9. Sonntag nach Trinitatis (14. August 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Dr. Susanne Edel, Kirchentellinsfurt [Susanne.Edel@elkw.de]

Matthäus 25, 14-30

IntentionDie Predigt will bewusstmachen, wie das Vorwegnehmen schlimmer Zukunftsprognosen Leben abschnürt. Jesus ermutigt, dem achtsamen Umgang miteinander immense Auswirkungen zuzutrauen.

25,14 Es ist wie bei einem Mann, der verreisen wollte. Vorher rief er seine Diener zusammen und vertraute ihnen sein Vermögen an. 15 Dem einen gab er fünf Talente, einem anderen zwei Talente und dem dritten ein Talent – jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste der Mann ab. 16 Der Diener, der fünf Talente bekommen hatte, fing sofort an, mit dem Geld zu wirtschaften. Dabei gewann er noch einmal fünf Talente dazu. 17 Genauso machte es der mit den zwei Talenten. Er gewann noch einmal zwei Talente dazu. 18 Aber der Diener, der das eine Talent bekommen hatte, ging hin und grub ein Loch in die Erde. Dort versteckte er das Geld seines Herrn. 19 Nach langer Zeit kam der Herr der drei Diener zurück und wollte mit ihnen abrechnen. 20 Zuerst kam der Diener, der fünf Talente bekommen hatte. Er brachte die zusätzlichen fünf Talente mit und sagte: „Herr, fünf Talente hast du mir gegeben. Sieh doch, ich habe noch einmal fünf dazugewonnen.“ 21 Sein Herr sagte zu ihm: „Gut gemacht! Du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du hast dich bei dem Wenigen als zuverlässig erwiesen. Darum werde ich dir viel anvertrauen. Komm herein! Du sollst beim Freudenfest deines Herrn dabei sein!“ 22 Dann kam der Diener, der zwei Talente bekommen hatte. Er sagte: „Herr, zwei Talente hast du mir gegeben. Sieh doch, ich habe noch einmal zwei dazugewonnen.“ 23 Da sagte sein Herr zu ihm: „Gut gemacht! Du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du hast dich bei dem Wenigen als zuverlässig erwiesen. Darum werde ich dir viel anvertrauen. Komm herein! Du sollst beim Freudenfest deines Herrn dabei sein.“ 24 Zum Schluss kam auch der Diener, der ein Talent bekommen hatte. Er sagte: „Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist. Du erntest, wo du nicht gesät hast, und du sammelst ein, wo du nichts ausgeteilt hast. 25 Deshalb hatte ich Angst. Ich ging mit dem Geld weg und versteckte dein Talent in der Erde. Sieh doch, hier hast du dein Geld zurück!“ 26 Sein Herr antwortete ihm: „Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du wusstest, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nichts ausgeteilt habe! 27 Dann hättest du mein Geld zur Bank bringen sollen. So hätte ich es bei meiner Rückkehr wenigstens mit Zinsen zurückbekommen. 28 Nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! 29 Denn wer etwas hat, dem wird noch viel mehr gegeben – er wird mehr als genug bekommen. Doch wer nichts hat, dem wird auch das noch weggenommen, was er hat. 30 Werft diesen nichtsnützigen Diener hinaus in die Finsternis draußen. Dort gibt es nur Heulen und Zähneklappern!«

Heulen und ZähneklappernEs ist wahrlich zum Heulen! Da ist unsere Regierung vor einem Dreivierteljahr angetreten – entschlossen, der Klimakrise die Stirn zu bieten. Kaum war sie gestartet, nach wie vor mitten in Corona – da griff das russische Militär die Ukraine an. Die politische Aufmerksamkeit und immense Ressourcen steuerten in Richtung militärische Logik. Weltuntergangsszenarien bekamen neue Nahrung. „Es wird etwas ganz Schlimmes passieren!“ Angst liegt in der Luft.
„Da wird sein Heulen und Zähneklappern!“
Wen würde nicht hin und wieder Angst beschleichen in dem, was uns dieser Tage herausfordert. Wie sollen normale und kleine Leute durch diesen Winter kommen? Werden nicht nur die, die ihr Schäfchen im Trockenen haben und mit immensen Erträgen am Kapitalmarkt aus jeder Situation Gewinn schlagen, gut davonkommen? Denn ja, so geht es doch zu in der Welt: Wer hat, kriegt immer mehr und wer nichts hat, dem fehlen am Ende sogar die warme Stube und die heiße Suppe.

Die Talente sind verteiltIn so ganz anderer Tonlage fängt unsere Geschichte an. Ein Hausherr verteilt großzügig Talente. Jetzt können alle loslegen. Doch Menschen sind verschieden: Die eine kann brillant rechnen und Denksportaufgaben lösen, der andere bekommt noch die schwierigste Reparatur ganz alleine hin. Auch soziales Verhalten ist verschieden. Wer wohlbehütet aufwächst und zu Hause gelernt hat, Rücksicht zu nehmen, hat es viel, viel leichter als eine, deren Seele und Leib schon als Kind viel Schlimmes erlebt.
Der Hausherr in unserer Geschichte sieht, wen er vor sich hat. Er geht darauf ein, wie unterschiedlich das ist, was seine Diener können. Er nimmt Rücksicht auch auf den, der sich wenig zutraut und dem oft etwas nicht gelingt. Auch dieser soll einen guten Start haben und nicht überfordert werden.

Ist Gottes Welt nicht anders?Zwei der drei Diener beginnen sofort zu wirtschaften. Doch beim dritten Diener geht die Sache schief. Was als rücksichtsvoll gemeint war, versteht er als Geringschätzung, als Abwertung. „Mir traut man nichts zu, ich kann ja auch nichts“, denkt er. Und er weiß, wie die Mächtigen dieser Welt drauf sind und ernten, wo die kleinen Leute gesät haben.
Doch geht es in Gottes Welt nicht anders zu?
Allein schon wie Jesus durch die Welt gezogen ist – ohne Besitz, auf der Wanderschaft, allerlei Gefahren ausgesetzt, der Not kleiner Leute wehrend –, das ergibt ein ganz anderes Bild. Jesus und jener Hausherr – das klingt wie zwei auf zwei unterschiedlichen Sternen.
Lamentieren oder talentieren?
Matthäus widmet dem dritten Diener viel Aufmerksamkeit. Ihn plagt die Angst. Längst bevor der Herr des Hauses zurückkommt, weiß er schon: „Es wird etwas ganz Schlimmes passieren!“
Schon im Voraus klappert er mit den Zähnen und denkt: Hoffentlich kommt es nicht so schlimm. Seine sorgenvollen Gedanken erinnern ein bisschen an eine Parabel des Philosoph und Psychotherapeut Paul Watzlawick:

„Es war ein Mann, der ein Bild aufhängen wollte. Den Nagel hatte er bereits. Ihm fehlte der Hammer. ‚Der Nachbar müsste einen haben,‘ grübelte er. ‚Ob er mir den Hammer leiht? Neulich schon hat er nur so kühl und flüchtig gegrüßt.‘ Sein Zweifel wuchs. ‚Ich habe ihm doch gar nichts getan. Ich würde ihm den Hammer sofort leihen. Aber es gibt ja so Menschen. Eigensinnig. So wie der ist, würde er mir den Hammer eh gar nicht geben. Solche Menschen können die Nachbarschaft, was sag ich, das ganze Leben vergiften. Wahrscheinlich glaubt der Herr Nachbar noch, ich sei auf ihn angewiesen. Auf seinen blöden Hammer.‘ Da stürmt der Mann wütend aus seiner Wohnung, klingelt beim Nachbarn. Der öffnet die Tür. Und bevor der Nachbar etwas sagen kann, schreit der Mann ihn an: ‚Sie können Ihren Hammer behalten, Sie Rüpel!‘“

Schau, ich bin bei dirIn der Wendelinkirche in Schnait bei Weinstadt sind an der Empore biblische Szenen ins Bild gesetzt. Ein Bild stellt den Gegensatz zwischen den beiden „erfolgreichen“ und dem dritten Diener eindrücklich dar. Letzterer kauert auf der Erde, in sich selbst versunken. Starr ist sein Blick auf das Vergraben des anvertrauten Talents gerichtet. Er merkt gar nicht, dass der Hausherr neben ihm steht. Die beiden anderen dagegen schauen ihren Chef offen und frei an. Was hält den dritten ab, ihn anzusehen? Das Bild vom harten Hausherrn war schon in seinem Kopf, als er das Talent vergrub. Offenbar nimmt ihn eine Vorstellung von Gott und der Welt in Besitz, die ihm den Atem raubt und ihn abhält, seinen Blick zu heben. Er wirkt wie gefangen in einem Teufelskreis zwischen Zähneklappern und Katastrophendenken. Dabei verstärken sich ständig Gefühle von Angst und Panik. So fühlt sich Hölle auf Erden an.
Doch da steht einer neben ihm und sagt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“ (Mt 28,20). Gleich legt er dem Mann am Boden behutsam die Hand auf die Schulter und sagt: „Schau, ich bin bei dir. Was ist los mit dir?“ Das klingt anders als das Bild vom harten Hausherrn, der erntet, wo er nicht gesät hat. Das klingt nach einem aufmerksamem Ohr und verständnisvollen Herzen. Das klingt nach einem Talent besonderer Art.

Unendlich vermögendDer Herr des Hauses vertraute seinen Dienern sehr viel an: Ein Talent Silber entspricht etwa 15 bis 20 Jahresgehältern eines Arbeiters. Die Diener erhielten fünf plus zwei plus ein Talente. Trotz dieser hohen Summen sagt der Hausherr: „Über Wenigem seid ihr treu gewesen!“ Acht Talente sind gewiss nicht wenig! Offenbar sprengen die „Talente“ aus Gottes anderer Welt alle menschlichen Vorstellungen.
Welches Talent hat dieses Potential? In Schnait ist es inszeniert: Es ist das Talent von Ohr und Herz für den, der am Boden kauert. Das Talent der Liebe, die wir empfangen und geben. Liebe vertraut der Hausherr seinen Dienern an. Als wenig kommt sie daher – und enthält doch das Potential von vielen, vielen Jahresgehältern. Sie fließt aus der Hand dessen, der am Ende sagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Kann die Liebe es aufnehmen mit den verrückten Gewinnmargen auf dem Kapitalmarkt? Die gibt’s ja besonders bei riskanten Investitionen. Da wird auch mal eine Investition in den Sand gesetzt. “Das war vergebliche Liebesmüh!“, sagen wir dann. Doch was soll’s: An anderer Stelle verbreitet sich die Liebe weiter und weiter und weiter. Wie wenn ein Stein ins Wasser plumpst und Kreise auslöst.

5 Brote und 2 FischeAber was soll das schon bringen, das mit der Liebe – in dieser Welt, wo’s zugeht wie es zugeht?
Wer weiß.
In unserer Geschichte waren am Ende aus sieben Talenten 14 geworden. Das vergrabene Talent kommt noch hinzu. 15 waren es also in Summe. Wenn Jesus mit fünf Broten und zwei Fischen mehr als 5000 Menschen satt gemacht, was mag dann erst aus 15 Talenten werden können? Was mag sich entwickeln, wenn wir wirklich auf Liebe setzen?
Der Hausherr traut uns viel zu. Und ja, er sieht, dass unser Liebesvermögen unterschiedlich ist. Wir alle tragen unsere Lebensgeschichten im Gepäck. Manchmal kriegen wir den Kopf nicht hoch. Dann ist’s nicht so weit her mit der Liebe, die weiterfließt an andere. Doch schon ganz kleine Brötchen der Liebe machen satt. Denn der Mensch lebt nicht allein vom Materiellen. Er braucht ein Gegenüber, das ihn annimmt, wie er ist. Er braucht eine Hilfe, jemandem, der ihm etwas zutraut. In der Wirtschaft der Selbst- und Nächstenliebe sind die Gewinnmargen immens. Trauen wir uns, den Blick zu heben? Amen.

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