1. Sonntag nach Trinitatis (11. Juni 2023)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Dorothee Eisrich, Schorndorf [Dorothee.Eisrich@elkw.de]

1. Johannes 4,16b-21

Intention
Mitten in den Herausforderungen unseres Lebens die Kraft des Glaubens, den Mut zum Handeln und die Sprache für Gott wiederfinden: Gott ist Liebe.
Ich habe die Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache gewählt, weil die Lutherübersetzung in diesem Bibelabschnitt fast in jedem Satz sehr „männerbezogen“ formuliert:

1.Johannes 4,16b-21
Gott ist Liebe; und alle, die in der Liebe bleiben, die bleiben in Gott und Gott in ihnen. Dadurch wird die Liebe unter uns vollendet, so dass wir unerschrocken sind am Tag des Gerichts. Denn wie Jesus sind auch wir in dieser Welt. In der Liebe ist keine Angst, vielmehr vertreibt die vollkommene Liebe die Angst. Denn Angst schränkt ein, wer Angst hat, ist nicht vollkommen in der Liebe. Wir lieben, denn Gott hat uns zuerst geliebt. Diejenigen, die sagen: Ich liebe Gott, und ihre Geschwister hassen, lügen. Denn die ihre Geschwister nicht lieben, die sie sehen, können Gott nicht lieben, den sie nicht sehen. Dieses Gebot ist uns gegeben: Alle, die Gott lieben, sollen auch ihre Geschwister lieben.

Liebe Gemeinde,
manchmal habe ich den Eindruck, wir haben zwei Dinge verloren: eine Sprache für Gott – und die Kraft unseres Glaubens. Ganz gleich, wo wir hinschauen: in die Kirchen, zu Verantwortungsträgern, zu ganz normalen Alltagsmenschen: So viele Menschen sind irgendwie blass geworden, verunsichert, kraftlos, vielleicht auch feige. Dabei würde man zumindest von christlichen Gemeinden erwarten, dass hier ein Raum ist für die Suche nach Kraftquellen hinter allem, Raum für die Suche nach Gott. Eigentlich müsste das bei dem Bedeutungsverlust und der Sprachlosigkeit der Kirchen oben auf der Tagesordnung stehen. Wir müssten wieder lernen, so von Gott so zu sprechen, dass seine Kraft, die wir entdeckt haben und die wir damit meinen, wieder zu leuchten anfängt.

Von Gott wieder sprechen lernenDem Verfasser des 1. Johannesbriefes ist das damals gelungen. Er hat in dunkler Zeit gelebt. Unrecht, Leid, Ohnmacht waren auch damals alltägliche Erfahrungen, vermutlich noch viel mehr als bei uns heute. Wie kann man überleben in dunklen Zeiten? Wo ist Gott, wenn man feststeckt in einer aussichtslosen Situation? Ihm gelang es, eine Sprache zu finden, die ehrlich war und die die Menschen berührte. Gott ist Liebe. Alle, die in der Liebe bleiben, die bleiben in Gott und Gott bleibt in ihnen. Wie ein Brillant leuchten und funkeln diese Worte bis heute. Sie lassen uns heute oft so stumpf und resigniert gewordene Menschen etwas von dem Geheimnis Gottes ahnen.
Gott ist Liebe. Wieviel mehr ist das als das ständige Wiederholen von Harmlosigkeiten. Dieses billige „Gott liebt dich“ bleibt oft so merkwürdig folgenlos. Es macht Gott so klein, als ob er der nette Kumpel von nebenan wäre, der dir freundlich auf die Schulter klopft.
Gott ist Liebe. Das unterscheidet sich wohltuend auch von der überheblichen Weise, von Gott zu sprechen, die viele sich angewöhnt haben. Als ob wir im Besitz der Wahrheit wären und wir genau über Gott Bescheid wüssten. Jetzt müssten es nur noch die anderen glauben, die das noch nicht erkannt haben.

Dem Meer der Hoffnungslosigkeit entrinnenWelche Person auch immer genau diesen Brief geschrieben hat: sie hat es geschafft, all dieses belanglose und rechthaberische Reden hinter sich zu lassen. Der 1. Johannesbrief findet aus der Sprachlosigkeit, aus dem Verstummen und verschämten Verschweigen heraus. So gewinnt er in dem riesigen Meer der Hoffnungslosigkeit wieder Land, in dem man so leicht ertrinken kann.
Die Kraft, die das Leben vorantreibt, die Sinn schenkt, ist die Liebe. Die Kraft, die auch dunkle Situationen tragen und aushalten lässt, ist die Liebe. Es ist tatsächlich unser Füreinander, das so guttut und in dem sich oft sogar neue Türen öffnen. Die Liebe ist sogar stärker als der Tod. - Das wissen alle, die diese Erfahrung schon gemacht haben. Zu ihren Wundern gehört auch, dass sie neues Leben hervorbringt und für das neue Leben Lebensraum schafft.
Vielleicht muss auch bei uns erst einmal wieder ein neues Staunen entstehen. Ein Staunen über diese Kraft, die sich ja überall ereignet, über alle Grenzen hinweg. Die niemand fassen, festhalten, verwalten, verstehen kann. Die sich bis heute überall so wunderbar in unser Leben hineinmischt, die Menschen aufrichtet, befreit, tröstet. Sie befähigt uns sogar zur Not, über Wasser zu gehen.
Gott ist Liebe. Diese Worte sollen sich heute in unseren Herzen einnisten. In unserem Leben, überall, wo es so verzagt und kraftlos ist. In unserer Selbstüberschätzung und in unserer Einsamkeit. Gott ereignet sich in unserem Miteinander. Überall, wo wir aufeinander zugehen, überall, wo die Liebe wohnt, ist ein Stück Himmel. Wo Kinder lachen. Wo ich verstanden werde und selbst zu verstehen beginne, wo es zu einer wirklichen Begegnung kommt. Da ist Liebe und da ist Gott.
Gott – nicht gedacht als Glaubenssatz, als Dogma, sondern als Bewegung, eine Bewegkraft. Überall dort, wo wir uns auf das Leben einlassen, kann sie sich ereignen. Gott als die Kraft, die unser Herz so verwandelt, dass wir ins Tun kommen – oder etwas aushalten lernen. Gott in dir, in deinem Leben. Was für ein wertschätzender Gedanke gehört da dazu: Ohne dich wäre Gott kleiner.

Was uns rettet, ist die LiebeEs ist merkwürdig: Selten hatten Menschen so viel Zeit für sich selbst. Viele jedenfalls. Noch nie hatten wir so viele Möglichkeiten, etwas zu tun. Aber selten waren Menschen – so habe ich zumindest den Eindruck, gehetzter, unglücklicher, gelangweilter. Sie suchen nach immer neuen Kicks. Gott ist Liebe – das heißt wohl auch: was uns rettet, ist die Liebe. Was uns vor uns selbst rettet, vor dieser armseligen Selbstbezogenheit, ist die Liebe. Das Leben in Beziehung. Dem anderen etwas bedeuten. Das Schwere gemeinsam tragen. Das rettet die, die nur um sich selbst kreisen.
Selten ging es uns in Deutschland so gut wie jetzt. Blickt man auf die Länder dieser Welt, geht es uns trotz aktueller Krisen wirtschaftlich immer noch vergleichsweise sehr gut. Aber selten haben Menschen sich so wenig dazu imstande gefühlt, die anstehenden Herausforderungen anzupacken. Dieses jahrzehntelange mehr oder weniger in Watte gepackte Leben und dieser Wohlstand auf Kosten von anderen hat uns kraftlos gemacht. Wir stehen nun an einer Schwelle. Wir müssen mühsam verlernen, was uns in unserer so konsumorientierten Welt zur zweiten Natur geworden ist. Leben heißt nicht besitzen, kaufen, haben. Leben heißt Sein, teilhaben, geschenkt bekommen, kreative Lösungen finden. Verbunden sein. Nur die Liebe wird uns retten am Tag des Gerichts, lesen wir in diesem Brief.
Denn wie Jesus sind auch wir in dieser Welt. In dieser Welt, in der uns so viel Angst macht. Jesus kommt in den Blick, der uns die Kunst des Liebens die Kunst des Menschseins ja vorgelebt hat. Der wusste, was es heißt „in der Welt habt ihr Angst“. Was denn sonst. Leben ist so mühsam, so zerbrechlich, so gefährdet. Voller Stolpersteine, die einen aus dem Gleichgewicht bringen. Wer von uns hat keine Angst.

Die Liebe kann Angst überwindenAber Jesus lehrt uns, der Angst Grenzen zu weisen. Sie nicht zur alles bestimmenden Macht werden lassen. Nicht indem wir alles planen und kontrollieren und versuchen, das Leben zu beherrschen. Das war nicht der Weg Jesu. Nicht herrschen, sondern dienen. Sich in der Liebe gründen. Wahrnehmen, wer jetzt neben uns ist. Lasst eure Liebe wachsen, sagt Jesus. Denn vollkommene Liebe würde die Angst vertreiben.
Wir sollen noch einen Schritt weitergehen. Eine fromme Lüge wird entlarvt. Diejenigen, die sagen: Ich liebe Gott, und ihre Geschwister hassen, lügen. Wie kann man Gott lieben – und dabei nur an sich denken. Wer in Gott eintaucht, so hat es Fulbert Steffenski einmal wunderbar formuliert, der taucht im anderen wieder auf. Glaube und Alltag lassen sich nicht trennen. So wird es geradezu als Gebot formuliert Wir brauchen Regeln, eine Richtschnur, die zumindest für Christen nicht verhandelbar ist. Alle, die Gott lieben, sollen auch ihre Mitmenschen lieben.
Man könnte auch umgekehrt sagen: Wo die Liebe wohnt, da ist unser Gott. Die Gemeinde machte es zu ihrem Glaubensbekenntnis. Sprach diesen Satz immer wieder aus. Verschloss nicht ihre Kirchentüren, um dahinter in eine heile Welt einzutauchen. Sondern um mitten in der Welt Glauben und Leben zusammenzubringen.
Der Schweizer Pfarrer und Dichter Kurt Marti sagte einmal: „Lass uns endlich wieder gesunden durch die Liebe zu allem, was lebt.“
Ich wünsche mir, dass wir in all dem, was so an uns zehrt in unserem Leben, die Kraft der Liebe wieder entdecken. Dass wir nicht davonlaufen vor all den verworrenen Situationen. Dass wir die Wege gehen, die sich dann auftun Nicht weil wir es müssen, sondern weil Gott selbst es ist, der uns dabei leitet und begleitet.
Amen.

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