1. Sonntag nach Weihnachten (28. Dezember 2025)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Friedemann Bresch, Rottenburg [bresch72072@aol.com]

Hiob 42, 1-6

Intention
Die Wahl dieser Perikope für den Sonntag nach dem Christfest, stellt den Prediger/die Predigerin vor große Herausforderungen: Ziel ist ja das Lob Gottes wie es Simeon singt, aber zugleich darf der Duktus des Hiob-Buches mit seinem Kampf mit Gott darin nicht untergehen. Meine Intention ist eine dreifache:
1. Hiob als eine Identifikationsfigur für alle vorzustellen, die mit Gott hadern.
2. Parallelen zwischen Hiob und Jesus herauszuarbeiten.
3. Das Lob unter Schmerzen verständlich zu machen.
Ich habe mich für den Wortlaut der Basisbibel entschieden, weil in der Lutherübersetzung
Vers 6 nahelegt, dass Hiob seinen Kampf mit Gott bereut und dafür Buße tun will. Das aber widerspricht meinem Verständnis zufolge dem gesamten Duktus dieses Buches und insbesondere den folgenden Versen 7 und 8.


Einleitung: Anknüpfung an Weihnachten
Liebe Gemeinde, wir haben Weihnachten gefeiert. Wir haben die Botschaft der Engel gehört: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden.“ Und wir haben eingestimmt in dieses Lob: „Gelobt sei Gott im höchsten Thron.“
Ein sehr eigenartiges Lob Gottes finden wir am Ende des Hiob-Buches. Ich lese Hiob 42,1-6 in der Übersetzung der Basisbibel:

„Da antwortete Hiob dem HERRN und sagte:
Jetzt weiß ich, dass alles in deiner Macht steht.
Man kann dich an keinem deiner Vorhaben hindern.
Du hast gefragt:
‚Wer ist es, der meinen Plan verdunkelt,
mit Worten, gesprochen ohne Verstand?‘
Ich war’s! Ja, ich habe ohne Einsicht geredet.
Ich sprach von Dingen, die ich nicht verstand.
Du hast mich aufgefordert:
‚Hör zu, wenn ich mit dir rede!
Ich will dir meine Fragen vorlegen.
Belehr mich doch, wenn du es kannst!‘
Ja, bis dahin kannte ich dich nur vom Hörensagen.
Doch jetzt hat mein Auge dich wirklich gesehen.
Darum bereue ich meine Worte und finde Trost,
so wie ich hier in Staub und Asche sitze.“

Hiob ist eine Identifikationsfigur für alle, die an Gott und der Welt zweifeln
Seltsame Worte. Wovon redet Hiob? Ist das überhaupt ein Lob?
Hiob ist eine literarische Person, an der beispielhaft die Frage erzählt wird, ob Glück und Leid im Leben gerecht verteilt sind. Jeder von uns weiß, dass sie das nicht sind. Manche Schicksale sind so schwer, dass man sich fragt, wie Menschen das überhaupt aushalten können. Häufig fragen sie dann: „Womit habe ich das verdient?“ Und finden keine Antwort darauf. Andere dagegen sind Schurken und leben in Saus und Braus. Ihnen scheint nichts etwas anhaben zu können.
Und Gott? Er schweigt. Sieht er denn nicht, was hier geschieht? Warum greift er nicht ein?
Das Hiob-Buch entfaltet dieses Rätsel über 41 Kapitel. Hiob, ein reicher, glücklicher und gerechter Mann, verliert alles: seinen Reichtum, seine Kinder und zuletzt seine Gesundheit. Auch seine Frau wendet sich von ihm ab. Als gebrochener Mensch sitzt er in der Asche. Und genau das hält er Gott entgegen: „Das habe ich nicht verdient! Wie kannst du so mit mir umgehen? Das ist ungerecht. Zeig mir, wo ich gesündigt habe! Zeig dich selbst! Komm her-aus aus deinem Himmel und gib mir Antwort! Ich will doch sehen, ob das, was du tust, gerecht ist. Am liebsten würde ich dich vor den Richter zerren. Und ich bin überzeugt, dass der mir Recht geben würde.“ So tobt Hiob und er hat darin mein vollstes Verständnis.

Falscher Trost
Seine Freunde hingegen verstehen ihn nicht. Sie kommen zwar, um ihn zu trösten. Aber in Wahrheit wollen sie sein Leid, seine Verzweiflung und seine Wut nicht an sich heranlassen. Sie geben ihm gute Ratschläge: „Versündige dich nicht in deinem Aufstand gegen Gott! Bleibe demütig! Gott wird schon wissen, was er tut.“ Sie versuchen, die Ungerechtigkeit weg zu erklären: „Wahrscheinlich hast du unbewusst gesündigt. Erforsche dich!“ Oder: „Gott will dich prüfen und dir die Chance geben, dich weiterzuentwickeln. Das alles dient zu deinem Besten.“ Das alles hilft Hiob aber nicht. Im Gegenteil. Es macht ihn einsam. Was ihm wirklich helfen würde, wäre, wenn seine Freunde sich mit ihm in die Asche setzten und mit ihm zusammen das Unfassbare und Unerklärliche aushalten würden.
Genau das macht ja das Hiob-Buch: Es greift die Fragen und den Protest aller Menschen auf, die Schlimmes erleiden und es nicht verstehen, die anrennen gegen ihre Krankheit, den Unfall, den Tod des geliebten Menschen und die das alles zutiefst ungerecht finden. Sie finden sich wieder in Hiob, und es ist weder recht noch sinnvoll, sie zum Schweigen bringen zu wollen mit glatten Sätzen wie: „Gott wird wissen, warum“ oder „In jeder Krise steckt auch eine Chance“ oder „Du hättest eben dies oder jenes anders machen müssen“. Hiob ist der Anwalt des Kampfs mit dem Schicksal, ja, des Kampfs mit Gott. Wir erleben ja immer wieder, dass auf der Welt der Teufel los ist und Gott sich verbirgt und schweigt. Was dann?

Antwort in der Begegnung mit Gott
Hiob erwartet die Antwort von Gott allein. Er gibt sich erst zufrieden, wenn Gott sich ihm zeigt. Und genau das geschieht, wenn auch erst nach langem Ringen. Auch das gehört ja dazu. In den Klagepsalmen können wir das lernen: Erst muss ausgesprochen sein, was einen Menschen bewegt. Das kann lange dauern. Und meist dann kommt ein Kipppunkt: Die Klage schlägt um in ein Dennoch oder in ein Lob. In der Begegnung mit Gott schweigen unsere Fragen. Auch wenn sie nicht beantwortet werden.
Die Antwort Gottes an Hiob ist ja ganz anders als er erwartet. Mit keinem Wort geht Gott auf das Unrecht ein, das Hiob widerfährt. Dafür gibt es keine Erklärung. Es ist, wie es ist. Wir können manches nicht verstehen. Stattdessen konfrontiert Gott Hiob mit seiner Größe: Schau dir die Schöpfung an und ihre Wunder! Die unermesslichen Weiten des Himmels, die Schönheit der Blumen, das Rätsel, woher Vögel wissen, wann sie in den Süden ziehen. Staune dar-über, wie Schmetterlinge gestaltet sind oder dass Bienen mit ihren Flügeln 200 mal pro Sekunde schlagen. Kleine Mücken sogar bis zu 1 000 mal. Überlege mal, was für ein Wunder es ist, dass wir singen können. Wie viele Muskeln müssen da aktiviert werden, von den Lippen und der Zunge über die Lungen bis zum Kehlkopf. Und das alles wird von den Zellen unseres Gehirns gesteuert in komplizierten elektrochemischen Prozessen über Nervenbahnen und Synapsen. Je mehr ich über das alles nachdenke, umso mehr staune ich. Die Schöpfung ist so wunderbar und groß. Wir ahnen, wie klein wir sind und wie groß Gott.
Das gibt Hiob eine neue Perspektive. Er hatte sich völlig verrannt in seinem Protest. Sein ganzes Denken und Fühlen kreiste nur noch darum, dass ihm Unrecht getan wurde. Die Begegnung mit Gott reißt vor seinem Inneren eine neue Dimension auf: Gott ist unendlich groß. Ich bin ein Teil seiner wunderbaren Schöpfung. Das tröstet mich, auch wenn ich vieles nicht verstehe und manches nicht richtig finde.
Deshalb bereut Hiob seinen maßlosen Protest und hält ihn nicht aufrecht. Er sagt Ja zu dem, was ist. Er gibt Gott recht, auch wenn er ihn nicht versteht. Er gibt ihm die Ehre, auch wenn er nicht mit allem einverstanden ist. Es ist ein Glaube aus dem Dennoch: „Dennoch bleibe ich stets an dir.“ Es ist ein Lob, das allem Widerwärtigen trotzt.

Hiob und Jesus
Wir haben Weihnachten gefeiert. Wir haben die Botschaft der Engel gehört: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden.“ Weihnachten ist sehr nahe an der Hiob-Erzählung: Die Welt ist so dunkel wie die Nacht, in der die Engel erscheinen. Die Menschen sind ratlos und verzweifelt. Sie fragen nach Gott und seiner Gerechtigkeit. Aber anstatt Donnerworten kommt ein Kind. Anstatt eines Gerichtstribunals sehen wir einen Stall. Gott setzt sich zu uns in die Asche. Er teilt unser Leben, seine schönen Feste und seine schrecklichen Leiden. Jesus spricht von den Blumen auf dem Feld, die schöner gekleidet sind als König Salomo, obwohl sie nicht spinnen und nicht nähen. Er verweist auf die Vögel unter dem Himmel, die nicht säen und nicht ernten und doch fröhlich zwitschern, weil Gott sie ernährt. Felder und Senfkörner werden für ihn zu Gleichnissen für das Reich Gottes und sich selbst vergleicht er mit einem Weizenkorn, das in die Erde fallen und sterben muss, damit es Frucht bringt.
33 Jahre nach seiner Geburt wird Jesus zu Unrecht angeklagt, in einem Scheinprozess zum Tod verurteilt, gefoltert und ans Kreuz geschlagen. Das Unrecht scheint zu siegen. Es wird finster in der Welt, und in seiner Verzweiflung schreit Jesus nach Gott. Aber der schweigt. Drei Tage später jedoch kommt das Licht. Gott bekennt sich zu Jesus und holt ihn aus dem Tod.
In gewisser Weise ist Jesus ein Bruder Hiobs, ein leidender Gerechter so wie dieser. Einer, der trotz allem an Gott festhält, auch wenn der anders handelt als er es gerne hätte. Allerdings ist Jesus durchdrungen vom kindlichen Vertrauen auf Gott, den er Vater nennt. Hiob dagegen kämpft fast das ganze Buch hindurch mit einem Gott, der ihm fremd, ja feindlich geworden ist. Beide aber können uns helfen, wenn sich auch uns Gott verdunkelt und wir an unserem Leben und der Welt verzweifeln: Hiob, weil er uns zeigt, wie man mit diesem dunklen Gott kämpfen kann, und weil er am Ende doch zu einem Ja findet. Jesus, weil in ihm Gott selbst an unserer Seite ist in den Zeiten, in denen wir ihm glücklich danken ebenso wie dann, wenn alles um uns dunkel wird und wir uns von Gott verlassen fühlen. Dass jemand leidet, bedeutet nicht, dass Gott ihn straft oder ihn aufgegeben hat.

Schluss
Ein seltsames Lob haben wir als Predigttext gehört. Ein Lob unter Schmerzen, ein hart erkämpftes Lob. Hiob verstummt vor der Erfahrung der Größe Gottes. Damit gibt er Gott Recht. So findet er seinen Frieden.
Amen.



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