antwortet: „Alles gut.“ Ob die Frage jedes Mal wirklich ernsthaft gestellt ist und ob die Antwort die ganze Wahrheit beschreibt: Das können wir mal unbeantwortet lassen. Man hat nicht immer Lust auf ganz ernsthafte Fragen und man hat nicht immer Lust auf ganz offene Antworten. So redet man eben im Alltag miteinander: „Alles klar bei Dir?“ „Alles im grünen Bereich.“ Damit ist die Begrüßung abgehakt, und man kann sich anderen Themen zuwenden.
Wirklich alles gut?
Aber wenn man mal drüber nachdenkt, dann merkt man schon, dass das eine sehr steile Behauptung ist: „Alles gut.“ Man braucht ja nur kurz an das zu denken, was man in der Zeitung oder im Internet gelesen oder im Radio gehört hat: Da kann man eigentlich kaum sagen: „Alles gut.“
Aber auch im Blick auf das eigene Leben ist das eine gewagte Behauptung, wenn man sagt: „Alles gut, alles bestens.“ Irgendeinen Kummer hat man ja doch.
„Denen, die Gott lieben, dienen alle Dinge zum Besten.“ Alle Dinge? Alles, was wir erleben? Alles, was uns widerfährt? Alles immer nur gut?
Also mich nervt es manchmal, wenn Menschen so einen Daueroptimismus vor sich hertragen. Mir kommt das oft sehr maskenhaft vor. Manchmal denke ich dann: Es gibt auch einen aggressiven Optimismus. Und das ist ja auch eine schlaue Taktik: Ich bin immer gut gelaunt und lasse gar nichts an mich ran. Mir sind eigentlich Menschen lieber, denen ich anmerke, dass sie auch mal verärgert sind oder ratlos oder einfach nur müde.
„Denen, die Gott lieben, dienen alle Dinge zum Besten.“ Das sagt Paulus. Und der war überhaupt nicht immer gut drauf. Der war auch mal niedergeschlagen und sehr oft zornig und sehr oft wahrscheinlich nur entsetzlich müde. Manchmal wollte er einfach nicht mehr.

Alles interessantVor Jahren habe ich eine Frau im Pflegeheim getroffen. Ich kannte sie aus meiner Jugend, hatte sie aber jahrzehntelang nicht mehr gesehen. Da saß sie nun im Rollstuhl und sagte zu mir: „Wissen Sie – eigentlich sind alle Lebensphasen interessant.“ Das hat mich sehr beeindruckt. Ob sie nun im landläufigen Sinne „gläubig“ oder „fromm“ oder „religiös“ war –- das weiß ich gar nicht. Aber ihre Lebenseinstellung hat mich beeindruckt: „Wissen Sie – eigentlich sind alle Lebensphasen interessant.“: „Denen, die Gott lieben, dienen alle Dinge zum Besten.“

So wünsche ich mir das für mich auch: Dass ich das auch sagen kann, wenn ich mal alt bin: „Eigentlich sind alle Lebensphasen interessant. Und eigentlich hat sich am Ende alles gut gefügt, auch wenn es zwischendrin Enttäuschungen gab.“
Aber ob mir das mal gegönnt sein wird? Ich weiß es nicht. Und ich kann es mir auch nicht einfach vornehmen. Da hilft kein Volkshochschulkurs und es hilft kein „Life-Coach“, kein Lebensberater. Solch eine getroste Lebenszufriedenheit lässt sich nicht antrainieren. Sie stellt sich in der Regel nebenbei und unbeabsichtigt ein: Ich lebe mein Leben und versuche meine Aufgaben zu erfüllen – und irgendwann denke ich dann vielleicht: „Das hat jetzt schon so gepasst. Und die ganzen Umwege haben doch zu einem Ziel geführt, an dem ich zufrieden bin, an dem ich meinen Frieden gefunden habe.“
Mit den Worten des Paulus gesprochen: „Denen, die Gott lieben, dienen alle Dinge zum Besten.“

Von Gott eingefädeltDass das nicht so einfach ist mit der getrosten Lebenszufriedenheit: Das weiß Paulus ganz genau. Und das sagt er auf seine Weise in den komplizierten Ausführungen, die unseren zentralen Satz einrahmen. Was er uns da erklären will, ist das Folgende: Wenn ihr sagen könnt: „Alles bestens“ – dann ist das ein rechtes Gottesgeschenk. Denn ihr wisst ja nicht einmal, was denn überhaupt das Beste für euch ist. Ihr wisst ja nicht mal, worum ihr Gott eigentlich bitten, wofür ihr beten sollt:
„Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen.“ Wenn Paulus vom „Geist“ redet, redet er immer von der Erfahrung, dass wir die Dinge nicht im Griff haben. Aber dann wenden sich die Dinge irgendwie doch zum Guten. Und da würde Paulus dann eben sagen: „Da hat Gottes Geist gewirkt.“
„Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen.“
Und wenn es dann dazu kommt, dass Ihr sagen könnt: „Alles bestens!“ – dann hat das Gott bewirkt: „Die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.“ Alles von Gott eingefädelt.

„So viel Schönheit in der Welt“Alles bestens in der Welt? Gewiss nicht. Alles bestens in meinem Leben? Gewiss nicht.
Aber es gibt doch diese Momente, in denen ich nicht mit Gott hadere und streite. Diese Momente, in denen ich denke: „Irgendwie doch alles auch sehr schön und vieles gut.“
Vor Jahren gab es einen wunderbaren Kinofilm: „American Beauty“. Da gibt es eine Szene, in der ein junger Mann eine weiße Plastiktüte filmt, die vom Wind hin und her bewegt wird. Für ihn tanzt diese Tüte mit dem Wind. Und sie führt diesen Tanz für ihn auf. Er führt die Aufnahme seiner Freundin vor und versucht ihr zu vermitteln, was ihn daran so beeindruckt: „There is so much beauty in the world.“ „Es gibt so viel Schönheit in der Welt.“ Diese Schönheit bringt sein Herz manchmal fast zum Zerspringen. Und dann erklärt er seiner Freundin, was ihm begegnet ist, als er den Tanz der Tüte beobachtet hat: „Diese unglaublich gütige Kraft, die mich wissen lassen wollte, dass es keinen Grund gibt, Angst zu haben, nie wieder.“ (Man kann diese Szene bei Youtube finden: www.youtube.com/watch?v=grS-MuHcsng )
Das ist für mich so ein Moment, in dem einem Menschen das Gottesgeheimnis der Welt in einer ganz alltäglichen Situation aufgeht. In diesem Moment ist er erfüllt von dieser Empfindung: „Alles bestens“. „Wissen Sie – eigentlich sind alle Lebensphasen interessant.“ „Denen, die Gott lieben, dienen alle Dinge zum Besten.“ Amen.

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