Vorletzter Sonntag des Kirchenjahrs / Volkstrauertag (13. November 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Dorothea Schlatter, Ludwigsburg [Dorothea.Schlatter@elkw.de]

Lukas 18,1-8

IntentionDie Geschichte hat mich angeregt, über die Kraft des Gebets nachzudenken.
Dabei schätze ich das Zitat von Therese von Lisieux: „Wie groß ist doch die Macht des Gebets! Man könnte es einer Königin vergleichen, die immer freien Zutritt zum König hat und alles erlangt, worum sie bittet. Es ist durchaus nicht nötig, ein schönes, für den entsprechenden Fall formuliertes Gebet aus einem Buch zu lesen, um Erlösung zu finden. Ich sage Gott ganz einfach, was ich ihm sagen will, ohne schöne Worte zu machen, und er versteht mich. Für mich ist das Gebet ein einfacher Blick zum Himmel, ein Ruf der Dankbarkeit und der Liebe, aus der Mitte der Mühsal wie aus der Mitte der Freude. Es ist etwas Großes, das mir die Seele weitet und mich mit Jesus vereint.“
Bewegt hat mich auch, dass mein Recht, vor Gott etwas einzuklagen, möglicherweise etwas ganz anderes bedeutet, als wir uns gewöhnlich vorstellen.

18, 1 Er sagte ihnen aber ein Gleichnis davon, dass man allezeit beten und nicht nachlassen sollte,
2 und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.
3 Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam immer wieder zu ihm und sprach:
Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!
4 Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst:
Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue,
5 will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen,
damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.
6 Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt!
7 Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten,
die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er bei ihnen lange warten?
8 Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.
Doch wenn der Menschensohn kommen wird, wird er dann Glauben finden auf Erden?

Was bedeutet eigentlich beten?Fast jeder hat es schon getan. Es ist eine Praxis in vielen Religionen. Menschen wenden sich an Gott. „Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott in Bitte und Fürbitte, Dank und Anbetung“ – so haben es manche im Konfirmandenunterricht gelernt. Anlässe dafür gibt es viele. Viele sind es auch, die vom Beten gar nichts halten. Wozu beten? Das bringt doch nichts. Da kann ich doch genauso gut gegen eine Wand reden. Das sagen nicht wenige. Sie berufen sich auf ihre Erfahrungen und die waren nicht erfreulich. Und da haben sie etwas gemeinsam mit der Witwe in unserem Beispiel. Mit dem Beten gibt es ganz unterschiedliche Erfahrungen, gute und schwierige.

Beten, Bitten und Glauben sind ganz eng miteinander verbundenJesus stellt einen Zusammenhang her zwischen Beten, Bitten und Glauben. Seine Zuhörenden sollen allezeit beten, nicht nachlassen. Wenn sie das tun, findet der Menschensohn Glauben. Wie kommt ein Mensch dazu, allezeit zu beten? Da muss die Not wohl groß sein. Vielleicht aber ist es auch das Glück – zu leben zum Beispiel.

Von der Schwierigkeit zu bittenNun ist das ja so ein Problem mit dem Bitten. Viele wollen das auf alle Fälle vermeiden. Dem anderen bloß nicht zur Last fallen. Deshalb sagen sie: Nein, das kann ich alleine.

Bitten als TugendJesus stellt eine Witwe in unsere Mitte. Sie ist sich nicht zu schade zu bitten. Und sie tut das auch nicht nur ein oder zweimal. Nein, unaufhörlich geht sie dem Richter auf die Nerven mit ihrem Anliegen. Dringlich ist es ihr. Für sie hängt viel davon ab. Sie besteht darauf, dass sie ein Recht hat, gehört zu werden. Ihre Ausgangsposition ist nicht gut. Als Witwe steht sie am Rand der Gesellschaft. Rechte hat sie kaum. Verliert sie ihren Mann, verliert sie nicht nur eine Person, sondern auch ihren rechtlichen Schutz. Aber gerade sie lehrt uns, dass sich beharrliches Bitten lohnt.

Es gehört Mut dazuJa, es gehört Mut dazu, zu sagen ich brauche etwas. Könntest du das für mich tun? Und es ist nicht leicht, die Bitte zu wiederholen. Da muss ich es wagen, mein Anliegen selbst für wichtig zu nehmen. Ich muss mir erlauben, Wünsche zu haben und diese auch auszusprechen.

Der RichterEr wird hier geschildert als ein Mensch, der sein Amt nicht ernst nimmt. Er ist ungerecht. Er weiß sich keiner höheren Institution verpflichtet und auch nicht den Menschen. Er ist eigentlich das Gegenteil von dem, was er sein sollte. Seine Aufgabe ist es doch unbestechlich, unparteiisch zu sein. Er soll das Recht in Kraft setzen und dem Unrecht wehren. Die Schwachen soll er schützen. Doch unser Richter hier ist anders. Ob er überhaupt Recht spricht, das hängt davon ab, ob er gerade will. Die Frau in der Geschichte hat Pech, er will lange nicht.
Wie ist das, wenn ein Mensch nervt? Das Kind, das quengelt, weil es etwas Süßes will. Die Partnerin, die immer wieder mehr Zeit einfordert. Der Vater, der darauf besteht, dass die Hausaufgaben zuerst gemacht werden. Wann geben wir nach, um unsere Ruhe zu haben? Wie ist das, wenn die Veränderung des Klimas, die Menschen in Not, finanzielle Sorgen einen bedrängen und die Herausforderungen nerven? Fangen wir an, die Ärmel hochzukrempeln, um etwas zu ändern und fangen wir bei uns an?

Die WitweSie ist eine bemerkenswerte Person. Schicksalsschläge hat sie schon hinnehmen müssen. Das hat sie nicht geknickt, im Gegenteil, sie scheint mit einer unbändigen Energie ausgestattet zu sein. Ein ums andere Mal macht sie sich auf den Weg zum Richter und bringt ihr Anliegen vor. Ganz egal, ob er darauf eingeht oder nicht, sie bleibt dabei. Sie kämpft einen fast aussichtslosen Kampf. Und das Erstaunliche – sie gewinnt.

Die ZuhörendenZu Menschen wie ihr spricht Jesus, zu Menschen, die in Not sind. Sie kennen Bedrückung – das Land ist besetzt, in der Hand der Römer. Die lassen sich ihren Krieg teuer bezahlen. Viele sind arm und haben gerade so das Nötigste zum Überleben. Sie wissen, wovon Jesus spricht. Sie warten sehnsüchtig auf Gerechtigkeit. Und sie sollen hören, dass Gott sie ganz bestimmt hört. Dass er ihnen Recht schafft und das nicht erst in der Ewigkeit, sondern in Kürze.

Was Glauben kannGlaube – das ist erst einmal: in Verbindung sein und bleiben mit Gott. Und dann darauf vertrauen, dass Gott unbedingt auf meiner Seite steht. Und deshalb nicht müde werden, sondern hören und bitten und Recht schaffen. Ganz im Sinn von: Finde die Lücke im System. Das Gebet, die Verbindung zu Gott, kann mich bestärken, beharrlich zu sein. Nicht aufzugeben, auch wenn mein Anliegen aussichtslos erscheint. Beten lohnt sich, denn es setzt Kraft frei. Glaube trägt die Chance in sich, Abstand zu gewinnen, Situationen in einem anderen Licht zu betrachten, auch unerfüllte Gebete auszuhalten.
Dafür aber braucht es Ausdauer und Geduld, ein Dranbleiben und trotz Enttäuschungen sich nicht abwenden. Wir sind nicht rechtlos wie diese Witwe. Unsere Chance vor Gott Gehör zu finden und Recht zu bekommen ist groß, sehr groß. Gott wird uns nicht im Stich lassen. Da ist sich Jesus sicher. Er hilft mir, daran festzuhalten, dass auch ich zu meinem Recht komme.

Darin besteht unser RechtWas aber ist denn mein Recht vor Gott? Gottes Liebe und Barmherzigkeit zu erfahren, jeden Morgen neu. Heil und ewiges Leben ist mir zugesagt um Jesu willen. Mit Gott im Frieden sein ist mein Recht.
Wenn mir so umfassend Recht zugesprochen wird, dann lohnt es sich, einen neuen Himmel und eine neue Erde zu erwarten und dafür schon heute einzutreten. Unsere Bitten werden nicht unerhört verhallen. Unser Engagement für mehr Gerechtigkeit steht unter der Verheißung, nicht umsonst zu sein. „Sollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm rufen und wollte er’s lange hinziehen?“ Nein antwortet Jesus. Ich sage euch, er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Ja, so wird es sein. Amen.

Wichtige Anregungen für den Gedanken, was Recht vor Gott bedeutet, sind entnommen aus: https://www.selk.de/credo/lesepredigt/133-Lukas%2018_1-8.pdf


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