15. Sonntag nach Trinitatis (28. September 2025)

Autorin / Autor:
Dekan Dr. Martin Hauff, Ravensburg [Martin.Hauff@elkw.de]

1. Petrus 5,5b-11

IntentionPetrus nimmt die Sorgen der Christenmenschen in den Blick und zeigt einen Weg auf, die Sorgen nicht zur alles bestimmenden Lebensmacht werden zu lassen. Die Predigt soll ermutigen: Wenn ihr Sorgen habt, vertraut sie dem göttlichen Sorger an. Er gibt euch Kraft, trotz der Sorgen feste Schritte zu tun.

PredigttextAlle aber miteinander bekleidet euch mit Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.
Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder und Schwestern in der Welt kommen.
Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht in alle Ewigkeit! Amen.

Klangraum „Anti-Sorgen-Sonntag“„Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ – Schon zum zweiten Mal begegnet uns dieser Satz im heutigen Gottesdienst: zuerst als Wochenspruch, jetzt als Teil des Predigttextes. Einfache Worte. Energiegeladene Worte. Und doch glaube ich nicht, dass jemand, der mit seinen Sorgen in diesen Gottesdienst heute Morgen gekommen ist, nachher ganz ohne diese Sorgen nach Hause geht. Aber das könnte vielleicht sein, und darum wollen wir Gott bitten, dass wir inmitten unserer kleinen und großen Sorgen das Wort vernehmen: „Er sorgt für euch.“ Jenen fröhlichen, zuversichtlichen Ton, der uns zum Gottvertrauen lockt und der unserem Leben guttut. Jene Spur, die uns zur geöffneten Tür führt. Sorgen schließen uns ein wie in einen engen Raum. Aber: „Er sorgt für euch“, da ist die Tür nicht verschlossen. Da ist sie zumindest angelehnt. Es weht ein bisschen Luft der Freiheit herein. Und gelegentlich kann einer aufstehen und den Schritt über die Schwelle tun. Es gibt viele Gründe, sich Sorgen zu machen.
Studierende erzählen mir: „Der Prüfungsstress ist so groß, und die Sorge, zu versagen und es nicht zu schaffen, ist so mächtig, dass viele diese Zeit ohne Schlafmittel und Beruhigungspillen nicht aushalten.“
Eine Ärztin sagt mir: „Seit Corona haben unter meinen Patienten die Angst- und Sorgenthematiken überproportional zugenommen.“
Und beim renommierten Historiker der Universität Oxford, Timothy Garton Ash, lese ich zur Zeitgeschichte Europas: „Seit den späten 1980er Jahren erfolgte ein Aufschwung, der eine der hoffnungsvollsten Perioden der europäischen Geschichte einleitete. Aber seit der Finanzkrise 2008 erleben wir einen Abwärtstrend, und Europa geht taumelnd durch eine Landschaft, in der jede Ecke Anlass zur Sorge gibt.“ (1)
In dieser Sorgenlandschaft setzt der 15. Sonntag nach Trinitatis seine unverwechselbare Wegmarke. Ein „Anti-Sorgen-Sonntag“ am Beginn des Herbstes.

Sorgen-Verharmlosung?„Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Diese Worte aus dem 1. Petrusbrief können einen beim ersten Hören ratlos dastehen lassen, mit der Frage auf der Zunge: „Wie weltfremd ist denn das?“ Hören wir noch einmal genau hin.

Anlass zu Sorgen: Bedrängte Situation der GlaubendenEs geht Petrus nicht darum, Sorgen zu verharmlosen. Sehr wohl aber darum, dass die Sorgen nicht zur alles bestimmenden Lebensmacht werden. Dabei haben sie alles Zeug dazu. Denn Petrus spricht nun, am Ende seines Briefs, noch einmal die bedrängte Situation der Christen an. Die Christen dort in den nördlichen Gegenden der heutigen Türkei werden charakterisiert als „Fremde in der Zerstreuung (Diaspora).“ Diese Christen erfahren massive Ablehnung durch ihre Mitwelt. Ihre Reaktion auf die Existenz der Christen: Ausgrenzung, Diffamierung, Anfeindung, Denunziation. Die aggressiv-feindselige Grundstimmung gegenüber den Christen trat zwar im Alltagsleben immer wieder in den Hintergrund. Aber jede Krise konnte sie schnell wieder zutage treten lassen. Die Christen damals erlebten also ein gesellschaftliches Grundklima der Diskriminierung. Das bedeutete eine ständige Bedrohung. Und mit ihr verbunden die Sorge, wann die christliche Gemeinde wieder einmal Zielscheibe pogromartiger Übergriffe aufgebrachter Bürger wird.
Auch uns rückt die Diaspora-Situation näher, die der 1. Petrusbrief schildert. Zwar noch nicht in Form von Diskriminierung und Übergriffen, aber kaum jemand interessiert sich noch für die christliche Botschaft. Die Kirche verliert immer mehr an Bedeutung. Glaube, Christsein wird auch in unseren Breiten zunehmend als Fremdkörper empfunden. Vielerorts erlebt Gemeinde sich als „kleine Herde“. Damit einhergehend die Sorge: Wohin soll das führen? Aber auch wir können uns von Petrus sagen lassen: Die Sorgen sollen nicht zur alles bestimmenden Lebensmacht werden.

Ent-SorgungPetrus rät, die Glaubenden sollen sich in das von Gott Verfügte schicken, indem sie sich unter die mächtige Hand Gottes demütigen. Das klingt für unsere Ohren arg nach Selbstverzwergung. Aber wenn Petrus zur Demut aufruft, meint er weder die Selbstentwürdigung des Menschen noch die kriecherische Selbstverkleinerung. Sich unter die mächtige Hand Gottes zu demütigen, bedeutet nicht Unterwerfung, sondern, sich Gottes bergender Hand anzuvertrauen. So kann man alle Sorgen auf diesen Gott ‚draufwerfen‘ und so die eigenen Belastungen ‚entsorgen‘.

Sorgen versus Sich-SorgenPetrus macht uns aufmerksam, dass berechtigtes Sorgen kippen kann in eine Lebenshaltung, die Gott nicht im Blick hat. Es gibt einen Unterschied zwischen „Sorgen“ und „Sich-Sorgen“. Beim „Sich-Sorgen“ schwingt das Gefühl mit, als ob wir allein dastehen, als ob es keinen Gott gäbe, der für uns da ist. Dann aber wird unser Sich-Sorgen zu einer Sicherungsbewegung, die von der Angst getrieben ist: Ich muss mein Leben selbst in die Hand nehmen. Deshalb muss ich der Zukunft gegenüber gerüstet sein. Die Angst sieht immer die schlechteste, böseste Zukunft vor Augen. Und die Sorge zieht diesen schlechtesten Fall der Zukunft in die Gegenwart hinein. Die Sorge in der Spielart des Sich-Sorgens überzieht das Leben heute mit einem düsteren Grau.
Indem unser Sich-Sorgen uns fixiert auf unsere eigenen, unzulänglichen Möglichkeiten, macht es uns blind. Blind dafür, dass wir unser Leben letztlich nicht sichern können, dass unser Lebensgrund unserer angstvollen Sorge entzogen ist.

Vertrauen auf den göttlichen Sorger macht wachsamGegenüber der grauen Sorge, die uns blind macht, leitet Petrus zu einer Haltung nüchterner Wachsamkeit an. Anstatt sich von der Sorge so gefangen nehmen zu lassen, dass man Gott aus dem Blick verliert und nicht mehr mit ihm rechnet, lenkt Petrus den Blick auf den göttlichen Für-Sorger: Ihm liegt an euch, er sorgt für euch. Nüchternes Wachen lässt sich durch Befürchtungen und Sorgen nicht abhalten, dennoch auf den fürsorgenden Gott zu vertrauen. Wer wach ist, kann die Gegenwart im Licht der Zukunft Gottes sehen und entsprechend leben.

Ent-Sorgt sein macht widerständig gegen den TeufelWo der wachsame Blick getrübt ist, ist der Mensch der Gefährdung durch das Böse ausgesetzt. Drastisch schärft Petrus ein: „Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.“ Der Teufel – manche sagen: „Der Teufel, das ist die Summe der Taten böser, auf Macht und eigenen Vorteil bedachter Menschen. Der Teufel ist nicht der ganz Fremde, der mit mir nichts gemein hat. Der Teufel steckt vielmehr in mir. Oder in dir.“ Ja, der Mensch ist zum Bösen fähig, wo ihm das Bewusstsein der Verantwortung gegenüber Gott abhandengekommen ist – zu Gott, dem an uns liegt und der für uns sorgt. Und doch geht Petrus in seinem Brief noch einen Schritt weiter. Er lenkt den Blick auf das Böse als einer Macht von außen, die die Ausrichtung der Glaubenden auf Gott zu zerstören sucht. Wie werden wir ihm gegenüber widerständig?

Sorgen in die Sprache des Gebets übersetzenUm die Ausrichtung auf Gott zu bewahren und damit selbst dem Teufel zu widerstehen, hilft der Ankersatz, den Petrus den Glaubenden mit auf den Weg gibt: „Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Damit legt Petrus uns ans Herz: Wenn ihr Sorgen habt, behaltet sie nicht für euch. Teilt sie mit Menschen eures Vertrauens. Vor allem aber: Wenn ihr Sorgen habt, übersetzt sie in die Sprache des Gebets. Da wird nicht jede Sorge sofort wie weggeblasen sein. Da finden sich auch nicht in jedem Fall geschickte Lösungen und Auswege. Aber es wachsen uns Kräfte zu, trotz der Sorgen feste Schritte zu tun.
Und statt den teuflischen Einflüsterungen der Sorgen den ersten Platz zu überlassen, suchen wir zuerst die Stille und das Zwiegespräch mit Gott. Probieren wir es aus: In die ersten Augenblicke des neuen Tages gehören nicht eigene Pläne und Sorgen, auch nicht der Übereifer der Arbeit, sondern Gottes befreiende Gnade, Gottes segnende Nähe. Bevor das Ohr die unzähligen Stimmen des Tages vernimmt, soll es in der Frühe die Stimme des Schöpfers und Erlösers hören. Gott hat ein offenes Ohr für unsere Sorgen. Er hilft uns, sie zu tragen und zu ertragen. Ihn bitten wir um die Haltung der Sorglosigkeit des Glaubens, die Theophil Askani, in den 80er Jahren Prälat in Reutlingen, in einem seiner Gebete so auf den Punkt bringt:
„Herr, bewahre uns vor dem Leichtsinn der Gedankenlosen und vor dem Unsinn vieler Sorgen. Schenke uns die Zuversicht und das fröhliche, getroste Herz derer, die dir vertrauen.“ Amen.

Anmerkung
1 Timothy Garton Ash, Europa. Eine persönliche Geschichte, München 2023, 2.Aufl., S. 308.426.

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