1. Advent (02. Dezember 2018)

Autorin / Autor:
Rundfunkpfarrerin i. R. Dr. Lucie Panzer, Stuttgart [lucie.panzer@web.de]

Matthäus 21, 1-11

Intention der Predigt: Meine Predigt geht von der Frage nach Jesus aus: Wer ist der? Ich verstehe: Was ist das für einer? Darauf gibt der Predigttext Antworten. Die versuche ich nachzuzeichnen. Ich schließe ab mit der Frage: Ist der heute bei uns zu finden?
Ich schlage vor, die Predigt mit Versen aus Adventsliedern zu gliedern. Es gibt ja viele, die die Geschichte vom Einzug in Jerusalem thematisieren.

Was ist das für einer?Der 1. Advent. Das neue Kirchenjahr beginnt. Es beginnt mit einer Frage: Die Einwohner von Jerusalem haben sie gestellt, damals, als sie den Einzug von Jesus in ihre Stadt beobachtet haben. Und die Antwort war ja schnell gegeben: Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa. Sie hätten damals auch fragen können: Wie heißt der? Aber das haben sie ja eigentlich gar nicht gemeint. Sie hatten Beobachtungen gemacht. Merkwürdige Beobachtungen. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Einen, dem man zujubelt wie einem König. Und der doch nur auf einem Esel reitet, wie ihn damals die einfachen Leute hatten. Wer ist der? sollte also wohl eigentlich heißen: Was ist das für einer, der so etwas macht?
Viele von uns kennen die Geschichte seit der Kinderkirche. Lassen Sie uns trotzdem genauer hinschauen. Vielleicht fällt uns auf, was damals in Jerusalem so merkwürdig und bemerkenswert war.

Der Eselreiter: Statusverzicht macht Menschen zu NächstenZuerst das Offensichtliche: Jesus reitet auf einem Esel. Und das Junge der Eselin, das Fohlen hat er gleich noch dabei. Ich stelle mir vor, das trottet hinter der Mutter her. So machen das die Fohlen, wenn man sie lässt. Und Jesus lässt das geschehen. Er hat nicht gesagt: Haltet mir das Junge vom Leib, wie sieht denn das aus. Ich bin doch kein Eseltreiber.
Jesus fragt überhaupt nicht: Wie sieht denn das aus. Ein Esel! Kein Pferd, wie es die Mächtigen damals hatten. Auf einem Pferd haben sie sich ihren Untertanen gezeigt. Auf einem Pferd hat man ihnen später ein Denkmal gesetzt. Wer ein Pferd hatte, der konnte Respekt erwarten. Gehorsam auch. Jesus ist auf einem Esel gekommen. Auch nicht auf einem Kamel, wie die Weisen aus dem Morgenland. Das war sicher auch damals ein bisschen exotisch und irgendwie abgehoben. Nein, Jesus hat sich ausdrücklich diese Eselin holen lassen. Er verzichtet darauf, zu zeigen, wie mächtig er ist. Er will auch nicht zeigen, wie weise und welterfahren er ist. Er will nicht bewundert und respektiert werden. Er reitet auf einem Esel.
Als ob es ihm drauf ankäme, nicht aufzufallen. Esel waren das Fortbewegungsmittel der einfachen Leute, wenn sie nicht überhaupt zu Fuß gehen mussten. Wer auf einem Esel geritten ist – das war einer wie du und ich. Der hat gewusst, wie mein Leben ist. Das Leben eines einfachen Menschen. Das Leben von einem, der Angst haben musste vor den Mächtigen auf den Pferden. Das Leben von einer, die gehorchen musste: ihrem Vater, ihrem Mann, ihren Söhnen – ganz zu schweigen von den Soldaten auf den Pferden, die sowieso mit einer Frau machen konnten, was sie wollten.
Jesus war anders. Er hat das alles nicht gebraucht: nicht die Pferde, nicht die Kamele, nicht die schimmernden Rüstungen, nicht Lanze und Schwert, nicht prachtvolle Gewänder. Auf seinem Esel war er einer wie die anderen, die vor ihm gingen oder hinter ihm oder die am Straßenrand standen. Denen war er nah. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ – die Reiter auf den Pferden, die können eigentlich nur die auf den anderen Pferden lieben. Auf die anderen sehen sie bestenfalls herab, wenn sie nicht sowieso einfach über sie hinwegsehen und über sie hinweg reiten. Jesus aber: Der konnte den Leuten in die Augen sehen. Der war ihnen nahe. Wer auf einem Esel sitzt, der ist auf Augenhöhe mit den anderen. Der nimmt wahr, wie ihn die anderen ansehen. Sieht ihre Freude. Auch ihre Trauer. Auch ihre Angst.
Nur wer vom hohen Ross herunter steigt und darauf verzichten kann, sich selber in den Vordergrund zu schieben – nur der kann anderen nahe sein.

Lied: EG 9, 1-3

Der sanftmütige König richtet Menschen aufMatthäus, der diese Geschichte gehört und weiter erzählt und für uns aufgeschrieben hat, den hat das Geschehen an den Propheten erinnert: Der hatte von einem sanftmütigen König gesprochen, der auf einem Esel reitet. Was ist das für einer, war unsere Frage und jetzt also die zweite Antwort: Ein sanftmütiger König.
Was ist ein sanftmütiger König? Einer, der schüchtern ist? Der sich alles gefallen lässt, ohne aufzumucken? Wohl kaum. Gleich als nächstes erzählt das Matthäusevangelium, wie Jesus die Händler und Geldwechsler ziemlich rabiat aus dem Tempel jagt.
Es geht auch nicht darum, dass einer sich in sein Schicksal ergibt, zufrieden ist mit dem wenigen, was er hat. Es sollen sich nicht die Letzten demütig in ihr Schicksal fügen, sondern die Ersten sollen Letzte werden. Darum geht es. Er ist ein König! Aber: Er hat sich auf diesen Esel gesetzt. Sanftmütig ist also jemand, der sich nicht aufs hohe Ross setzt: Ich zuerst. Wir zuerst! Wir sind das Volk und mein Land zuerst. Sanftmütig ist, wer sich zu denen hinunterbeugt, die Hilfe brauchen. Ich gehe jeden Tag an einem Plakat der Diakonie vorbei. Es zeigt eine Altenpflegerin. Sie kämmt einer alten Frau die Haare. „Mein Beruf ist es, die Würde des Menschen zu pflegen“ steht darunter. Ein anderes Plakat aus dieser Kampagne zeigt einen Mann, der Kindern vorliest: „Mein Beruf ist, das Großartige in den Kleinen zu sehen.“. Sanftmut heißt, sich hinunterbeugen und die Kleinen zu sehen. So wie Jesus das gemacht hat. Er hat ein Kind in die Mitte gestellt. Er hat seinen Jüngern die Füße gewaschen. Er hat auf Macht und Ansehen verzichtet. Und gerade deshalb konnten Menschen aufatmen und aufleben. Sanftmut ist die Basis, wenn Zusammenleben gut werden soll.
Sanftmut. Man könnte wahrscheinlich auch sagen: Demut. Demut ist der Mut, anderen zu dienen. Lange Zeit hat man das nur von den Frauen verlangt oder von den Armen, denen nichts anderes übrig geblieben ist. Aber Jesus hat gezeigt. Die sich herabbeugen können zu den Kleinen, das sind Könige. Das sind die Großen, die das Leben besser machen. Sanftmut. Demut. Zuvorkommend sein. Also nicht erst dann etwas für andere tun, wenn sie etwas für mich getan haben. Auch nicht nur dann, wenn ich mir etwas davon verspreche. Sich für andere einsetzen, weil sie mich brauchen. Weil es ihnen gut tut. Dafür muss sich keiner und keine zu schade sein. Jesus hat es ja auch gemacht. Und: Hat sich nicht Gott selbst runtergebeugt zu denen, die ihn brauchen, als er im Stall in Bethlehem zur Welt gekommen ist? Was wäre aus uns geworden, wenn er das nicht getan hätte?

Lied: EG 1, 2-3

Gott macht einen neuen AnfangIch komme noch einmal auf die Frage zurück, die in dieser Geschichte beantwortet wird: Was ist das für einer? Und ich lese, wie sie geschrien haben: Hosianna dem Sohn Davids! Hosianna, das heißt: hilf uns doch!
Und wer soll helfen? Der Sohn. Der Sohn Davids. Der Nachkomme, müsste man wohl ein wenig nüchterner sagen, denn die Zeit des Königs David war damals schon 1000 Jahre vorbei. Aber die Menschen haben immer noch an dieses vermeintlich goldene Zeitalter gedacht. So sollte es wieder werden! So mächtig, so bedeutend wollten sie ihr Land wieder sehen. Dass auch damals, unter König David, nicht alles Gold war – das hatten sie inzwischen längst verdrängt. Dass es Machtkämpfe gegeben hatte schon zwischen seinen Söhnen, dass es Bürgerkrieg gab und Aufruhr: Das hatten die Leute längst vergessen. Für sie war die Zeit Davids die goldene Zeit, da hatten sie einen König, der ein Held war. So wollten es viele wieder haben. So ist das ja oft, bis heute, dass Menschen sich in die Vergangenheit zurücksehnen. Damals, als es noch keine Fremden im Land gab. Damals, als wir alle noch jung waren und stark. Damals, als Vaterland und Familie noch etwas galten. Damals, als die Welt noch nicht so kompliziert war. Wie das eigentlich genau war und was nicht so toll war damals – das vergisst man gern und will es auch gar nicht so genau wissen.
Aber Gott erinnert sich. Er weiß es noch. Deshalb schickt er den Sohn. Nicht David kommt zurück. Auch nicht die gute alte Zeit. Nein, einer aus seiner Familie ist es. Das scheint wichtig. Man muss schon wissen, wo man herkommt und in welcher Tradition man steht. Aber bei der Rückschau darf es nicht bleiben. Die Nachkommen Davids haben das Land runtergewirtschaftet. Jetzt muss etwas Neues beginnen. Gott fängt von vorn an. Mit einem Sohn Davids, das schon. Aber mit einem, der auf einem Esel reitet. David hatte sich einen prunkvollen Palast bauen lassen und hat sich genommen, was er kriegen konnte. Denken sie an die Sache mit Bathseba. David war auch so ein König auf hohem Ross. Jetzt sollte etwas Neues anfangen. Ein König, der sich runterbeugt. Der nicht nur für sich selber sorgt, sondern für die anderen. Der Gerechtigkeit walten lässt für alle, der Frieden schafft. So fängt Gott neu an mit seiner Welt.

Lied: EG 13, 2+3

Was ist das für einer, haben die Leute damals gefragt, als sie Jesus beobachtet haben.
Wir Christen glauben ja, dass Jesus Christus heute bei uns zu finden ist. Das hat er versprochen: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich dabei. Vielleicht müssten wir heute also fragen: Ist er bei uns zu finden?
Ich glaube, man kann dafür Beispiele nennen, im Großen und im Kleinen. Ich denke an Denis Mukwege, diesen Arzt aus dem Kongo, der vergewaltigte Frauen behandelt. Wahrscheinlich hätte er auch eine lukrative Praxis für Privatpatienten haben können. Aber das ist ihm anscheinend nicht wichtig. Er sieht die, die ihn brauchen. Wie der Mann auf dem Esel . Er beugt sich herunter zu den Hilfsbedürftigen, demütig. Er will ihnen dienen. So fängt für sie und für ihn eine neue Zeit an. Eine Zeit, in der Frieden werden kann, weil Menschen einander nahe kommen und sich aufrichten können.
Denis Mukwege ist Christ. Einer, der dem sanftmütigen König nachfolgt. In diesem Jahr bekommt er den Friedennobelpreis.

Lied: EG 13, 1

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