10. Sonntag nach Trinitatis (13. August 2023)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Anna Förg, Stuttgart-Zuffenhausen [Anna.Foerg@elkw.de]

5. Mose 4,5–20

IntentionZiel der Predigt ist es, der allgemeinen Untergangsstimmung, die die Kirche und viele Gemeindeglieder ergriffen hat, etwas entgegenzusetzen. Die kirchlichen Strukturen, die viele Kirchgänger aus der Vergangenheit kennen, mögen uns Menschen ans Herz gewachsen sein. Viele haben die gesellige Gemeinschaft liebgewonnen. Allerdings zeichnet sich ab, dass diese Form der Gemeinden vielerorts der Vergangenheit angehören wird. Trauerreaktionen sind da nachvollziehbar. Aber der Verlust einer liebgewonnenen Gemeindeform bedeutet nicht das Ende der geistlichen, gottgestifteten Kirche. Diesen Gedanken als positive und vor allem auch entlastende Botschaft zum Strahlen zu bringen, ist das intendierte Ziel der Predigt.

Liebe Gemeinde,
vierzig lange Jahre liegen hinter den Israeliten – vierzig Jahre, in denen die Frauen und Männer Entbehrungen hinnehmen und Verluste verschmerzen mussten. Noch einmal lagert das wandernde Volk, noch einmal halten sie inne, um Kraft zu tanken und sich zu sammeln.
Doch dieses Mal unterscheidet sich die Rast: Ein Neubeginn liegt in der Luft. Was mag es bringen, das so lange ersehnte Land? Aufregung durchzieht die Gemüter – die Zukunftslust ist mit Händen zu greifen. Die Wanderzeit ist zu Ende. Der so lange ersehnte Traum vom eigenen Land ist gerade dabei, wahr zu werden.
Die Israeliten haben ihr Lager aufgeschlagen – zwischen den Zeiten. Die Vergangenheit ist vorüber und die Zukunft noch nicht da. In dieser Zwischenzeit erhebt Mose seine Stimme und richtet das Wort an seine Volksgenossen.
Predigttext
Ich lese den Predigttext aus dem fünften Mosebuch Kapitel 4, die Verse 5 bis 20.:

„Sieh, ich habe euch gelehrt Gebote und Rechte, wie mir der HERR, mein Gott, geboten hat, dass ihr danach tun sollt im Lande, in das ihr kommen werdet, um es einzunehmen. So haltet sie nun und tut sie! Denn darin zeigt sich den Völkern eure Weisheit und euer Verstand. Wenn sie alle diese Gebote hören werden, dann müssen sie sagen: Was für weise und verständige Leute sind das, ein herrliches Volk! Denn wo ist so ein herrliches Volk, dem Götter so nahe sind wie uns der HERR, unser Gott, sooft wir ihn anrufen? Und wo ist so ein großes Volk, das so gerechte Ordnungen und Gebote hat wie dies ganze Gesetz, das ich euch heute vorlege? Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang. Und du sollst deinen Kindern und Kindeskindern kundtun den Tag, da du vor dem HERRN, deinem Gott, standest an dem Berge Horeb, als der HERR zu mir sagte: Versammle mir das Volk, dass ich sie meine Worte hören lasse und sie mich fürchten lernen alle Tage ihres Lebens auf Erden und ihre Kinder lehren. Da tratet ihr herzu und standet unten an dem Berge; der Berg aber stand in Flammen bis in den Himmel hinein, und da war Finsternis, Wolken und Dunkel. Und der HERR redete mit euch mitten aus dem Feuer. Den Klang der Worte hörtet ihr, aber ihr saht keine Gestalt, nur eine Stimme war da. Und er verkündigte euch seinen Bund, den er euch gebot zu halten, nämlich die Zehn Worte, und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln. Und der HERR gebot mir zur selben Zeit, euch Gebote und Rechte zu lehren, dass ihr danach tun sollt in dem Lande, in das ihr zieht, es einzunehmen. So hütet euch um eures Lebens willen – denn ihr habt keine Gestalt gesehen an dem Tage, da der HERR mit euch redete aus dem Feuer auf dem Berge Horeb –, dass ihr euch nicht versündigt und euch irgendein Bildnis macht, das gleich sei einem Mann oder einer Frau, einem Tier auf dem Land oder Vogel unter dem Himmel, dem Gewürm auf der Erde oder einem Fisch im Wasser unter der Erde. Hebe auch nicht deine Augen auf zum Himmel, dass du die Sonne sehest und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels, und fallest ab und betest sie an und dienest denen, die der HERR, dein Gott, zugewiesen hat allen Völkern unter dem ganzen Himmel. Euch aber hat der HERR angenommen und aus dem Schmelzofen, nämlich aus Ägypten, geführt, dass ihr sein Erbvolk sein sollt, wie ihr es jetzt seid.“

Einschwörung: Back to the roots IDie Wüstenzeit ist vorüber und der Aufbruch ins versprochene Land steht kurz bevor. Zwischen den Zeiten ist die Aufregung groß. Im Nicht-Mehr und Noch-Nicht greift die Unsicherheit um sich. So ist es die Aufgabe des Anführers, Ruhe in die erhitzten Gemüter zu bringen.
Das macht Mose in einer weit ausholenden Rede, die doch zugleich das Wichtigste auf den Punkt bringt. Er erinnert das Volk an seine Wurzeln: Back to the Roots – so lautet sein Rezept für die Schwellenzeit.
Mose erinnert seine Glaubensbrüder und -schwestern daran, worauf sie ihr Vertrauen bauen dürfen: Sie sind das von Gott erwählte Volk, in Feuer und Wolke hat er sich ihnen gezeigt und am Gottesberg Horeb reich beschenkt. Und es ist gerade diese göttliche Gabe, die das Volk wappnet für seine lange ersehnte Zukunft. Gott schenkt seinem Volk sein Gesetz.
Eigenartig, gelten Gesetze und Gebote doch oft als Korsett der menschlichen Freiheit. Doch sind wir einmal ganz ehrlich zu uns: Ohne Regeln funktioniert das Zusammenleben auch nicht. Darum sind die Gebote ein zukunftsweisendes Geschenk, das Gott seinem Volk mit auf den Weg gibt.
Mose erinnert seine Glaubensgeschwister daran, worauf sie ihre Zukunft bauen dürfen. Gewappnet mit dem göttlichen Geschenk eröffnet sich den Israeliten eine vielversprechende Perspektive.

Ein Geschenk mit StrahlkraftDie zukünftige Gesellschaft erhält Regeln, die das Zusammenleben gelingen lassen und die ihr eine göttliche Ordnung verleihen. Und es ist eben diese großartige gelingende Gesellschaft, die weit über die Landesgrenzen hinweg ausstrahlt:
„Denn darin zeigt sich den Völkern eure Weisheit und euer Verstand. Wenn sie alle diese Gebote hören werden, dann müssen sie sagen: Was für weise und verständige Leute sind das, ein herrliches Volk!“ (V. 6b)
Unvorstellbar ist diese Perspektive in dieser Zeit zwischen den Zeiten.
Das wandernde Gottesvolk heute
Wir machen einen Sprung und landen im Heute. Wüsten sucht man in unseren Breitengraden vergebens. Zwar ist Wandern hier ein beliebter Freizeitsport, aber als Lebensmodell bevorzugen die meisten doch die Sesshaftigkeit. Und auch die Grenzen unseres Landes sind völkerrechtlich anerkannt. Wir leben heute in einer grundlegend anderen Lebenswirklichkeit als Moses Zeitgenossen, und doch leben auch wir zwischen den Zeiten.
Die politisch ausgerufenen Wenden sind zahllos: Energiewende, Verkehrswende, ja gar von Zeitenwende war im vergangenen Jahr die Rede. Wir können nicht weiterleben wie bisher. Wir sind gezwungen, uns umzustellen – wirtschaftlich, gesellschaftlich und kirchlich. Auch wir leben im Nicht-Mehr und Noch-Nicht.
Es ist insbesondere die kirchliche Zwischenzeit, die unheilvoll eine beängstigende Zukunft am Horizont aufziehen lässt: Scharenweise kehren die Menschen der Kirche den Rücken, Strukturreformen scheinen jeden sprießenden Ideenhalm im Keim zu ersticken, das Bekenntnis, Christ oder Christin zu sein, gibt einen oft der Lächerlichkeit preis.
Die strahlende Vergangenheit mit vollen Gemeindehäusern liegt hinter uns, florierende Ehrenamtsarbeit und die Zeit der großen Gemeindefeste gehören der Vergangenheit an. Es zeichnet sich eine Zukunft am Horizont ab, die eine kirchliche Brache für uns bereithält, in der Gotteshäuser verkauft und abgerissen werden und die verbleibenden Kirchen nur noch von wenigen Menschen besucht werden.
Kirchliche Zukunftsangst greift um sich, die christliche Zwischenzeit droht auf einen Abgrund zuzusteuern und ein prophetischer Anführer wie Mose ist nicht in Sicht.

Römer 11, 17–24So liegt es an uns, die mosaische Brille auf die Nase zu setzen, das verängstigte Kirchenvolk mit etwas Distanz zu beäugen und sich der Wurzeln zu besinnen. Es liegt heute an uns, unsere Glaubensbrüder und -schwestern daran zu erinnern, worauf wir unser Vertrauen bauen dürfen.
Hilfreich ist uns da der zweite Text, der diesem Sonntag zugeordnet ist: Im 11. Kapitel des Römerbriefs, denkt Paulus bilderreich über die Wurzeln seines Glaubens nach. Im Bild des Ölbaumes, in dessen Stamm neue Glaubenszweige eingepfropft wurden, denkt er über das Verhältnis der neuen und alten Religion nach. Das Verhältnis also zwischen dem Judentum und dem gerade im Entstehen begriffenen Christentum. Lange könnte man über dieses Bild nachsinnen und viel wäre über diese Verhältnisbestimmung, die Paulus da vornimmt, zu sagen.
Doch für unsere Gedanken heute, sei ein Vers herausgegriffen, der eine direkte Brücke schlägt, zu Mose: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Römer 11,18b)

Einschwörung: Back to the roots IIMahnend erinnert Paulus daran, dass es die althergebrachte Religion ist, auf der der neue christliche Glaube beruht. Entlastend ist diese Botschaft für uns heute, denn so wie Gott damals die Israeliten für die Zukunft gerüstet hat, so rüstet er auch uns für diese unsichere und beängstigende Zukunft.
So wird uns ein kurzer Satz Jesu zum entlastenden Rüstzeug: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Matthäus 18,20)
Darauf dürfen wir vertrauen. Es ist wunderbar, wenn der Betrieb in den Gemeindehäusern brummt. Es erfreut Herz und Gaumen, wenn viele Freiwillige ihr Bestes geben. Es ist eine Freude, wenn Ehrenamtliche ein brausendes Gemeindefest stemmen. Für uns Menschen ist das gesellige Beisammensein eine großartige Sache. Doch für Gott ist die Reduktion kein Problem! Ihm reichen zwei oder drei Menschen, die sich auf ihn besinnen und er, Jesus selbst, ist unter uns. Das ändert natürlich nichts daran, dass wir die quirlige Geselligkeit vermissen, aber von göttlicher Seite aus dürfen wir auf sein Versprechen vertrauen.

Unsere Wurzeln: Glaube, Liebe, HoffnungDort, wo Menschen ihr Herz gläubig an Jesus wenden, da ist er selbst.
Denn wer sich vertrauend an Jesus wendet, der verändert sich: Da wird der Feind plötzlich zum Menschen, der fühlt, leidet und verstrickt ist in den Widrigkeiten seines Lebens. Da wird die Natur von einer nutzbaren Ressource zu einem atemberaubenden Zeugnis göttlicher Schöpfungskraft. Da werde ich zu einem Wesen, das sich in einem göttlichen Plan eingeordnet weiß und beschenkt ist mit bedingungsloser Liebe. Dort, wo Menschen sich von Gottes Liebe anstecken lassen, da erhält die Kirche Strahlkraft über die dicken Kirchenmauern hinaus.
Und dieses Wissen um Gottes Liebe hat Folgen: Denn eigentlich ist die Zukunft immer ungewiss. Sie war es in der Vergangenheit, und sie wird es auch in Zukunft bleiben. Was da kommen mag, das weiß nur Gott und genau darin liegt die entlastende Botschaft Jesu: Unsere Zukunft liegt in Gottes Händen – eine hoffnungsvolle und entlastende Einsicht!
Denn über allem steht Jesu Versprechen: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Matthäus 28,20b)
Amen.

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