1. Advent (01. Dezember 2019)

Autorin / Autor:
Pfarrer Jakob Späth, Stuttgart-Uhlbach [Jakob.Spaeth@elkw.de]

Römer 13, 8-12

IntentionFür Paulus leben Christen grundsätzlich in einer besonderen (Heils-)Zeit. Im Advent wird die besondere Prägung der Zeit in mancherlei Vollzügen erfahrbar. Die Predigt soll die (brüchige) Schönheit dieser Zeit, in der Freude und Vorfreude zusammenkommen, anschaulich machen und im Sinne des Predigttextes zur tätigen Liebe ermutigen.

Liebe Gemeinde,
morgens aufstehen – nicht weil ich muss, sondern weil ich mich so auf den Tag freue. Als Kind habe ich das zuverlässig erlebt am 1. Dezember:
Ich habe die Augen aufgemacht und wusste gleich, was mich heute erwartet: Das erste Türchen am Adventskalender darf ich heute aufmachen. Es war Zeit aufzustehen vom Schlaf, weil die Zeit, auf die ich mich gefreut hatte, jetzt da war. Dabei war es gar nicht das kleine Geschenk, das mich im Adventskalender erwartet hat. Ich habe mich noch mehr auf das Gefühl gefreut, dass die Adventszeit beginnt. Jetzt war diese besondere Zeit da. Und trotzdem lagen noch 24 Tage Vorfreude vor mir – Vorfreude auf das, was noch nicht da war. Weihnachten eben. Als kleiner Junge habe ich am Morgen des 1. Dezember die Adventszeit mit dem ganzen Körper gespürt. Die Zeit, die jetzt da war, und die Zeit, die noch kommen würde. Und in meiner Erinnerung habe ich mich inmitten meiner Jetzt-Freude und Vor-Freude sehr wohlgefühlt. Und jeden folgenden Morgen im Advent hatte ich das Gefühl, dass ich Weihnachten wieder ein Stück näher war. Auch das war ein schönes Gefühl.

Freude und Vorfreude – und HindernisseInzwischen kenne ich eine schier unendliche Liste von Dingen, die in der Adventszeit ganz unadventlich sein können. Es gibt vieles, was mir die Freude, es gibt vieles, was mir die Vor-Freude verderben kann, in meinem ganz persönlichen Leben, aber auch, wenn ich in die Welt um mich herum schaue.
Heute haben wir den 1. Dezember. Und in vielen Wohnungen wurden heute Adventskalendertürchen geöffnet. Und wahrscheinlich wurde auch in vielen Wohnungen gestritten. Geschwister haben sich darum gezofft, wer wie viel Türchen und Päckchen öffnen darf. Verliebte hatten erwartet, dass der andere etwas Besonderes vorbereitet hat und dann war‘s bloß was vom Drogeriemarkt… Ja, mag sein.
Aber in vielen Wohnungen gibt es auch das andere: Die Freude an diesem Moment diesem Tag und die Vorfreude auf Weihnachten. Gleichzeitig. . Kinder, die innerlich beglückt sind, dass es diese gedoppelte Zeit gibt, dass jetzt der Advent beginnt. Erwachsene, die innehalten und sich innerlich anrühren lassen.
Ich höre ein Adventsgedicht im Radio – und beim Hören erlebe ich den Moment und im Moment die Vorfreude auf das, was noch kommt.
Ich feiere einen Advents-Gottesdienst in meiner Gemeinde und erlebe einen Advents-Moment der Freude und Vorfreude.

Paulus fordert die Gemeinde auf, „adventlich“ zu lebenDer Predigttext heute steht in Kapitel 13 des Römerbriefs. Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom. Er will die Menschen in der römischen Gemeinde motivieren, dass sie ihrem Glauben entsprechend leben. Paulus möchte die Christen in Rom dazu ermutigen, „adventlich“ zu leben. Heute schon etwas tun. Heute schon glücklich sein und glücklich machen. Weil sie sich freuen auf die gute Zeit Gottes. Auf die Zeit, die kommen wird:

„Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn was da gesagt ist (2.Mose 20,13-17): ‚Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren‘, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst (3.Mose 19,18): ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‘
Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
Und das tut, weil ihr die Zeit erkannt habt, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.“

Jetzt ist die Stunde! Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nicht mehr fern. Es ist Zeit, aufzustehen und die Waffen des Lichts anzulegen. Es ist Zeit, die Welt heller zu machen. Es ist Zeit, weil uns Gottes Heil immer näherkommt.
Adventlich leben. Jeden Tag beginnen wie ein Kind einen Morgen im Advent beginnt. Voller Motivation aus dem Bett springen und spüren, dass Gott näherkommt. Gutes tun. Alle Gebote ganz einfach halten, einfach durch die Liebe. Niemandem etwas schuldig sein und meinen Nächsten lieben. Und mich selbst auch.

Den Advent leben – den Nächsten lieben wie mich selbstDer Advent ist eine Zeit für die Nächstenliebe und die Selbstliebe. Das ist die Ansage des Textes. Und ich lasse mich von dieser Ansage motivieren. Gerade die kleinen Dinge bringen mich auf die Spur des adventlichen Lebens. Was ist dran, jetzt im Advent?
Die Kerzen am Adventskranz machen die Zeit-Ansage deutlich: Es ist Advent. Ich schaue auf den Adventskranz. Zeit, ihn anzuzünden, habe ich morgens noch nicht, aber bevor ich die Wohnungstür öffne und in den Tag starte, sind die Adventskerzen ein Zeichen: Mache dich auf und werde Licht. Ob es so wird?
Von „Brot für die Welt“ erreicht mich der Spendenaufruf. Sie sagen, dass meine Spende etwas bewirken kann. Es ist einer von sicher zwanzig Spendenaufrufen, die ich bekomme. Allen kann ich gar nicht gerecht werden. Aber soll ich es deshalb ganz lassen? Ich nehme mir einen Spendenaufruf aus dem Stapel. Ich hoffe, die Spende bewirkt etwas.
Bei der Weihnachtsbaumaktion auf dem Dorfplatz, bei der die Diakoniestation Wunschkärtchen aufhängt mit Wünschen von Bedürftigen, nehme ich eines der Kärtchen mit. Natürlich beschleicht mich der Verdacht, dass ich mich mit dem Schenken vor allem selbst beschenke: mit einem guten Gefühl, etwas gegeben zu haben. Aber es lassen, weil ich auch selbst ein gutes, adventliches Gefühl dabei habe?? Ich hoffe, dass auch der Beschenkte das adventliche Gefühl spürt.
Weil ich etwas Schenken möchte, beschließe ich, im Advent einen lange aufgeschobenen Besuch zu machen. Ich will der Bekannten von der Zeit schenken, die ich „natürlich nie habe“ – mir aber im Advent nehmen will. Als ich bei ihr anrufe und sage, dass ich sie gern besuchen möchte, tut sie das zuerst ab. Ich hätte doch vor Weihnachten nun erst recht keine Zeit für so was. „Doch, doch“, sage ich, „wo kämen wir denn sonst hin?“ Sicher nicht zur Krippe… denke ich mir still dazu und überlege, wo mich eigentlich die Monate Januar bis November hingeführt haben. Bei einem warmen Tee erzählt mir die Bekannte vom Altwerden. Von der Zeit, die vergeht. Und dann erzähle ich von dem, wie ich meine Zeit verbringe. Wir lesen einen Vers aus einem Adventslied: „Seht die gute Zeit ist nah.“ Und wie wir uns gegenübersitzen, ist die Zeit jetzt schon da.
Gerade von den kleinen Dingen lasse ich mich ermutigen.
Die Zeit läuft für uns:
Die Zeit vergeht und bringt uns Gott immer näher – am Ende stehen wir vor Gott wie die Hirten an der Krippe.
Die Zeit ist erfüllt und bringt uns Gott immer näher. In der Liebe – zu unseren Nächsten und zu uns selbst – ist Gott uns nahe.
Im Advent höre ich die Aufforderung zu lieben und anderen Gutes zu tun noch einmal besonders deutlich. Ich will so in den Advent starten wie es Paulus seiner Gemeinde für das ganze Leben rät:
„‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‘ […] Und das tut, weil ihr die Zeit erkannt habt, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.“
A… –

A-ber…A-ber wenn mich das jetzt überfordert? Wo doch im Advent sowieso noch mehr los ist als sonst im Jahr? Das überlege ich, bevor ich Amen sage.
Wenn mich das überfordert, dann sollte ich vielleicht erst noch eine Runde liegen bleiben, bevor ich aufstehe. Und zwar ganz entspannt. „Snoozen“ nennt man das heute. Denn an Gottes Ankunft, daran, dass er mir näher und näher und schließlich nahe sein wird, daran wird auch die größte Untätigkeit meinerseits nichts ändern. Also kann ich ruhig nochmal auftanken.
Aber ich kenne mich und die Adventszeit inzwischen ganz gut: Am Ende wird sie mich doch wieder für sich gewinnen. Mit voller Kraft. Und ich werde mich wieder daran freuen, dass es diese Zeit gibt. So wie damals, als ich ein Kind war.
Amen.

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