1. Sonntag nach Trinitatis (02. Juni 2024)

Autorin / Autor:
Dr. Ulrich Dreesman, Oberboihingen [Ulrich.Dreesman@elkw.de]

Jeremia 23, 16-29

IntentionDie Predigt erinnert an den Gott, der nicht nur nahe ist, sondern manchmal auch ferne – den Gott, der sich, wenn nötig, in aller Schärfe von uns distanziert, zu unserem Besten.

Predigttext23, 16 So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch, sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. 17 Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen –, und allen, die im Starrsinn ihres Herzens wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen.
18 Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? 19 Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. 20 Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen.
21 Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie. 22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren. 23 Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? 24 Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?, spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der HERR.
25 Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. 26 Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen 27 und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, so wie ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal?
28 Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?, spricht der HERR. 29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?

Gott zürnt – damalsWas für ein Zorn im Himmel! Was für eine göttliche Empörung! Es ist ein zorniger Gott, der sich bei Jeremia zu Wort meldet; es ist ein erregter Gott, von dem der Prophet zu reden hat. Nein: Es gefällt Gott ganz und gar nicht, was er aus dem Mund der falschen Propheten hört. Wer Träume hat, schildert eben nur Träume. Wer Schaum schlägt, erzeugt nur Blasen. Und wer Stroh drischt, hat auch nur Stroh zu verteilen. Das Ganze geschieht im Namen Gottes. Träume, Blasen, Stroh werden als seine Wahrheit verkauft. Was für ein Schwindel!
Vermutlich hat Gott seit den Zeiten Jeremias immer wieder Grund gehabt, zornig zu sein. Denn was ist seither alles in seinem Namen getan und behauptet worden – mancherorts bis heute. Ja: Falsche Propheten sind unterwegs, damals in Juda vor rund 2600 Jahren, und heute, an vielen Orten der Welt.
Zur Zeit Jeremias, sitzen sie ganz in der Nähe des Königs. Sie gehören in den Kreis seiner politischen Berater. Ihre Ratschläge sind ebenso verlockend wie gefährlich.
Es ist die Zeit, in der die Großmacht Babylon den Nahen Osten fest im Griff hat. Juda, das kleine Königreich mit der Hauptstadt Jerusalem, ist zur Zeit Jeremias ein abhängiger Vasallenstaat des babylonischen Großreichs, eines Riesenreichs, das etwa den heutigen Irak, Iran, Syrien, Jordanien und eben Israel umfasst.
Die falschen Propheten in Jerusalem glauben aber, Zeichen der Schwäche zu erkennen. Ob der babylonische Riese nicht wackelt, ob er nicht bald stürzt? Ob jetzt nicht eine Chance besteht, erneut unabhängig zu werden? In diese Richtung überlegen sie; in diese Richtung drängen sie den König. Und damit die Botschaft ankommt und Gewicht erhält, bringen sie Gott ins Spiel. Und erheben ihre Träume und Visionen zum Plan und zur Marschrichtung Gottes.

Gott zürnt – heuteDie falschen Propheten, die damals am Königshof sitzen, die träumen und ihre Seherkräfte einsetzen, um in die Zukunft zu schauen, garnieren ihre eigenen politischen Ideen mit dem Namen Gottes. Das gibt es bis heute.
Nein, schauen wir nicht auf andere Religionen, das wäre zu einfach. Schauen wir auf christlich geprägte Länder, etwa die USA, wo erzkonservative evangelikale Christinnen und Christen eine starke politische Stimme haben. Denken wir an Russland, wo eine orthodoxe Staatskirche das heilige Russland beschwört und Terror und Krieg absegnet. Wenn sich Gott zur Zeit Jeremias die Haare gerauft hat, dürfte er das auch heute tun. „Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie. Ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie...“
Falsche Propheten verstellen und verdunkeln die Wirklichkeit Gottes. Anstatt Gott groß sein zu lassen, stellen sie sich selbst aufs Podest. Anstatt zu schweigen, reden sie. Anstatt zu hören, träumen sie. Und träumen am Ende nur noch von sich selbst. Und hören am Ende nur noch sich selbst. Und reden sich und anderen ein, damit sei alles gesagt.
Doch damit ist, Gott sei Dank, nicht schon alles gesagt. Denn der Gott Israels, der Vater Jesu Christi, ist lebendig. Er lässt sich nicht zum Schweigen bringen. Er sprach damals. Und er spricht heute. Er spricht auch zu Ihnen und zu mir.

Gott zürnt – mit uns?Schauen wir nicht in die Ferne, schauen wir nicht auf die USA und Russland. Schauen wir auf uns selbst. Hoffen wir, dass er keinen Grund hat, mit uns zornig zu sein, wie er es damals zur Zeit Jeremias mit den falschen Propheten war.
Denn, Hand aufs Herz: Haben vielleicht auch wir, Sie und ich, einen Hang zum Prophetischen? Dieser Hang könnte sich ja auch als Arroganz und Überheblichkeit und Besserwisserei zeigen.
Werden wir selbst manchmal zu kleinen Prophetinnen und Propheten, zum Beispiel wenn wir Pläne schmieden, und dann andere auf diese Pläne festlegen? Werden wir selbst dann und wann wie Prophetinnen und Propheten? Zum Beispiel, wenn wir andere nicht zur Entfaltung kommen lassen, weil wir ja ganz bestimmt im Recht sind. Das von uns als richtig Erkannte kann doch unmöglich falsch sein! Stehen wir anderen und unserem Gott im Weg? Es kann doch vom einmal eingeschlagenen Weg keine Abweichung geben!
Prophet zu sein ist gar nicht schwer. Man muss nur selbstbewusst vorbringen, was man für richtig hält. Und leicht und schnell werden wir selbst zu Gefangenen der eigenen Prophetie. Und sitzen im Käfig eigener Träume und Visionen.
Gottes Wort wirkt
Deswegen ist es heilsam, bei den wahren Propheten in die Schule zu gehen, bei Jeremia, Jesaja, Amos und all den anderen. Deswegen ist es heilsam, mit den wahren Propheten die Stimme Gottes zu hören – seine Stimme, die uns aufweckt und aufschreckt aus unseren Plänen und Träumen. „Ist mein Wort nicht wie ein Feuer [...] und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?“
Das ist ein starkes Bild. Es steht für die Macht und Kraft Gottes, der sich nicht unterkriegen lässt, der sich zu Wort meldet, der nicht schläft noch schlummert. Es steht für seinen Geist aus der Höhe, die Heilige Unruhe, die nicht lockerlässt und uns nicht loslässt.
Ich glaube, dass wir auf Anstöße von oben angewiesen sind. Ich glaube, dass Gott unser Gewissen anspricht und schärft. Weil wir sonst bequem werden. Weil wir uns sonst einrichten in unserer selbst erdachten Welt. Weil wir Verhältnisse absegnen, die zu verändern wären. Weil wir sonst nur noch uns selbst hören, ihn, unseren Gott, aber nicht mehr.
„Ist mein Wort nicht wie ein Feuer und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?“ Ja, das ist es. Und wir wollen hören. Rede du. Und führe uns in deine Wahrheit, die höher ist als unsere kleine Vernunft. Amen.

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