Heiligabend/Christvesper (24. Dezember 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Harry Waßmann, Rottenburg [Harry.Wassmann@t-online.de]

Lukas 2,1-20

IntentionGroße Furcht und große Freude – diese beiden Pole in der Geburtsgeschichte des Christus Jesus nach Lukas berühren mich dieses Jahr besonders. In Zeiten von Anfechtungen und Krisen kann sie Hoffnung bewahren und wecken. Spürt man ihr nach, kann man „im Ernst der Lage“ Trost finden. Ich gliedere die Predigt in drei Teile. Zwischenlieder können ein guter Resonanzraum für die Predigt sein, ebenso der Johannesprolog (Joh 1 nach EG 763) als Psalm oder Schriftlesung.
Konkretionen lassen sich m.E. in heutigen Gemeindeerfahrungen finden. Vielleicht gibt es auch in den Fürbitten Platz dafür.

Zeitenwende – ohne Glanz und WärmeLiebe Christfestgemeinde,
unser Leben steht im Zeichen einer Zeitenwende.
Im vergangenen Jahr und auch im kommenden Jahr.
Pandemie, Klimakrise, Krieg und Teuerung – vieles ist nicht mehr so wie es war.
Und wird es nicht mehr.
Furcht vor dem, was kommt, macht sich unter uns breit.

Da ist es gut, von einer Zeitenwende zu hören, die uns und unsere Welt in ein neues Licht stellt.
Da ist es gut, ein Licht im Dunkel zu sehen.
Weihnachten – die Geburt des Jesus Christus – das ist d i e Zeitenwende für uns. Eine Wende zum Leben – zur Hoffnung. Spüren wir dieser Zeitenwende nach.
So erzählt das Lukasevangelium von Jesu Geburt (Lk 2,1-7):

"Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge."

So weit erst einmal. Halten wir inne.
Es begab sich aber zu der Zeit ...
Wie unterkühlt wird hier von Jesu Geburt erzählt.
Sachlich. Informativ. Wie in den Nachrichten.
Kein Wort von Freude, von Friede auf Erden, vom Licht der Welt.
Von einer Volkszählung ist die Rede –
befohlen von ganz oben, vom Herrscher in Rom –
um das Volk zu schätzen – also zu taxieren.
Es geht darum, Steuern einzutreiben – zur Not mit Gewalt.
Da geht es um richtig viel Geld.
Dahinter stecken der Kaiser und seine Handlanger.
Die bestimmen, wo es lang geht.
So sieht es aus - jedenfalls auf den ersten Blick.

Und darum ist Joseph mit seiner hochschwangeren Frau Maria unterwegs.
Zu Fuß. Von Nazareth bis nach Bethlehem – an seinen Geburtsort. Rund 150 km.
Ob ihm das passt oder nicht. Das Gesetz sieht es so vor.
Beide müssen da durch. Joseph und Maria.
Sie finden keine Unterkunft. Alle Zimmer sind belegt.
Für sie ist nur Platz im Nebenraum – im Stall.

Da kommt Jesus zur Welt.
In eine Welt, die so gar nicht von der Liebe regiert wird.

Bis hierher, liebe Gemeinde,
ist das eine Zeitenwende – ohne jeden Glanz.
Der Himmel scheint wie vernagelt.
Vater und Mutter – allein auf sich gestellt.
Die Geburt. Das Kind. In Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt.
Karge, zerbrechliche Zeichen von Annahme und Geborgenheit.
Nicht mehr und nicht weniger erfahren wir.
Liebe und Zuwendung auch in rauen und schweren Zeiten.
In der Stille, in kargen Verhältnissen und unbemerkt von den Lautsprechern der Zeit.
So kommt der Sohn Gottes zur Welt. So unerwartet – so geheimnisvoll.
Da, wo die Mächtigen es nicht im Sinn haben – da ist Gott am Werk.
Da wird seine Liebe ein Mensch – in dem Knirps Jesus – in Bethlehem, im jüdischen Land.

Wir singen nun davon: Es ist ein Ros entsprungen ... Lied: 30,1+2

Zeitenwende zum Leben: Das Licht leuchtet aus der Finsternis (2. Kor 4,6)Wir haben gehört: Im Stall ist Platz für das Kind.
Wenigstens dort. Oder: Gerade dort! Im hintersten Winkel der Geschichte,
da im Kleinen und Unscheinbaren kommt Gott zur Welt.
Da öffnet sich die Tür für den Christus und die neue Zeit.
Es heißt:
Dieses Licht scheint in der Nacht und die Mächte der Finsternis können es nicht aus der Welt schaffen.
Dieses Licht der Welt verlöscht nicht.
Dieses Licht bleibt nicht im Verborgenen.
Es strahlt aus.
Wir hören davon im 2. Abschnitt der Weihnachtsgeschichte (Verse 8-14):

"Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des HERRn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens."

Gottes Engel kommt! Zu den Hirten – zu denen, die ihre Herde hüten.
Zu denen am Rand, zu denen draußen vor der Tür.
Im Dunkel – bei Nacht – da leuchtet der Glanz Gottes!

Und wie reagieren die Hirten?
Sie fürchten sich!
Es heißt: Die Hirten erfasste eine g r o ß e Furcht
(wörtlich: „sie fürchteten sich – eine große Furcht!“).
Das Licht verunsichert und verängstigt sie erst einmal.
Das ist ihr erstes Gefühl: Angst. Kein Halleluja. Kein „Hurrah – Gott ist da!“

Liebe Gemeinde,
können wir das nicht nachempfinden?!
Wie kann und soll – bitte schön – in schweren Zeiten eine Lichterscheinung – ein Lichtblitz bei Nacht – eine Veränderung, eine Zeitenwende zum Guten einläuten?
Wenn so etwas passiert – in schweren Zeiten, da denken wir doch auch zuerst:
„Das nächste Unheil! Es kann nur schlechter werden...“

In diese große Angst vor der Zukunft spricht der Engel Gottes:
„Fürchtet euch nicht!“
Sonst werdet ihr nicht offen für das, was euch Gutes, Schönes widerfahren soll.
Große Freude für euch und alle Welt!
Der Heiland, der Retter, der Erlöser ist geboren.
Der Friedensbringer für alle Welt.
Und zwar bei euch – ganz in eurer Nähe.
Mit dem kommt wirklicher Friede in die Welt.
Und der liegt als Säugling in einer Futterkrippe.

Kann das denn wirklich sein? Wer sich fürchtet, der kann das nicht sehen. Schon gar nicht glauben. Unfassbar ist das.
Da braucht es diese Zusage: „Ihr werdet ihn finden ... !“
Diese Aussicht bringt die Hirten in Bewegung - löst ihre Furcht, ihre Erstarrung.
Sie wollen sich vergewissern und nachschauen. Es heißt (Vers 15):
"Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat."

Wir singen davon – „Kommet, ihr Hirten, ihr Männer und Fraun...“
Lied 48 alle drei Strophen.

Das Wunder der Weihnacht strahlt ausWeihnachten zieht Kreise – und zwar so (Verse 16-20):
"Und die Hirten kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war."

Die Hirten kommen und sehen und erzählen davon anderen.
Sie sorgen dafür, dass die frohe Botschaft des Engels nicht bei ihnen stecken bleibt.
Maria und Joseph hören sie. Und auch andere erfahren davon. Nicht näher genannte.
Die Hirten bringen die Botschaft von einer guten Zeitenwende auf den Weg:
Die Frohbotschaft breitet sich aus – vom Stall in Bethlehem bis ins Zentrum der Welt – bis nach Rom – wie Lukas später erzählt (Acta 28).
Die Hirten von Bethlehem sind nur ein Glied – das erste – in einer langen Kette von Zeugen.
Sie kommen nie wieder in der Bibel vor.
Doch durch ihr Weitersagen leuchtet das Wunder der Weihnacht über so viele Jahrhunderte. Bis zu uns, in Tagen und Jahren wie diesen.
Das ist ihre Glanztat: angestoßen von den Hirten erreicht uns die Nachricht von dieser großen Zeitenwende:
Mit dem Kind in der Krippe kommt eine neue Welt zur Welt.
Eine Welt des Friedens. Eine Hoffnung für alle!
Gerade dort, wo es so aussichtslos erscheint, wo die Hoffnung auf Liebe und Versöhnung unter den Menschen zerbrochen ist.
Wo Krieg und Streit wüten. Im Großen wie im Kleinen.
Da erscheint – ganz gegen alle Erwartung:
Jesus Christus, der Mensch der Frieden lebt, der Frieden bringt, der der Friede ist.
Der Menschen verzeiht und sie versöhnt, der Menschen heilt und ermutigt.
Mit dem Kind in der Krippe – mit Jesus – beginnt neu das wahre Leben.
Darum heißt es: Sein Leben ist das Licht für uns Menschen (Joh 1,4).

Wollen wir ohne dieses Licht im Leben unterwegs sein?

Liebe Liebhaber der Weihnacht!
Ich könnte die Abgründe unserer Zeiten ohne dieses Licht nicht aushalten.
Das gilt für die großen, globalen Krisen wie für die erschütternden individuellen Lebenskrisen. Ich würde den Boden unter den Füßen verlieren – alle Orientierung, wie Leben sein kann und sein soll – wohl auch alle Hoffnung auf eine Wende zum Guten.

Im bedrohten Leben niemals nur von Finsternis umgeben sein – nicht einmal im Abschied vom Leben – nicht einmal im Sterben – genau da trägt (mich) diese Zusage:
„Fürchtet euch nicht!
Ich verkünde euch und alles Volk große Freude.
Euch ist der Retter geboren. Friede auf Erden!“

Wer´s glaubt wird selig!: Wo wir diese Worte wie Maria im Herzen bewahren – wo wir drauf vertrauen und uns daran orientieren – Christus ist unsere Hoffnung unser Licht – da können sich unsere großen Ängste in große Freude verwandeln.

Amen.

Lied: Nun singet und seid froh (EG 35,1+2+4)

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