11. Sonntag nach Trinitatis (23. August 2020)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Kira Busch-Wagner, Karlsruhe [Kira.Busch-Wagner@kbz.ekiba.de]

Lukas 18, 9-14

IntentionEin Gleichnis, zumal ein bekanntes, spricht unmittelbar an. Dieses Gleichnis spricht ganz bestimmte Menschen an (V. 9) – wer will sich schon zu ihnen rechnen? Das Gleichnis ist hochaktuell – Rassismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit als Gestalten von Verachtung sind allgemein im Gespräch. Wie aber lässt sich Verachtung aktiv verlernen, ohne in eine neue Gestalt von Verachtung zu geraten. „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet“ (Röm 2,4) – zur Umkehr? Gottes Güte ist erfahrbar in der Schrift. Denn unversehens erweist der Zöllner sich, wenn nicht als Schriftgelehrter, so doch als einer, der der Schrift folgt. Der im Gespräch steht mit dem biblischen Wort.
Der nötigen Kürze in Coronazeiten mag entgegenkommen, dass die Predigt entwickelt ist als Gespräch mit dem biblischen Wort – sie sollte daher von mindestens zwei oder sogar bis zu vier SprecherInnen vorgetragen werden. Einige Satzzeichen sind gegenüber der Lutherübersetzung verändert.

18,9 Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:
10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
11 Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner.
12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.
13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Überzeugt von sich – Verachtung für andere?"Jesus sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die anderen, dies Gleichnis:"

Jesus erzählt ein Gleichnis. Und zwar bestimmten Leuten. Nämlich solchen, die von sich überzeugt sind. Überzeugt, gerecht zu sein. Und zugleich andere verachten.

Von sich selbst überzeugt zu sein, ist ja in Ordnung. Andere zu verachten allerdings nicht.
Ich sollte ja auch überzeugt sein von mir selbst. Von der Richtigkeit meines Tuns.
Natürlich soll ich nicht verachten. Nicht in der Gestalt von Rassismus. Und nicht in der Gestalt von Frauenfeindlichkeit. Nicht in der Gestalt von Homophobie.

Über Rassismus diskutiere ich mit meiner Tochter. Sie erzählt von der Irritation ihrer amerikanischen Freunde über die Berliner Mohrenstraße. Doch warum – frage ich – sollte der historische Verweis auf Mauren, Menschen aus Afrika, rassistisch sein? Es ist keine Verachtung. Meine Tochter aber setzt sich ein für eine Veränderung des Namens. Wir sind unterschiedlicher Meinung. Ich meine, es kommt auf den Zusammenhang an. Es gibt Worte, die werden von manchen verachtend verwendet. „Opfer“ ist so ein Wort. Oder „Jude“. Oder „Pharisäer“. Die Verwendung ist schlimm wegen der Verachtung. Nicht das Wort an sich.

Gut. Aber Jesus redet mit Leuten, die von sich selbst überzeugt sind und andere verachten. Ich mache das nicht. Oder doch? Nämlich gerade, indem ich meine, es besser zu wissen? Ich bin ratlos.

Wir drehen uns im Kreis. Was sagt denn nun Jesus?

Zwei Menschen, zwei Leben"Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten."

Zwei jüdische Menschen gehen in Jerusalem hinauf zum Tempel. Zum Gebet. Ein Gebet ist wie ein Opfer. Ein Opfer vor Gott. Ein Kommen zu Gott. Zwei Menschen suchen das Gespräch mit Gott.

"Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner."

Zwei sehr unterschiedliche Menschen. Zöllner gelten als Halsabschneider. Viele machen ihr Vermögen durch Druck auf die Bevölkerung. Auf Händler, Marktfrauen, Geschäftsleute.
Die Zöllner stehen im Ruf auszubeuten. Alle, denen Jesus das Gleichnis erzählt, kennen üble Geschichten zu Zollstationen und Zöllnern.

Alle, denen Jesus das Gleichnis erzählt, kennen Pharisäer. Manche der Zuhörer sind selbst welche. In den schrecklichen Zeiten römischer Besatzung tragen die Pharisäer die Religion unters Volk. Und vermitteln: Jede und jeder kann beitragen zur Heiligkeit. Mit dem Essen. Mit dem Schabbat. Mit der Kenntnis der Schrift. Jeder trägt bei zur Heiligung. Nicht nur die Priester. Die Pharisäer sind überzeugt von dem, was sie tun. Und manche verachten tatsächlich andere, die ein Leben mit Gott nicht ernst nehmen.

"Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst. So:
Ich danke dir Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute: Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner.
Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme."

Ja. Nicht nur in Corona-Zeiten kann man wirklich danken, wenn es einem gut geht. Dass man es schafft, nicht abzurutschen. Dass Eltern und Geschwister und Freunde dabei helfen. Es ist ein Glück, noch selbst geben zu können und nicht selbst angewiesen zu sein auf andere.

Ich bin auch froh, dass ich nicht abgerutscht bin in problematische Kreise. Ich bin froh, dass mein Freundeskreis mich gehalten hat. Dass Alkohol oder Drogen dort nicht wichtig waren. Dass wir Herausforderungen begegneten, die uns weiterbrachten und nicht zerstörten.
Ich bin froh, gehalten zu sein. Ich bin froh, dass ich anderen Halt geben kann.

Muss sich ein glücklicher, selbstbewusster Mensch aber unbedingt absetzen von andern? Muss er sich wichtiger fühlen? Und vor allem richtiger? Was weiß er denn von dem Zöllner? Was bekommt er von ihm mit? Er kennt den Zöllner doch überhaupt nicht. Warum nennt er nicht Taten schlecht, sondern Menschen? Als wenn jemand allein daraus bestünde zu rauben, zu stehlen oder eine Ehe zu zerstören. Als wenn jemand allein durch ein Unrecht definiert würde. Taten sind falsch und unrecht, aber nicht die Menschen.

"Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel. Sondern schlug an seine Brust. Und sprach: Gott sei mir Sünder gnädig."

Auch er geht in den Tempel. Es kostete ihn Kraft. Er kann sozusagen Gott kaum in die Augen schauen. Der Zöllner ist ein Mensch mit großem Schamgefühl. Mit großem Schuldbewusstsein.
Wer weiß, was er gemacht hat! Geht es um seinen Zoll? Oder um noch ganz anderes? Es muss ihn sehr belasten.

Gut, dass er sich zu Gott wagt. Gut, dass er so viel Gottvertrauen hat. Er zieht sich nicht aus der Affäre. Er beschönigt nicht. Er redet nicht drum herum. Er geht wohl davon aus, dass Gott durchaus weiß, was er getan hat. Dass Gott weiß, was ihm auf der Seele liegt. So wie es im Psalm heißt (139,2): „Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es. Du verstehst meine Gedanken von ferne.“ Und dann am Ende (139,23f): „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine. Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.“

Er schlägt sich an die Brust. Sitzt da der Schmerz? Verdammt ihn das eigene Herz, sein Wissen um sich selbst (vgl. 1. Johannes 3,20). In der katholischen Liturgie wurde die Gebärde übernommen. Beim Schuldbekenntnis führen Menschen die geschlossene Faust an die Brust: mea culpa, meine Schuld. Die Liturgie lädt ein, vom Zöllner zu lernen und seiner Spur zu folgen.

„Gott, sei mir Sünder gnädig.“ Vielleicht denkt der Zöllner an das fast wortgleiche Gebet Psalm 51, das dem König David zugeschrieben wird. Bei Davids Schuld geht es um Auftragsmord nach Ehebruch. David missbraucht seine Stellung und Gutgläubigkeit eines Untergebenen Ob der Zöllner ähnliches gemacht hat? Ob er sich einfach Davids Gebetsworte aneignet? Im Psalm erfährt der Beter eine Wendung. Er ist getragen vom Vertrauen, dass Gott ihm gnädig ist. Gott selbst nimmt die Schuld weg. Tilgt die Missetat. Schafft ein reines Herz. Gibt einen neuen, beständigen Geist. Der Beter kann wieder fröhlich sein. Er wird zum Zeugen der Freundlichkeit Gottes. So ist es bei David. Warum sollte es beim bußfertigen Zöllner anders sein?

"Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt in sein Haus, nicht jener."

Vor Gott endlich auf AugenhöheDie Geschichte kommt mir vor, als sage sie: Lass Gottes Gnade eine Chance. Sie ist da. Sie wirbt um dich. Du musst nicht groß auf dich selbst verweisen. Mit einem Psalmvers (18,20) könnte man sagen: „Gott hat doch Lust zu dir. Er führt dich hinaus ins Weite.“
Gott will dich. Er sagt Ja zu dir. Du darfst leben! Gib Gottes Freundlichkeit eine Chance.

"Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden."

Dem Evangelisten Lukas, der dieses Gleichnis als einziger Evangelist erzählt, geht es immer wieder um den Ausgleich. Schon im Lobgesang – noch vor der Geburt Jesu – singt Maria im Lukasevangelium: „Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern. Und lässt die Reichen leer ausgehen“ (Lukas 1,51f).
Weil Gott den einen erhöht und den andern erniedrigt, können sie sich endlich begegnen auf Augenhöhe. Pharisäer und Zöllner. Mächtige und Machtlose. Hochstehende und Unterprivilegierte. Weil Gott die Hungrigen mit Gütern füllt und die Reichen ruft und besucht (Lukas 19,5–10), begegnen sich beide auf Augenhöhe. Weil Gott dem Gerechten den Gerechtfertigten zur Seite stellt, sind sie endlich beieinander in Gemeinschaft vor Gott. In der kommenden Welt und schon jetzt. Im Reich Gottes (vgl. Lukas 18,16f).
Amen.

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