Ostersonntag (09. April 2023)

Autorin / Autor:
Pfarrer Matthias Hennig, Weilheim/Teck [Matthias.Hennig@elkw.de ]

1. Korinther 15,1-11

IntentionDie Predigt möchte den Hörerinnen und Hörern ermöglichen, die Wirklichkeit der Auferstehung als Lebenskraft eigener Art zu erfahren. Dafür bietet sich die Nachempfindung von Dietrich Bonhoeffers Weg und letzten Worten an, auf dessen Todestag Ostern im Jahr 2023 fällt. Diese Erinnerung bewegt im Zusammenklang mit dem Glaubensbekenntnis in 1 Kor 15,3-5 die Hörerinnen und Hörer zum Beten und Handeln als „Protestleute gegen den Tod“.

1.Korinther 15,1-11Ich erinnere euch aber, Brüder und Schwestern, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr‘s so festhaltet, wie ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr’s umsonst geglaubt hättet. Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tag nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. Zuletzt von allen ist er auch gesehen worden von mir als einer unzeitigen Geburt. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Ob nun ich oder jene: So predigen wir, und so habt ihr geglaubt.

Ostern am 9. April 2023: ein Tag, zwei ErinnerungenLiebe Gemeinde,
einen Gruß soll er ausrichten. Er heißt Payne Best und ist britischer Offizier. Gerade ist der Gottesdienst zu Ende gegangen. Er hat in einem Schulgebäude stattgefunden. Die Gemeinde ist überschaubar an diesem Sonntag nach Ostern. Etwa zehn Menschen befinden sich im Saal. Man hat sie dort als Gefangene untergebracht. Payne Best ist darunter, ansonsten Leute des Widerstands gegen Hitler. Die Nazis haben sie im Schulhaus von Schönberg einquartiert, 40 Kilometer nördlich von Passau.
Ein Auto fährt vor. Stimmen nähern sich und Stiefelschritte. Die Tür zum Saal fliegt auf. Ein Nazi ruft: „Gefangener Bonhoeffer, fertigmachen und mitkommen!“ Dietrich Bonhoeffer richtet sich auf. Die Mitgefangenen verstummen. Sie ahnen, was kommt. Bonhoeffer verabschiedet sich. Unter den Zurückbleibenden trägt er Payne Best einen Gruß an seinen Freund auf, an Bischof George Bell. Bonhoeffers Worte lauten: „Das ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens.“ Dann geht er hinaus. Das Auto bringt ihn ins Konzentrationslager Flossenbürg. Keine 24 Stunden später wird er dort auf Befehl Adolf Hitlers umgebracht. Es ist der 9. April 1945. Auf den Tag genau 78 Jahre ist das her.
„Das ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens.“ Wie kann das sein? Wie kann ein Mensch, der um seine Hinrichtung weiß, den „Anfang des Lebens“ vor sich sehen? Es ist nicht mein Satz. Es ist nicht meine Erfahrung, nicht mein Glaube, der hier zum Ausdruck kommt. Ich bin nicht einmal dabei gewesen, bin kein Augenzeuge. Ich höre Bonhoeffers letzten Gruß wie Sie, liebe Gemeinde: Jetzt. Nur als ein „Ohrenzeuge“ drei Generationen später. Der Satz klingt dennoch in mir nach. „Das ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens.“ Ein Bild kommt mir vor Augen: Dietrich Bonhoeffers Gesicht, seine Brille, deren runde Gläser. Ich lese von ihm, wie er sich als Gefangener fühlt: „unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig“. Von demselben Mann stammen die Zeilen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Er kommt mir nah. Seine Worte fallen tief in mich: „Das ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens.“ Ich glaube es ihm. Ich, ein Ohrenzeuge 78 Jahre später, glaube Bonhoeffer sein Osterbekenntnis.
Sie auch? Spüren Sie auch etwas von seiner Kraft? Von den zwei Seiten in Bonhoeffer: der Nacht des Zweifels und der Zuversicht des Tags? Wir wissen um seinen Tod: das „Ende“, die Nacht. Vorsichtig ahnen wir die Kraft seiner Hoffnung: den „Anfang des Lebens“, den neuen Tag. Heute, am 9. April 2023 wirken Dietrich Bonhoeffers Worte in mir. Eine Lebenskraft eigener Art geht von ihnen aus. Bonhoeffers Vertrauen steckt mich an: Der auferweckte Christus fängt nach dem sicheren Ende so viel mit mir an, dass der Tod außer Kraft gesetzt wird. Bonhoeffer ist für mich ein echter Osterzeuge.
Er selbst übrigens ist auch ein „Ohrenzeuge“ in seiner Zeit. Bestimmt hat er die Sätze aus dem ersten Korintherbrief ähnlich gehört wie Sie und ich vorhin. Paulus gibt darin ein Glaubensbekenntnis wieder. So wie Bonhoeffer es gehört hat, bekommt es die christliche Gemeinde in Korinth von Paulus gesagt und extra geschrieben. Dieses Bekenntnis wird weitergesagt bis in unsere Zeit. Heute, am 9. April, treffen die Erinnerungen von zwei Zeugen aus zwei Zeiten zusammen: Bonhoeffers Osterbekenntnis von 1945 und das viel ältere Glaubensbekenntnis der ersten Christinnen und Christen. Die Worte verbinden sich: „Das ist das Ende – dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift und dass er begraben worden ist; für mich der Anfang des Lebens – dass er auferweckt worden ist am dritten Tag nach der Schrift und dass er gesehen worden ist“. Dieses Osterbekenntnis bringt die Nacht vor Ostern zur Sprache und den neuen, ewigen Tag seit Ostern.

Die Nacht vor OsternTodsicher ist das Ende. Niemand entgeht ihm. Täglich stürzt uns eine Flut von Bildern der Nacht entgegen: Nachrichten von den Hinrichtungen in iranischen Gefängnissen und von den über 100 Femiziden in Deutschland pro Jahr. Dazu blitzen tausendfach Schreckensbilder aus aller Welt auf und lassen nichts als Dunkelheit zurück. Der Tod ist allem Anschein nach schwarze Nacht. Bewusstlos, bewegungslos, beziehungslos. Der Tod „ist das Ende“. Wer wollte Bonhoeffers Satz bestreiten? Die Wucht der Erfahrung ist enorm, erdrückend ihre Beweiskraft.
Auch die Christinnen und Christen der ersten Generation bezeugen das Ende. Paulus gibt ihre Worte weiter, „dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift und begraben.“ Sie hatten den gekreuzigten Jesus zu Grabe getragen. Sein Leichnam war mit Händen zu greifen. Christus ist ganz Mensch. Bis in die feinste Nervenfaser hinein und jede Schmerzempfindung. Er ist „einer von uns, doch keiner wie wir“ (A. Goes). Denn im Unterschied zu jedem anderen Menschen hat Christus kein gebrochenes Verhältnis zu Gott. Er ist mit Gott eins.
Die Augenzeugen müssen gute Gründe gehabt haben, es in ihrem Glaubensbekenntnis so zu sagen. Gerade die Jünger, so wird erzählt, hatten zuvor jeden Hinweis Jesu auf seinen Tod ignoriert. Petrus widerspricht Jesus sogar, als dieser sein Leiden und Sterben ankündigt. Nun aber bekennen sie, dass „Christus für unsere Sünden gestorben ist nach der Schrift und begraben worden ist“. Es hat gedauert, bis sie die Übereinstimmung sahen zwischen dem Gekreuzigten und dem, was in den heiligen Schriften des Judentums gesagt wird zum Beispiel vom „Gottesknecht“. Tage nach dem Ende dämmert es ihnen. Im hellen Licht von Ostern sagen sie, „dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift und begraben.“ Sie können vom Ende nur deshalb so sprechen, weil sie auch vom Anfang etwas zu sagen haben, der auf das Ende folgt: nämlich „dass er auferweckt worden ist … und gesehen worden ist.“

Der neue Tag seit Ostern„Auferweckt … und gesehen worden“ – wer traut da seinen Ohren noch? Die biblischen Ostergeschichten erzählen von den Zweifeln des Jüngers Thomas und vom Entsetzen der Frauen am Grab, von ungläubigen Blicken, von verstopften Ohren und von empörten Gemütern. Es kann kaum anders sein. Denn wenn auf den sicheren Tod kein Verlass ist, dann ist die Welt aus den Fugen.
Wollen wir, liebe Gemeinde, dennoch dem Osterbekenntnis für einen Moment Glauben schenken? Vielleicht nur aus Respekt vor Dietrich Bonhoeffer und vor der Kraft, die ihn als Mensch getragen hat? Vielleicht nur aus Respekt vor den frühen Zeugen und mit der Hoffnung, dass die Kraft Gottes auch in uns zu wirken beginnt? Schenken wir dem Osterbekenntnis für einen Moment Glauben, auch mit Respekt vor den einmaligen Augenzeugen. Sie haben sich damals zum auferweckten Christus bekannt, auch wenn es sie jede religiöse und soziale Sicherheit kostete.
„Auferweckt … und gesehen worden“ – gesehen von Kephas, dem Petrus. Ausgerechnet der, der Jesus feige verleugnet und jede Verbindung mit Jesus im Hof des hohenpriesterlichen Palasts verneint: der bejaht Christi Auferweckung vom Tod. Der hat den Auferweckten gesehen. Das bewegt mich. Jesus Christus lässt sich bei dem zweifelhaften Petrus unzweifelhaft als Auferstandener sehen. Mit Petrus fängt er wider alle Erwartung etwas an, nachdem Schluss war. Bei aller Freundschaft: fertig, aus, Ende. Das geht mir nah. Es berührt mich und hat mit uns zu tun.
Da erzählt einer: Mit allem war ich fertig, aus, Ende. Nur die eine Gewissheit: Der Tod muss sein. So lag ich in dem Krankenhauszimmer. Da kommt ein Freund ins Zimmer. Er streckt mir seine Hand entgegen, er spricht mich taghell an. Liebevoll bewirkt er Stilles, Größeres, Mächtigeres als die lautstarke Wirklichkeit des sicheren Todes. Er kommt Tag für Tag, vier Wochen lang. Wider alle Erwartung steigt Kraft in mir auf, neue Kraft, noch nie da gewesene Kraft. Es passiert gegen alle Erfahrung, die ich kannte. Mit dem unverlangten Kommen des Freundes aber und seiner heilsamen Anwesenheit leuchtet mir ein: dass Jesus Christus lebt und wirkt. „Dass Christus auferweckt worden ist am dritten Tag nach der Schrift und gesehen worden ist“, dass er weitergesagt und weitergehört worden ist, dass Jesus Christus weiterwirkt und sich mit seiner Lebenskraft uns Menschen heute vergegenwärtigt.
Christus ist „auferweckt worden … und gesehen worden“ – dieses Glaubensbekenntnis können wir mitsprechen. Im Mitsprechen und durch die Erinnerung an das Ostergeschehen richtet es mich auf, es macht mich hell und bewegt mich. Und es drängt mich zu danken. Es drängt mich, zu bitten, besonders für die, die in einem Krankenhaus- oder Pflegeheimzimmer liegen. Für die, die niedergeschlagen sind. Für die, die am Boden zerstört sind. So beten wir. Seit Ostern, liebe Gemeinde, sind wir „Protestleute gegen den Tod“ (Chr. Blumhardt). Beim Beten sind wir das und beim Tun des Gerechten. Ich kann jetzt viel anfangen mit denen, die auf Besuch und Beistand warten. Zu all unserem Tun und Lassen stellt sich die Frage: Dient es dem Leben? Segen breitet sich aus, wo wir der Lebenskraft Christi Raum geben, ihr unser Gesicht und unsere Stimme geben und uns engagieren.
Wen immer Sie heute noch treffen, liebe Gemeinde, würden Sie einen Gruß ausrichten? Vielleicht fragt Sie ja jemand: Und? Wie war’s in der Kirche? Dann sagen Sie doch: „Heute auf den Tag genau ist Dietrich Bonhoeffer 78 Jahre tot. Aber sie haben ihn nicht zum Schweigen gebracht, er ist ein echter Osterzeuge.“ Oder Sie sagen: „So sicher wie das Amen in der Kirche, ja: Todsicher ist das Ende; aber taghell der Anfang danach.“ Oder Sie machen’s ganz kurz und richten aus: „Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.“ Amen.

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