Pfingstmontag (09. Juni 2025)
Matthäus 16,13–19
IntentionAnlässlich der Wahl Papst Leos des XIV. stellt sich auch für evangelische Christinnen und Christen die Frage: Wie ist das Felsenwort an Petrus in Mt 16,18 zu verstehen und wer war der historische Petrus? Was will Jesus mit der Wahl des Petrus als dem „Felsen, auf den seine Gemeinde aufgebaut sein soll“ zum Ausdruck bringen? Die Predigt soll in ihrer Pragmatik Menschen in der Gemeinde dazu ermuntern, sich selbst in aller Unperfektheit als diejenigen zu sehen, die Kirche und Gemeinde an derjenigen Stelle bauen, an die sie im Leben gestellt sind.
Predigttext: Matthäus 16,13-19„Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er sprach zu ihnen: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“
Der 267. PapstLiebe Gemeinde, 8. Mai 2025, gegen 19.30 Uhr: Spannung liegt in der Luft an diesem lauen Frühlingsabend auf dem Petersplatz in Rom. Der Kardinal in rotem Ornat auf der Loggia räuspert sich, als er das Buch vorgehalten bekommt. „Habemus papam“ – die Worte, auf die alle gewartet haben, erschallen über den Platz und quer durch die weltweiten Medien: „Wir haben einen Papst.“ Gewählt wurde Kardinal Robert Francis Prevost. Der violette Vorhang öffnet sich, und er betritt die Bühne der Weltkirche als neuer Papst Leo XIV. Freundlich winkt er der jubelnden Menge zu – und mir stellt sich die Frage, während ich den freundlich wirkenden, kleinen Mann aus den USA in einem kurzen Moment schlucken sehe: Wird er sich gerade bewusst, was er da nach katholischer Meinung ist? Sein Amt: Nachfolger des Petrus, Stellvertreter Christi auf Erden. Klein wirkt er, fast schüchtern auf der Loggia des Petersdoms. Wie ein kleines Detail, gemalt auf die Kulisse des riesigen Petersdoms. In der Kuppel dieser Zentralkirche der weltweiten Christenheit, da steht der Anspruch und die Zusage, unter der er dieses Amt antritt. In riesigen Goldbuchstaben in der Rotunde steht: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen.“ Da steht er: Der 267. Nachfolger des Petrus; der Fels in der heutigen Zeit, auf den die katholische Kirche gebaut sein will. In Violett gehüllt, mit weißem Käppchen, das Goldkreuz auf der Brust, golddurchwirkt die Stola. Und ich frage mich instinktiv: Wer war eigentlich der Mann, auf den sich das Papsttum bis heute beruft? Was weiß ich von diesem Petrus? Wer war diese heroische Anfangsgestalt, dieser Fels, auf den Jesus seine Kirche aufbauen wollte? Eine Kirche durch alle Konfessionen hindurch, zu der sich heute 2,5 Milliarden Menschen bekennen?
Petrus aus GaliläaZeitsprung: 2000 Jahre zurück. Caesarea Philippi im Norden des heutigen Israels. Jesus entscheidet sich. Er setzt auf Petrus. Auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen. Ein Glaubensheld am Anfang der Geschichte der Kirche? Ein polyglotter Intellektueller? Ein Leader-Typ, der mitreisen kann? Wohl kaum. Petrus ist Fischer, hat Familie und wohnt am See Genezareth. Er hat eine Schwiegermutter im Haus und war verheiratet – beim ersten Papst auf der langen Liste der Päpste ist das durchaus bemerkenswert. Griechisch war offenbar nicht seine Spezialdisziplin: Denn er sprach einen breiten galiläischen Dialekt, was ihn in Jerusalem als „Landei aus dem Norden“ erkennbar machte. Die Legende in späterer Zeit geht noch weiter: Petrus wird legendarisch ein Dolmetscher an die Seite gestellt, um sich im griechischen Sprachraum verständigen zu können. Ein großer Intellektueller war Petrus dem biblischen Zeugnis nach offenbar nicht.
Als Person ist Petrus stellenweise schwierig: Für den „Felsen“, auf den Jesus seine Kirche gebaut sehen will, mangelt es ihm zumindest stellenweise stark an Glauben. „Kleingläubiger!“ – so ruft ihm Jesus in aller Härte zu, als er auf dem See Genezareth einsinkt, weil der Zweifel ihn übermannt. Petrus fehlt es nicht nur manchmal an festem Glauben; nein: Er scheitert auch in großer Regelmäßigkeit. Als Jesus mit seinem Schicksal im Garten Gethsemane ringt – schläft Petrus ein. Vollmundig verspricht er, dass er für Jesus immer da sein werde – und verleugnet ihn kurz darauf, noch ehe der Hahn kräht, weil Petrus schlichtweg Angst hat. Emotional wirkt er nicht immer allzu stabil, ja nahezu aufbrausend-unkontrolliert: Nach einzelnen Berichten des Neuen Testaments ist er es, der bei der Verhaftung Jesu einem der Einsatzkräfte sein Ohr abschlägt. Kurz und knapp: Petrus ist einer, der schnell an seine Grenzen kommt – persönlich, intellektuell und emotional. Und auf genau diesen Mann setzt Jesus. Auf ihn gründet Jesus seine Kirche. Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.
Menschen mit GottvertrauenWarum entschied sich Jesus für ihn, frage ich mich? Warum gerade dieser Petrus? Dieser Petrus steht als „Fels“, als Felsenmann, am Anfang der Geschichte christlicher Gemeindeleitung? Ich meine: Jesus will durch diese Wahl etwas ganz Bestimmtes zum Ausdruck bringen. Einen anderen Akzent setzen. Was ist eigentlich das Wichtigste, das dieser Fischer aus Galiläa in der Szene von Caesarea Philippi zu bieten hat? Es ist nur ein Satz, den er spricht: „Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn.“ Bemerkenswert ist: Petrus hat tiefes Gottvertrauen. In Gott selbst und in seinen Sohn Jesus Christus. Darauf kommt es an. Und Petrus scheitert, bereut und beginnt neu; er kämpft mit sich und seiner Mission im Leben. Manches gelingt ihm, anderes nicht. In Summe hat er vor allem eines: tiefes Gottvertrauen. Selbst im Scheitern – denn er ruft er in seiner Verzweiflung, selbst im Versinken „Herr, hilf mir!“ Jesus setzt auf Petrus. Auf nicht perfekte Menschen: Mit ihnen baut er seine Kirche und Gemeinde. Jesus setzt auf Menschen wie dich und mich, denen es vielleicht auch manchmal an Mut und Zuversicht fehlt: Auch heute, in unserer Zeit, ist es so. Gott setzt auf Menschen, die hier und da auch einmal Vertrauen vermissen lassen und an etwas zweifeln. Will Gott das wirklich so? Ja, er will! Gott setzt allen Ernstes auf Menschen, die nicht immer gleich alles verstehen; die immer wieder einmal in ihren Entscheidungen daneben liegen. Auf Menschen wie dich und mich: Menschen, die es immer wieder neu anpacken und neu anfangen. Menschen mit all ihrer schillernden Liebenswürdigkeit und einer begrenzten Beherztheit. Menschen mit Gottvertrauen.
Berufen, Kirche zu bauenLiebe Gemeinde, am Anfang der Kirche Jesu Christi, die nun schon seit 2000 Jahren besteht, steht kein riesiger Glaubenshero. Kein Organisationsmeister. Kein charismatischer Sunnyboy. Es ist dieser Mensch in all seiner Unperfektheit: Petrus aus Galiläa – nicht perfekt, aber mit Vertrauen in Jesus, den Sohn des lebendigen Gottes. Evangelische Theologen in der Reformationszeit zogen daraus eine radikale, aber wie ich finde, richtige Konsequenz: Dann ist jeder und jede, die solches auch nur ansatzweise hat und daraus lebt, dazu berufen, Gemeinde aufzubauen. Radikal zu Ende gedacht: Dann ist jeder und jede von uns ein kleiner Petrus. Oder wie es Luther einmal in seiner deftigen Art ungefähr ausdrückte: „Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es damit schon zu einem Petrus, zum Papst geweiht sei.“ Nicht eine herausgehobene Person, ein Papst, ein Bischof oder ein Pfarrer, ist nach evangelischem Verständnis zum Gemeindeverantwortlichen bestimmt – sondern wir sind es alle. Nicht ein Kirchenoberer entscheidet, was richtig oder falsch ist für einen Christen – sondern das Gewissen jedes einzelnen Christen und jeder einzelnen Christin. Kurz gesagt: „Wir sind Papst.“ Du bist das Gesicht der Gemeinde und der Fels der Kirche an genau der Stelle, wo Gott dich in deinem Leben hingestellt hat.
Wir alle sind nach evangelischem Verständnis wie dieser Petrus, wir sind alle Papst: Wir entscheiden selbst, was wir im Gespräch mit der biblischen Botschaft als „gut christlich“ ansehen und wie man sich verhalten sollte; wir entscheiden selbst, was in unserer Gemeinde und Kirche passiert. Ein sichtbarer Ausdruck dessen sind zum Beispiel auch die in diesem Jahr stattfindenden Kirchen- und Kirchengemeinderatswahlen am 30. November, dem ersten Advent. Im Kirchenrecht unserer Landeskirche heißt es dementsprechend: „Kirchengemeinderat und Pfarrer leiten gemeinsam die Gemeinde.“ Wir sind Papst – das heißt: Wir sind alle berufen, Kirche zu bauen und Felsen zu sein.
Wir sind berufen wie PetrusWir sind berufen wie Petrus. Uns allen, jeder und jedem einzeln gilt die Verheißung, die Petrus erhielt. Die Verheißung, dass auf unperfekte, aber beherzt vertrauende Menschen die Kirche gebaut sein soll so wie auf einen Felsen. Für jeden und jede für uns gelten die starken Worte aus dem Matthäusevangelium. Hören Sie selbst die direkte Zusage an Sie und spüren dabei, was Ihnen allen damit zugesprochen wird:
„Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein. Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen.“ Amen
Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)