1. Weihnachtsfeiertag (25. Dezember 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Sonja Kuttler, Herrenberg [sonja.kuttler@elkw.de]

Kolosser 2, 3 (4-5) 6-10

IntentionDas Predigtwort für heute erzählt nicht von Maria und Josef und den Hirten auf dem Feld. Aber es lädt uns ein, das Geheimnis von Weihnachten neu zu entdecken.

Liebe Gemeinde!
Mit leuchtenden Augen stand das achtjährige Mädchen vor mir: „Wie lange ist es noch bis Weihnachten?“ Während ich ihr antwortete, dachte ich im Stillen: „Eigentlich bin ich ganz froh, dass Weihnachten noch nicht vor der Tür steht. So vieles gibt es noch zu tun und vorzubereiten, und innerlich bin ich auch noch gar nicht in Weihnachtsstimmung.“
Aber ihre leuchtenden Augen brachten mich ins Nachdenken. Was bedeutet mir eigentlich dieses Fest: Weihnachten?

„In ihm (Christus) liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Ich sage das, damit euch niemand betrüge mit verführerischen Reden. Denn obwohl ich leiblich abwesend bin, so bin ich doch im Geist bei euch und freue mich, wenn ich eure Ordnung und euren festen Glauben an Christus sehe.
Wie ihr nun angenommen habt den Herrn Christus Jesus, so lebt auch in ihm, verwurzelt und gegründet in ihm und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid, und voller Dankbarkeit. Seht zu, dass euch niemand einfange durch die Philosophie und leeren Trug, die der Überlieferung der Menschen und den Elementen der Welt folgen und nicht Christus. Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und ihr seid erfüllt durch ihn, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist.“ (Kolosser 2,3-10)

Christus – unser größter SchatzEin so ganz anderer Weihnachtstext. Dichte Worte, die es in sich haben. „In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.“ „In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.“
„Das versteh’ ich nicht mal, was soll das denn bedeuten?“, sagte mir ein Jugendlicher, als er diesen Bibelabschnitt hörte. „Die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt in Christus.“ Ich versuchte, den Bibelvers zu erklären und in einfacheren Worten auszudrücken. Vielleicht könnte man sagen: „In Jesus Christus zeigt sich uns Gott ganz und gar. In Jesus Christus können wir Gott erkennen und ihm begegnen.“
Aber auch das sind steile Sätze. In Christus bekommen wir nicht nur einen kleinen Schimmer von Gott zu sehen, nicht nur einen Hauch von Gott zu spüren. Nein, vielmehr: In Christus zeigt sich uns Gott ganz und gar. Sein ganzes Wesen hat Gott in Jesus Christus hineingelegt. Alles, was es zu wissen und zu erkennen gilt, finden wir in Christus.

Was soll das denn für ein Schatz sein?„Alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis liegen in ihm, Christus, verborgen.“
Ich frage mich: Ist uns bewusst, was für ein Schatz uns mit Christus geschenkt ist? Haben wir Augen für diesen Schatz?
Ich denke an einen der Kindergeburtstage, den wir mit unseren Kindern gefeiert haben. Ganz traditionell gehörte auf Wunsch unserer Tochter eine Schatzsuche zum Programm. An mehreren Stationen und Aufgaben vorbei kamen die Kinder schließlich zum Ziel und hatten den versteckten Schatz gefunden. Neugierig packten die Kinder die Schatzkiste auf. Als sie den Deckel der Kiste lüfteten und der Schatz zum Vorschein kam, bemerkte eins der Kinder enttäuscht: „Und für ein paar Süßigkeiten sind wir jetzt so weit gelaufen! Was soll das denn für ein Schatz sein?
Wie ist es, wenn wir von Jesus hören? Geht es uns da vielleicht manchmal ähnlich wie dem Kind auf dem Geburtstag, dass wir uns fragen: Jesus? Was soll das denn für ein Schatz sein? Alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis liegen in ihm verborgen? Wirklich? Ist das nicht zu hoch gegriffen?
Wünschten wir uns nicht manchmal andere Schätze? Gerade jetzt in diesen Zeiten der Inflation und Energiekrise, in der sich immer mehr Menschen Sorgen machen und Angst sich breit macht. In diesen Zeiten, in denen alles so unsicher geworden ist. Träumen wir da nicht von ganz anderen Schätzen? Vom Schatz des Wohlstands oder vom Schatz der Gesundheit oder auch vom Schatz des Friedens auf dieser Welt?

Der verborgene Schatz„In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.“
Der Schatz, von dem hier die Rede ist, liegt nicht auf der Straße. Er blinkt uns nicht entgegen wie eine glitzernde Lichterkette.
Verborgen ist er. Verborgen im Kind in der Krippe und im Mann am Kreuz.
Ich muss mir Zeit nehmen, diesen Schatz zu suchen und zu entdecken.
Aber welchen Schatz kann dieses Jesuskind verschenken, das unter armseligen Bedingungen geboren wird? Welchen Schatz können wir von einem gewinnen, den man ans Kreuz nagelt und der zu den Verlierern zählt?
„Euch ist heute der Heiland geboren“, so hörten es die Hirten auf dem Feld. Im Kind in der Krippe kommt Gott selbst zur Welt. Der Schöpfer und Herr der Welt, den kein Mensch fassen kann, macht sich klein und kommt hinein in seine Welt. Gott kommt nicht mit Pauken und Trompeten, nicht mit Glanz und Glamour. Er kommt im Kind in der Krippe, unscheinbar, arm, schutzlos. Aber in diesem Kind in der Krippe, in Jesus, liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Weil wir hier verstehen können, wie Gott ist.
Martin Luther schrieb einmal: „Wer Gott erkennen will, der schaue in die Krippe. Danach wird er begreifen und lernen, wer Gott ist“.
Gott kommt nicht von oben, nicht als einer, der uns zurechtweist und vor dem wir uns ducken müssten. Gott kommt von unten, um uns zu zeigen: „Ich bin für dich da. Ich lass dich nicht allein, selbst wenn du ganz unten bist.“ Gott kommt von unten, um unser Herz zu gewinnen.
Es ist ein Geheimnis, dass uns Gott in Jesus nahe kommt. Ein Geheimnis, über das wir nur staunen können. Aber wenn uns dieses Geheimnis berührt, dann beginnen wir zu begreifen, was für ein Schatz uns in Christus geschenkt ist. Ein Schatz, den wir nicht mit Geld aufwiegen können. Aber ein Schatz, der unser Leben reich macht. Denn welch ein Schatz ist es, dass ich weiß: Mit nichts im Leben muss ich künftig allein zurechtkommen. Weil Gott da ist. Weil Gott sieht, wie es mir geht und sich an meine Seite stellt. Und das nicht, weil ich es in irgendeiner Weise verdient oder erarbeitet hätte, sondern weil Gott etwas an mir liegt – aus lauter Liebe.

Den Schatz finden und teilenGlauben heißt: diesen Schatz in Christus finden. Aber dieser Schatz ist kein Schatz, den wir als Ausstellungsstück in irgendeine Vitrine unseres Lebens stellen.
Der Kolosserbrief erinnert uns daran, dass wir aus diesem Schatz leben sollen: „Wie ihr nun den Herrn Christus Jesus angenommen habt, so lebt auch in ihm und seid in ihm verwurzelt und gegründet und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid, und seid reichlich dankbar.“
Lebt euren Glauben! Darauf kommt es an. Der Schatz, den wir in Christus gefunden haben, ist kein Schatz, der nur unser Leben reich machen will. Das, was uns Christus schenkt, sollen wir weitergeben: Liebe, Freundlichkeit, Geduld, Vergebung. Diese Währung, mit der wir beschenkt sind, sollen wir auch wieder ausgeben: weitergeben an andere.
Sicher, das ist meist leichter gesagt als getan. Aber mir fällt auf, wie gehäuft in unserem Bibelabschnitt die Worte „in ihm“ vorkommen. „Lebt in ihm“, „seid in ihm verwurzelt“, „an dieser Fülle habt ihr Teil in ihm.“
„In ihm“ bedeutet: in der Verbindung mit Christus. Nicht aus uns selbst heraus leben wir als Christen. Wir glauben fröhlich und sind dabei nicht auf uns allein gestellt, denn wir leben in der Verbindung mit Christus. Was meint das anderes, als zu beten. Was meint das anderes, als mir immer wieder Zeit zu nehmen in meinem Tageslauf zum Innehalten und mir bewusst zu machen: Jesus Christus ist jetzt in diesem Moment da. Dann spreche ich laut oder leise in Gedanken aus, was mich bewegt und werde vor Gott still.
Wenn wir uns von Christus füllen lassen mit Liebe und Freundlichkeit, dann können wir diese auch weitergeben. Mir hilft jenes Bild des Zisterziensermönches Bernhard von Clairvaux:
„Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale, nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt, während jene wartet, bis sie gefüllt ist. Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter. Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen, und habe nicht den Wunsch, freigiebiger zu sein als Gott. (…) Zuerst anfüllen und dann ausgießen.“

Wie heilsam ist doch dieses Bild. Gerade dann, wenn ich das Gefühl habe, als Christen „sollten“ wir doch und „müssten“ wir doch. Gerade dann, wenn ich das Gefühl habe, meine Kraft zum Helfen und meine Möglichkeiten, mich für andere einzusetzen, seien zu begrenzt. Dann fordert Gott nicht immer noch mehr. Gott ist es vielmehr, der mich einlädt, zur Quelle zu kommen und meine Schale zu füllen.
Gott füllt uns mit seiner Liebe, das ist der Schatz von Weihnachten. In Christus, im Kind in der Krippe, ist dieser Schatz verborgen. Wenn wir diesen Schatz entdecken, dann ist wirklich Weihnachten. Und dann können unsere Augen leuchten. Amen.

Literaturhinweise:
Luther Brevier. Worte für jeden Tag, hg. von Thomas A. Seidel, Wartburg Verlag, 2. verbesserte Auflage, 2012, 375; Der andere Advent, Jg. 2012/13, 08.12.2012.


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