Erntedank (05. Oktober 2025)
Jesaja 58,6-12
IntentionIn meinen Gottesdiensten am 5.10.2025 werden Taufen sein. Erntedank wird erst am folgenden Sonntag mit dem Kindergarten im Familiengottesdienst gefeiert. Deshalb steht Erntedank nicht im Vordergrund des Entwurfs, sondern die Frage „Wie kann ein Mensch heil werden?“ Ich nehme Vers 6 dazu, da er das Thema Fasten aus dem biblischen Kontext anführt und dies zur Predigtidee dazu gehört. Predigtidee: „Heilsames Fasten“.
Predigttext Jesaja 58,6-126 Das ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7 Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, 10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. 11 Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. 12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«.
Liebe Gemeinde,
vielerorts wird heute Erntedank gefeiert, wir feiern es nächsten Sonntag gemeinsam mit dem Kindergarten. Aber heute schon sind wir dankbar für die Fülle, die uns geschenkt ist. Heute besonders unsere Tauffamilien, dass sie gesunde Kinder empfangen haben. Wir sind dankbar für die Fülle: Die Bäume haben Früchte gebracht, das Korn auf den Feldern ist eingebracht. Wir haben keinen Mangel, eher Überfluss an Lebensmitteln und Nahrung.
Unser Predigttext aus dem Jesajabuch schlägt ein ganz anderes Thema an, nicht Fülle und Freude darüber, sondern Fasten und Enthaltsamkeit. Es geht um „heilsames Fasten“. Jesaja verheißt: Wenn du richtig fastest, dann wird „deine Heilung schnell voranschreiten“.
Was für ein schönes Bild. Da ist etwas an der Haut verletzt, und es bildet sich schnell wieder eine neue Haut. Da ist jemand krank, und er wird wieder gesund.
Lebensfülle hängt nicht nur daran, dass man genug zu essen hat. Es geht um mehr, es geht um ganzes Heilsein. Wie kann man heil werden? Wie kann ein Mensch heil werden? Wie kann eine kranke Gesellschaft heil werden? Jesaja sagt sogar: dann wird „dein Licht hervorbrechen, wie die Morgenröte“. Richtiges Fasten führt also zu Licht und Fülle und Heilung.
FastentraditionenDer Prophet setzt sich hier mit den religiösen Fastenritualen auseinander, in seinem Fall sind es die jüdischen Fasttage. Fasten als Verzicht auf Nahrungs- und Genussmittel ist ganz normale religiöse Praxis: Muslime halten den Ramadan. Christinnen und Christen haben die Advents- und Passionszeit als Fastenzeiten. Ich selbst mache vor Ostern immer bei der Aktion „7 Wochen ohne“ mit, verzichte auf Alkohol und Schokolade und merke, wie gut es mir tut, bewusster zu leben.
Wie wäre es also mit Heilfasten? Heilfasten gewinnt in der heutigen Zeit wieder zunehmend an Beliebtheit. Immer mehr Menschen entdecken die gesundheitlichen Vorteile dieser uralten Tradition. Heilfasten ist eine Form des freiwilligen Nahrungsverzichts über einen bestimmten Zeitraum. Ich selbst habe es noch nie gemacht, aber Menschen berichten begeistert: Man entgiftet den Körper, man stärkt das Immunsystem, man fühlt sich einfach wohler in und mit seinem Körper. Heilfasten also. Warum nicht? Der Prophet sieht allerdings noch weiter.
Der Prophet macht deutlich. Heilsames Fasten ist nicht individuell, sondern sozial. Heilfasten beschränkt sich nicht auf den eigenen Körper, sondern begreift sich selbst als Teil eines Gesamtorganismus. Heil können sie nur werden, wenn Menschen das Ganze der Gemeinschaft beachten.
Verzicht zugunsten anderer„Entziehe dich nicht deinem Fleisch und Blut.“ Heilsames Fasten begreift den Mitmenschen als seinesgleichen. Am Beispiel einer jungen Familie wird das deutlich. Schließlich haben wir heute unseren Täufling da. Da kündigt sich neues Leben an, dem gibt man Raum zum Leben. Ganz leiblich im Mutterbauch, dann später verzichtet man auf einen Raum in der Wohnung, räumt Stellen ein, wo das Kind sein kann, gibt vom eigenen Essen ab. Sogar vom Schlaf steht man auf, wenn das Kind unruhig ist und gestillt werden muss. Die meisten jungen Familien machen das selbstverständlich, manchen fällt es schwer, ganz das Kind ins eigene Leben zu integrieren. Junge Paare verzichten auf vieles, sie „fasten“ zu Gunsten des neuen Lebens.
So ist es wahrscheinlich besser zu verstehen, was der Gottesmann und Prophet hier meint, wenn Gott auffordert:
„Das ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn.“ So werden Menschen heil, so wird Licht leuchten in und durch sie, so ist Gott mitten unter den Menschen, so leuchtet seine Herrlichkeit auf.
Heilendes Fasten erleben Menschen, die sich für andere engagieren. Zum Beispiel verzichtet eine Mitarbeiterin der Stuttgarter Vesperkirche eine Zeitlang auf ihre Erwerbsarbeit und nimmt Urlaub, um für die Hilfsbedürftigen da zu sein. Für sie sind die Stunden in der Vesperkirche eine Chance, innezuhalten und mit anderen Augen auf die Welt zu schauen. Sie sagt: „Das erdet einen einfach – und macht dankbar... Ich kann nur dazu animieren, sich einen Tag im Jahr dafür zu reservieren. Das tut anderen gut und einem selbst.“
Familie GottesAn Erntedank feiern wir die Fülle. Wir danken Gott für das, was gediehen ist.
Jesaja erinnert uns daran, dass wahre Fülle, dass Heil und Frieden erst dann da sind, wenn alle an Gottes Gaben teilhaben. Er bringt es mit dem Fasten in Zusammenhang. Fasten heißt: Ich verzichte auf Gegebenes. Ich lasse los. Eine gesunde, eine wohltuende Übung.
Zum Ziel kommt sie dann, wenn ich anderen zugunsten loslasse: „Lass frei, gib Brot, gib Raum. Erkenne im anderen dein eigenes Fleisch und Blut, als ob er oder sie zu deiner Familie gehört.“
Hier wird deutlich: Wir sind alle eine Menschheitsfamilie, eine Familie Gottes, in deren Mitte er wirkt. Es geht beim Ernten nicht nur um den eigenen Körper und das eigene Wohlergehen, sondern um das Heil des Gesamtkörpers der Menschheit, um das Wohlergehen des Welt-Organismus. Die einzelnen Glieder sind zwar unterschieden, aber sie gehören unmittelbar zusammen. Ich, mein Nächster, Gott selbst sind ein Fleisch und Blut, gehören zusammen. Hilfreich ist heilsamen Fasten zugunsten anderer. Jesus hat das bis zur letzten Konsequenz gepredigt und gelebt.
Folgen„Lass frei, gib Brot, gib Raum“ hat Folgen:
Indem ich einen anderen loslasse, Druck von ihm nehme, beginnt ein Leuchten, strahlt Gottes Herrlichkeit auf. Das ist der wahre Weg zur Erleuchtung. Befreien, Leben ermöglichen.
Indem ich einem anderen Brot gebe oder was er zum Leben braucht, entsteht Heilung, wird auch mein Leben heiler, vernarbt Verletzung, wächst Verwundetes bei mir zusammen.
Indem ich jemandem Raum bei mir einräume, ihn beherberge oder zulasse, dass er oder sie Raum in meinem Leben bekommt, wandelt sich mein Wesen: Ich werde identisch mit meiner Bestimmung. So finde ich mein wahres Wesen. Jesaja sagt: Ich bekomme einen neuen Namen: Nicht „Der mit dem Wolf tanzt“, sondern „Der die Lücken zumauert“ oder „Der die Wege ausbessert“ oder „Die Heil schafft“ oder Die Raum gibt“. (Vgl. V 12)
Als ich den Text zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich, ach, das ist der typische Erntedank-Appell: Man soll halt teilen. Aber es geht ja um viel mehr. Es geht ums Ganze, es geht ums Heilwerden. Ernte ist Heil, ist Freude. Alle sollen teilhaben.
Was Gott tutGott will, dass alle heil und ganz werden. Gott verschenkt sich selbst. Schenkt Frucht, schenkt Lebensmittel, Lebensraum. Alles, was wir brauchen, ist da. Wir freuen uns an der Fülle. Ja, Gott schenkt sich selbst in Jesus. In ihm wird er gegenwärtig unter uns Menschen. „Siehe, hier bin ich“ (V9) sagt er und zieht die Sklavenschürze an und wäscht die Füße der Menschheit rein. Gott in Jesus wird selbst zum Bedürftigen und Ärmsten. In den Bedürftigen und Ärmsten finden wir ihn. „Was ihr einem dieser meiner geringsten Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25, 35f)
Heilsames RezeptDer Mensch wird gesund und heil, so wird die Menschheit licht und ganz.
Jesajas Wort ist wie das Rezept eines Arztes. Der Patient beachtet, was verschrieben ist und wird gesund:
„Lass frei, gib Brot, gib Raum. Erkenne im anderen dein eigenes Fleisch und Blut, als ob er oder sie zu deiner Familie gehört. Das ist heilsam für dich selbst für die ganze Gemeinschaft.“
Ich übertrage das auf die Situation in Israel und Gaza dieser Tage.
Die Hamas lässt die Geiseln frei, die sie festhält. Die arabischen Staaten anerkennen das Existenzrecht des Staates Israel.
Die Politik Israels lässt Hilfslieferungen uneingeschränkt zu in Gaza. Sie beendet Krieg und Terror. Sie anerkennt das Existenzrecht Palästinas. Die Siedler beenden ihre räuberischen Landnahmen.
Das wäre heilsamer Verzicht, heilsames Fasten.
Verheißungsvolles Schlussbild„Im Land Israel gibt es zwei große Gewässer. Im Norden liegt ein riesiger See, der als das Galiläische Meer oder der See Genezareth bezeichnet wird. Er ist ausgesprochen fischreich, und die Menschen genießen die angenehme Brise, die dort weht. Der Jordan speist ihn von Norden und setzt im Süden seine Reise weiter fort. In der Wüste im Süden liegt ein zweites Gewässer. Darin gibt es keinerlei Leben; es riecht nach Schwefel, und niemand wohnt in seiner Umgebung. Der Jordan fließt hinein, aber nicht wieder heraus. Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Gewässern? Das Galiläische Meer gibt und lebt. Das andere Meer gibt nichts. Man nennt es das Tote Meer.“ (Predigtmeditationen im jüdisch-christlichen. Kontext Reihe 1 Berlin 2024)
Erntedank: Wir nehmen dankbar, geben heilsam und lichtvoll. Jesaja verheißt: „Du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“ Amen.
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