18. Sonntag nach Trinitatis (16. Oktober 2022)

Autorin / Autor:
Dekan Christoph Baisch, Heilbronn [Dekanatamt.Heilbronn@elkw.de]

Epheser 5, 15-20

IntentionDer paränetische Predigttext wird entfaltet von der Zusage „Lebt als Kinder des Lichts“ – und von der Schwierigkeit, mit dieser Zusage in einer Welt zu leben, die auch so viel Schatten hat. Die Aufforderung, sich mit geistlichen Liedern zu ermuntern, wird nicht erläutert, sondern im Verlauf der Predigt praktiziert.

„Lebt als Kinder des Lichts!“ Geht das?„Lebt als Kinder des Lichts!“ – Liebe Gemeinde, das ruft uns der Epheserbrief zu. Er taucht uns ein in den strahlenden Lichtschein von Ostern, in dem der Tod keine Macht mehr hat. Umhüllt von dem warmen Licht, in dem der Auferstandene uns Zukunft eröffnet. „Kinder des Lichts“ zu sein – das richtet auf.
Doch der Ruf dieses Briefs traut uns auch zu, danach zu leben. Das ist gar nicht so einfach. Weil so viel Schatten um uns sind. Dunkle Schatten, in denen der Tod sehr wohl seine Macht hat; Schatten von Krieg und Gewalt, von Unrecht und Not, von menschlichen Irrwegen und Abgründen.
„Lebt als Kinder des Lichts“ – mitten in einer Welt voller Schatten. Wie kann das gehen? Als wüsste der Schreiber des Briefes genau, welche Fragen sich hier auftun, fügt er gleich ein paar Hinweise an. Er steckt uns ein paar Lichter auf, mit denen die Kinder des Lichts hineinleuchten können in die Schatten des Lebens.
Ich lese aus Epheser 5 die Verse 15 bis 20:

„So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise,
und kauft die Zeit aus; denn die Tage sind böse.
Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.
Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen.
Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen
und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.“

So leben, dass Licht durchscheintDeutliche Worte, liebe Gemeinde. Leben als Kinder des Lichts – mitten in einer Welt voller Schatten. Das wird uns zugetraut, mit einigen Hinweisen.
„So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt.“ Im Griechischen steht für „sorgfältig“ das Wort akribōs. Also akribisch genau sollen wir auf unseren Lebensstil achten – als Grundhaltung, die sich durch alle Tage zieht. Tun wir das? Wollen wir das überhaupt? Wird durch solch eine Akribie das Leben nicht eng und ängstlich und auf Regeln fixiert?
Wie gut, dass der Epheserbrief seine Akribie noch näher erläutert und uns konkrete Lichter aufsteckt.

Die Leuchtkraft gemeinsamer Lieder„Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern“ – dieses Licht braucht nicht Worte, sondern Klänge. Einige haben heute schon diesen Kirchenraum erfüllt. Wir werden noch weitere hinzufügen. Lieder, die der Seele gut tun; die das Herz berühren; und die, gemeinsam gesungen, einen Klang schaffen, von dem sich auch diejenigen tragen lassen können, denen das Singen vergangen ist, weil die Schatten zu sehr belasten.
„Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern“ – ein Ratschlag, dem wir gleich nachkommen können, auch in dieser Predigt. Lassen Sie das Gesangbuch griffbereit.

Die Leuchtkraft des Geistes GottesIm Gedächtnis geblieben ist aber vermutlich vor allem der Ratschlag, der die drastischsten Worte wählt: „Sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen.“
In einer Weingegend, die erst vor ein paar Wochen nach zwei Jahren Corona-Pause endlich wieder das Weindorf eröffnen konnte, dürften diese Worte eher auf Zurückhaltung stoßen. Man will sich die fröhlichen Begegnungen und Gespräche mit dem Glas Wein in der Hand ja nicht madig machen lassen. Und genauso wenig den Genuss der vielfältigen guten Tropfen, die die hiesigen Winzer hervorzaubern.
Aber im Kern zielt dieser Ratschlag auch auf etwas ganz anderes: „Lasst euch vom Geist erfüllen.“ Es geht darum, dass Gottes Geist in uns seine Fülle findet. Weingenuss im Übermaß wäre das Gegenteil davon.
Das eine Übermaß benebelt und verschleiert den Blick in die Welt. Die Fülle des Geistes Gottes dagegen schenkt klaren Sinn und öffnet den Blick für Gott und die Welt.
Wo der Geist Gottes uns erfüllt, sehen wir die Menschen um uns mit zugewandtem Blick und mit Verständnis.
Der Geist Gottes öffnet den Blick für die Kostbarkeiten der Natur – und für ihre Verletzlichkeit.
Der Geist Gottes berührt das Herz, so dass wir spüren, was anderen gut tut.
„Lasst euch vom Geist erfüllen.“ Das steckt uns der Epheserbrief als Licht auf. Von diesem Licht können wir singen. „Ermuntert einander mit … geistlichen Liedern“. „O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein...“ Singen wir vom Lied 136 im Gesangbauch die 1. Strophe.

Die Leuchtkraft des VerstandesErfüllt vom Geist Gottes, wird der Verstand aber nicht überflüssig. Im Gegenteil. Als weiteres Licht steckt uns der Epheserbrief auf: „Werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.“
Wenn das nur immer so klar wäre: was der Wille Gottes ist. Wie hilfreich wäre ein festes Regelwerk, was zu tun oder zu lassen ist!
Doch diese Welt ist zu vielfältig, als dass sie mit einem alles abdeckenden Regelwerk erfasst werden könnte. Die Situationen des Lebens sind so verschieden, die Fragen des Lebens oft so komplex – da liegt der Wille Gottes oft in der Tiefe, überlagert von einfachen oder vorschnellen Antworten.
„Versteht, was der Wille des Herrn ist.“ Da braucht es Reflexion und Argumentation. Uns ist aufgetragen, immer neu zu prüfen, was der Liebe Gottes und seiner Barmherzigkeit und seiner Anweisung zum Leben entspricht. Das ist keine leichte Aufgabe in heutiger Zeit, wo komplexe Fragen des Lebens und des Sterbens, der Gerechtigkeit, des Friedens und des Umgangs mit der Schöpfung zu bedenken sind.
Da zählen weder die schnellen noch die besonders lauten Antworten. Weisheit ist gefragt, die kritisch prüft, Argumente abwägt und das Gute behält; Weisheit, die versteht und begründen kann, was sie tut; Weisheit, die dann auch mutig das Erkannte vertritt; Weisheit, die sich ganz an Gottes Liebe zum Menschen orientiert.
Solche Weisheit legt uns der Epheserbrief ans Herz – als Licht, mit dem wir ins Dunkel leuchten können. Von diesem Licht können wir singen. „Ermuntert einander mit … geistlichen Liedern.“ „Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut.“ Singen wir vom Lied 635 (EG Wü) die ersten beiden Strophen. (Alternative aus dem Stammteil des EG: „Schaff in mir, Herr, den neuen Geist“, EG 390,2.)

Die Leuchtkraft des Gespürs für den AugenblickUnd noch ein Licht steckt uns der Epheserbrief auf für das Leben in dieser Welt voller Schatten. „Kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse.“ Das hier verwendete griechische Wort für „Zeit“ meint dabei nicht die Lebenszeit oder die Zeit der Weltgeschichte, sondern den Zeitpunkt, den konkreten Augenblick, den richtigen Moment für das rechte Handeln.
Also: „Nutzt jeden passenden Moment, denn die Tage sind böse.“ Dann gilt es, aufmerksam zu bleiben: achtsam die jeweiligen Momente erleben; empfindsam wahrnehmen, was geschieht.
Die Alltagsroutine, die sich wie eine Kruste um uns legen kann, wird dadurch aufgebrochen. Das Eingespielte, das Unbedachte wird unterbrochen. Die Momente kommen in den Blick und bringen ihre Kostbarkeit ins Spiel.
Der Hang, vieles aufzuschieben, ist in Frage gestellt. „Nutzt jeden passenden Moment“ – dann werden nötige Gespräche nicht mehr ewig vor sich her geschoben. Dann wird ein Besuch einfach gemacht, weil jetzt die Gelegenheit dazu ist. Dann wird ein Gruß geschrieben, weil jetzt die Gedanken bei der anderen Person sind. Dann wird eine hilfreiche Tat gleich angegangen, auch wenn der Tagesplan vielleicht ganz anderes ausgesehen hatte. Ein klärendes versöhnliches Gespräch wird geführt, auch wenn man sich gerne noch gedrückt hätte. Eine Bitte um Verzeihung wird ausgesprochen, auch wenn man sich das gerne erspart hätte.
„Nutzt jeden passenden Moment.“ „Kauft die Zeit aus, denn es sind böse Zeiten.“ Der Epheserbrief steckt uns hier ein Licht auf, das empfindsam macht für die vielfältigen Augenblicke in unseren Tagen.
Von diesem Licht können wir singen. „Ermuntert einander mit … geistlichen Liedern“. „Wo ein Mensch Vertrauen gibt“ – singen wir das Lied 638. (Alternative aus dem Stammteil des EG: 432,1+2.)

Lichter zum Leben!„Lebt als Kinder des Lichts.“ Der Ruf des Epheserbriefs kann uns begleiten. Als Erinnerung an das Licht, das die Schrecken der Schatten in Schranken weist. Präsent genug sind die Schattenseiten des Lebens allemal. Umso mehr brauchen wir das Licht, das in unsere Tage fällt – und in dessen Schein gehen wir unsere Wege.
Mit den Worten des Epheserbriefs haben wir Lichter in die Hand bekommen, mit denen wir hineinleuchten können in das, was das Leben verdunkelt:
• erfüllt von Gottes Geist offen in die Welt blicken;
• besonnen und mit Verstand nach dem Willen Gottes fragen;
• empfindsam den rechten Augenblick wahrnehmen;
• und bei all dem uns mit geistlichen Liedern ermuntern.

So können wir leben. So leben wir als Kinder des Lichts. Was will uns daran hindern? Amen.



Liedvorschlag nach der Predigt (Danklieder):
EG 322, 1-5 Nun danket all und bringet Ehr
EG 333, 1-3 Danket dem Herrn! Wir danken dem Herrn.
Wwdl 125 Du bist heilig, du bringst Heil



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