1. Advent (30. November 2025)
Römer 13,8–12
Intention
Advent. Das Fest der Liebe steht vor der Tür. Die Predigt soll zeigen, was Liebe bedeuten kann und sie soll ermutigen, Liebe zu leben - nicht nur, aber auch im Advent.
Festvorbereitungen
1. Advent. Auch wenn es schon seit September Lebkuchen und Marzipankartoffeln in den Supermärkten gibt, fangen die meisten doch jetzt an mit den Vorbereitungen aufs Fest. Aufs Fest der Liebe. Ich auch. Ich habe den Herrnhuter Stern vom Dachboden geholt und die übrige Weihnachtsdekoration. Ich habe einen Adventskranz gekauft und geschmückt und heute Morgen die erste Kerze angezündet. Nächste Woche backe ich Plätzchen, und irgendwann gehe ich bestimmt auch auf den Weihnachtsmarkt.
Die Planungen fangen an. Wer, wann, wo, mit wem! Und welche Geschenke? All das soll doch meine Liebe zeigen zum Fest der Liebe. Manchmal werde ich ganz aufgeregt und denke, das ist doch alles gar nicht zu schaffen. Und wenn mein etwas kritischer Sohn dann fragt: Und was hat das alles mit Weihnachten zu tun, dann komme ich manchmal ins Grübeln. Hat das alles mit Weihnachten zu tun – oder wenigstens mit Liebe?
Vielleicht ist es also gut, dass der Predigttext zum 1. Advent von der Liebe handelt. Paulus erklärt im Brief an die Leute in Rom:
„Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn was da gesagt ist 2. Mose 20,13-17: ‚Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren‘, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst (3. Mose 19,18): ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‘ Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
Und das tut, weil ihr die Zeit erkannt habt, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.“ (Röm 13,8–12)
„Wer den anderen liebt, der hat das Gesetz erfüllt!“ Zu Zeiten des Römerbriefs haben alle gewusst, was das heißt. Für die Juden war es das Wichtigste überhaupt, das Gesetz zu erfüllen. Die Zehn Gebote vor allem und noch eine ganze Menge von Regeln und Normen, die helfen sollten, auch wirklich alles richtig zu machen. Jesus hat den Christen eingeprägt: „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Das ist das ganze Gesetz!“ Und sogar die damals sogenannten Heiden hatten begriffen, dass die Liebe das Wichtigste war für die Christen: „Seht doch, wie sie einander lieben!“ hat der römische Schriftsteller Tertullian im 2. Jahrhundert geschrieben. Anscheinend waren Respekt und Liebe für alle sichtbare Kennzeichen einer funktionierenden christlichen Gemeinschaft.
Aber da ging es sicher nicht um Weihnachtsbeleuchtung und Lametta.
Um was aber dann?
Die gegenseitige Liebe
„Dass ihr euch untereinander liebt“, schreibt Paulus. Das gilt anscheinend für alle. Nicht nur für die, die ich mag. Auch nicht nur für die, die zu meiner Familie und meinem Freundeskreis gehören. Auch nicht nur für die Deutschstämmigen, auch nicht nur für die Weißen. Hat auch nichts zu tun mit Erotik. (Der Römerbrief ist griechisch geschrieben. Da gibt es zwei Worte für Liebe: „Eros“, also die begehrende, die erotische Liebe. Und „Agape“, das ist die Liebe, die dem anderen wohltun will. Hier im Römerbrief steht „Agape“.) Die Liebe, die Paulus meint, wurzelt in der Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen. Er redet sie am Anfang seines Briefes als „die Geliebten Gottes in Rom“ an. Heute höre ich: die Geliebten Gottes in Stuttgart oder in Tübingen oder in Kirchheim oder wo auch immer. Gott liebt seine Menschen, und er will, dass es uns gut geht. Jesus hat gezeigt, wie das ist. Er hat den fiesen, geldgierigen Zachäus besucht, wird erzählt, mit dem keiner etwas zu tun haben wollte. Er hat nicht gesagt: Mach erst wieder gut, was du getan hast, dann komme ich auch zu dir. Jesus hat ihn besucht. Und daraufhin hat Zachäus sein erpresstes Geld zurückgegeben. Die Erotik liebt, was schön ist, heißt es. Die Nächstenliebe, also die Agape, macht schön. Wer geliebt wird, wird ein schönerer Mensch: innerlich und äußerlich. Menschen werden besser, wenn sie geliebt werden. Die Welt wird besser, wo Menschen einander lieben.
Und deshalb sollen wir einander lieben. Damit wir alle besser werden können. Damit die Welt besser werden kann. Solche Liebe verfolgt nicht eigene Interessen. Sie will den anderen wohltun, damit es ihnen besser geht. Sie ist nicht exklusiv, nur für die, die es verdient haben. Sie ist inklusiv. Uns allen soll es besser gehen, überall auf der Welt. Deshalb sollen wir Christen einander lieben. Ich glaube, so meint Paulus das. Und so hat es auch Jesus gemeint.
Aber kann man solche Liebe erwarten oder gar befehlen?
Gelebte Nächstenliebe
Vielleicht schon. Paulus fängt mit dem irgendwie Selbstverständlichen an. »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst (3. Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« Das ist ja erstmal nichts anderes als „ein anständiger Mensch sein“. Das war auch damals schon selbstverständlich. So bleibt es nicht bei Sonntagsreden oder Weihnachtsansprachen. So wird aus der Liebe gelebte Nächstenliebe. Da hält einer meine Hand, wenn ich mich fürchte. Da sammeln Menschen ehrenamtlich Lebensmittel für Arme und verteilen sie in den Tafeln. Da spenden Menschen für „Brot für die Welt“ oder für die „UNO-Flüchtlingshilfe“. Die Stärkeren geben, damit auch die Schwachen leben können. Und das ist nicht nur Privatsache. Diese Art von Nächstenliebe hat im Laufe der Jahrhunderte auf Staat und Gesellschaft abgefärbt: die Krankenkassen, die Sozialversicherungen – da treten die Stärkeren für die Schwächeren ein. Da geht es darum, dass Menschen in einer Gesellschaft gemeinsam dafür einstehen, dass niemand verhungern oder erfrieren muss. Wie gut, dass wir uns in unserem Land darauf verlassen können. Wie es wohl denen geht, die das nicht haben? Die sehen müssen, wo sie bleiben, weil andere alles für sich behalten? Gewiss, es wird in der Politik darum gestritten, wie viel die wohlhabenden Bürger für die Menschen einsetzen, die in prekären Lebensverhältnissen leben müssen. Aber immerhin! Von der Nächstenliebe, die Paulus uns empfiehlt, profitieren wir alle. Es ist ruhiger im Land, wo die Starken für die Schwachen eintreten. Die Welt wird besser, wenn Menschen einander lieben.
Einwand
Nun kann man natürlich mit Fug und Recht einwenden, dass es in vielen Kirchengemeinden ja auch nicht besser zugeht als in Sportvereinen oder Parteien oder Internaten. Dass es auch dort Wichtigtuerei und Konkurrenz, Respektlosigkeit und Enttäuschungen gibt. Dass die einen die anderen missbrauchen.
Ja, das kann man einwenden. Denn auch Christinnen und Christen sind Menschen. Wo Menschen zusammenleben, wachsen auch Eigeninteresse und Begehrlichkeit, Neid und Misstrauen. Die wachsen ja sogar in den Familien. Wenn die Familien zusammenkommen zum Fest der Liebe in vier Wochen, dann merkt man das leider oft besonders. Das ist schlimm, das zerstört Vertrauen. Wir alle miteinander sollten tun, was wir können, damit das aufhört. Wenn es sein muss vor Gericht. Auf jeden Fall aber in unseren Familien. Wenn wir da nicht die Enttäuschungen der vergangenen Jahre immer und immer wieder auspacken, sondern versuchen, gelassen zu bleiben und ruhig und ja, vielleicht sogar liebevoll, dann wird es uns allen besser gehen.
Biotope der Liebe
Dann können Biotope der Liebe entstehen. Hier und da und dort. Die Welt wird heller und wärmer. So können Menschen denen Licht machen, denen alles dunkel und grau scheint. Menschen können einander Wärme geben, wo es kalt ist und unwirtlich ist. Wenn Geschenke dazu helfen, Kerzen und Punsch – das ist doch gut! Auch wenn das eigentlich mit Weihnachten nichts zu tun hat. Das alles sind eben doch auch Zeichen der Liebe – Lichter, durch die die Finsternis vergeht. Biotope der Liebe, in denen die Liebe wachsen kann, weil Menschen merken, wie gut sie tut. Ich denke dann immer an Hanns-Dieter Hüsch, der seinen Heiligabend in der Familie beschrieben hat: „Beim Geschenke-Einpacken und -Auspacken, da sind wir alle so nervös und verlegen, dabei merkt man die Liebe und den Frieden und den Menschen ein Wohlgefallen viel viel stärker als beim Singen.“
Heute ist erster Advent. Gewiss möchte ich den Heiligen Abend oder gar Weihnachten nicht vorwegnehmen. Aber wenn es so sehr auf die Liebe ankommt beim „Fest der Liebe“, dann strahlt das auch voraus auf die Adventszeit. Konkret: Wo wir respektvoll und liebevoll miteinander umgehen, da wird die kalte Jahreszeit Tag für Tag warm und hell. Da nehmen „die Werke der Finsternis“ ab und Worte und Taten des Lichts und der Liebe zu.
In einem solchen Advent lebe ich gerne auf Weihnachten zu. In einem solchen Advent kann man in Familien, in KiTas, Schulen und im Beruf gut und gerne auf Weihnachten zuleben. Nicht in Finsternis, sondern in Worten und Taten des Lichts und der Liebe. Und darauf kommt es ja an, gerade an Weihnachten – dass man die Liebe merkt. Amen.
Amen.
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