11. Sonntag nach Trinitatis (31. August 2025)
Hiob 23,1-17
IntentionIch möchte mich der tiefen Verzweiflung, die in der Perikope zum Ausdruck kommt, stellen. Die Predigt hält aus und gibt der Klage Raum. Klage kann, darf und muss mitunter sein. Sie trägt ihren Wert und ihren Sinn in sich selbst und ist nicht nur von ihrer Überwindung her zu betrachten.
Ich habe mich für Alexander Fischers Übersetzung entschieden, weil sie gut verständlich ist und aufgrund der für mich überzeugenden anderen Lesart in Vers 17 anschaulich macht, dass Gott und sein Angesicht als finster erlebt wird.
IntroLiebe Gemeinde, es ist keine leichte Kost, die uns heute mit dem vorgesehenen Predigttext aus Hiob 23 gegeben wird. Es gibt diese Zumutungen, schwere Belastungen, die sich nicht auflösen. Manchmal erscheint eine dunkle Wegstrecke einfach nur lang und ausweglos. Ratschläge, und seien sie noch so gut gemeint, oder (ver)tröstende Zwischenrufe sind keine Hilfe. Dunkles und Schweres auszuhalten und kein Ende zu sehen ist hart. Und von außen ist es hart, nur da zu sein, auszuhalten, das Schwere stehen und gelten zu lassen. Sich nicht hinreißen lassen aufzulösen, zu erklären, zu trösten, sondern einfach schweigend da zu sein. Hiobs Freunde – wir haben Elifas Worte in der Schriftlesung gehört – haben das nicht geschafft. Hört, was Hiob seinen Freunden antwortet:
Ach könnte ich ihn finden!Predigttext (Übersetzung von Dr. Alexander Fischer: Hiob 23,1-17 | 11. Sonntag nach Trinitatis | 31.08.2025 - www.die-bibel.de, abgerufen am 01.08.2025):
Hiob antwortete und sagte:
2 Auch jetzt besteht meine Klage im Widerspruch,
seine Hand lastet schwer auf meinem Seufzen.
3 Ach, wenn ich nur wüsste, wo ich ihn finden könnte,
sodass ich zu seinem Richterthron gelangen könnte!
4 Ich würde meinen Rechtsfall vor sein Angesicht bringen
und ihm die Gründe nennen, die mich entlasten.
5 Ich würde die Worte erfahren, die er mir antwortet,
und darauf achten, was er mir zu sagen hat.
6 Würde er dann mit ganzer Härte mit mir streiten?
Nein! Er würde Rücksicht auf mich nehmen.
7 Dort könnte einer aufrichtig mit ihm streiten,
und ich für immer mein Recht durchsetzen.
8 Doch wenn ich nach Osten gehe, ist er nicht da,
und nach Westen, bemerke ich ihn nicht.
9 Wirkt er im Norden, nehme ich ihn nicht wahr.
Verbirgt er sich im Süden, sehe ich ihn nicht.
10 Er aber kennt den Weg, auf dem ich bin.
Prüft er mich, gehe ich wie reines Gold hervor.
11 Denn mein Fuß hielt sich auf seiner Bahn,
ich blieb auf seinem Weg und bog nicht ab.
12 Vom Gebot seiner Lippen bin ich nicht abgewichen,
die Weisungen seines Mundes bewahrte ich im Herzen.
13 Hat er etwas beschlossen, wer kann es verhindern?
Hat er sich für etwas entschieden, führt er es aus.
14 Auch mit mir tut er, was er bestimmt hat.
Und vieles mehr hat er mit mir im Sinn.
15 Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht.
Wenn ich nur daran denke, macht er mir Angst.
16 Gott ließ mein Herz verzagen,
der Allmächtige hat mich in Schrecken versetzt.
17 Dennoch verstumme ich nicht vor der Finsternis,
vor seinem Angesicht, das Dunkelheit bedeckt.
Leben als ZumutungRegelmäßig spreche ich mit ihm. Seit über 35 Jahren. 67 Jahre alt ist er. Ein Jungrentner. Nur ist er schon seit beinahe 40 Jahren Rentner. Seine Krankheit ist sein ständiger Begleiter. Er lebt mit ihr und hat sich notgedrungen mit ihr arrangiert. Er wird wohl mit ihr sterben. So ist das eben. Dieses Leben. Die Kindheit war schwierig. Ein gewalttätiger Vater. Eine Mutter, die den Mut hat, sich von dem Vater ihrer Kinder zu trennen und neu zu beginnen. Ein steiniger und harter Weg, der allen alles abverlangt. Immerhin ein Weg ins Leben. Und Schmerz, der bleibt.
Was bringt die Zukunft? Er möchte nicht alleine alt werden. Er möchte nicht alleine sterben. Freunde hat er zwar, auch gute, aber doch lebt er allein, und das ist manchmal so mühsam, so unendlich mühsam. Die Einsamkeit schmerzt. Immer muss er sich selbst motivieren, selbst Initiative ergreifen.
Der Mann erzählt mir, wie er in all dem Gott erlebt. Gott gehört zu seinem Leben – in schillernden Facetten. Mal freundlich, mütterlich, väterlich, freundschaftlich im besten Sinne. Mal hart und unerbittlich. Hell und dunkel, nicht zu finden und wie ein Verfolger hinter ihm her – diese Gegensätze gehören zu seiner Gotteserfahrung. Er ist froh, darüber sprechen zu können.
Hiob als GesprächspartnerHiob stellt sich zur Verfügung: Ihm, dem sein Leben mehr Last als Freude ist und der in Hiob einen Verbündeten gefunden hat, der ihn nicht anklagt. Ihr, die sich in Hiobs Worten wiederfindet. Uns, wenn uns Gott weit weg erscheint. Hiob leiht uns seine Gedanken und Worte.
Schon Hiobs Name ist Programm: „Wo ist der (göttliche) Vater?“ Im Hebräischen klingen Hiob und „Feind“ ganz ähnlich. Es gibt Zeiten, da erlebt Hiob Gott als Feind. Vom „lieben“ Gott kann Hiob nicht sprechen. Zu brutal zeigt sich die Wirklichkeit mit ihren Zumutungen. Hiob sieht Gott in der Verantwortung. So bleibt ihm die Klage. Heute adressiert er sie nicht direkt an Gott. Er findet nicht zum „Du“. Nein, er braucht den Abstand. Er spricht zu seinen Freunden über Gott. Nur so kann er aussprechen, was ihn plagt. Über Gott kann er reden. All den Schmerz, die Ratlosigkeit, die Hilflosigkeit in Worte zu fassen. Welch ein Kraftakt!
Gott ist so entsetzlich fern. Nicht zu sehen. Nicht zu spüren. Nicht zu finden. Er scheint sich zu verstecken und hat vielleicht noch Freude daran. Wieso zeigt er sich nicht? Es heißt doch, dass er alles weiß und sieht. Er müsste also wissen, wie sehr ich seine Nähe herbeiwünsche, scheint Hiob zu sagen.
Ich fühle mich nicht schuldig. Niemandem habe ich Schaden zugefügt. Mein Leben lang bin ich auf der Suche nach Gottes Nähe.
Es scheint Gott egal zu sein. Er kann machen, was er will, der Allmächtige, und ich muss es ausbaden. Er hat alles vorherbestimmt. Grausam erscheint mir das, denn so kann ich mein Schicksal nicht ändern, bin diesem Ratschluss hilflos ausgeliefert. Werde ich noch einmal bessere Tage sehen? Ich weiß es nicht. Und Gott? Interessiert ihn, wie sehr ich leide? Ach, könnte ich ihn hören! Wie sehr wünschte ich mir Gottes Fürsorge, bergende mütterlich-väterliche Hände. Stattdessen Leere. Tiefer Abgrund. Und da ist kein Halt.
Gut begründete EinwändeGott ist gut, haben Hiobs Freunde gesagt. Sagen Menschen, die an Gott glauben. Gott ist gut – wie oft sage ich das. Er muss gut sein, sonst würde alles gar keinen Sinn ergeben. Ja, er ist gerecht. Und barmherzig, voller Liebe. Es müssen die Menschen sein, die immer wieder das Gute torpedieren. Wenn sie doch endlich zur Einsicht kämen und ihre bösen Wege verlassen würden.
So wiederholen sich die Freunde Hiobs: Kehr um! Bitte um Vergebung! Sei doch nicht so stolz! Es kann gar nicht sein, dass Gott nicht hört, wenn Du nur inständig genug bittest.
Gott möchte nur das Beste für Dich und für alle. Du wirst schon noch sehen, dass alles gut wird.
StoppAber Hiob widerspricht und der Mann, von dem ich erzählt habe, widerspricht: Es reicht! Ich kann das nicht mehr hören. Kein Wort mehr von Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Wo ist Gottes Angesicht, das mich freundlich anblickt? Ich erkenne es nicht. Ich sehe nur Dunkelheit. Gott ist mir unheimlich. Angst und Schrecken umgeben mich.
Und jetzt? Klage!Ich lese von Hiob und kenne viele Lebensgeschichten. Was soll ich sagen? Hiob lehrt mich das Schweigen. Das Dranbleiben: Gedanken, Gefühle ernst zu nehmen und schrittweise anzunehmen. Hiob hat recht. Er spricht aus, was in ihm ist, und redet niemandem nach dem Mund. Er hat den Mut, ehrlich zu sein. Er klagt. Er klagt an. Nein, es ist nicht alles gut. Vielleicht könnte alles gut sein. Aber es ist nicht alles gut. Ob alles gut wird? Ich weiß es nicht. Ich hoffe es.
Gibt es Grund zur Hoffnung?
Ich lese von Hiob und denke an meinen Gesprächspartner. Mir scheint: Vielleicht gibt es eine leise Hoffnung: Dass niemand mir meine Wirklichkeit erklärt oder umdeutet. Dass niemand mir seine oder ihre Hoffnung überstülpt – zur Unzeit.
Eine leise Hoffnung, dass jemand mich ernstnimmt. Nicht auslacht. Nicht in eine Schublade steckt. Nicht verurteilt.
Dass ich klagen darf, wenn ich und solange ich meinen Zustand beklagenswert finde. Und solange Gott mir fremd ist und sich, allem Flehen zum Trotz, nicht zeigt.
„Ach, wenn ich nur wüsste, wo ich ihn finden könnte, sodass ich zu seinem Richterthron gelangen könnte!“ (Hiob 23,3)
Mir würde helfen, wenn ich wüsste: Da gibt es wenigstens jemanden, wo ich hin kann. Wo ich anrufen kann. Jetzt oder später. Morgen oder übermorgen. Notfalls auch mitten in der Nacht. Wenn Angst über mich kommt. Und ich nicht wissen kann, ob auf die Nacht ein guter Morgen kommt. Dann dringt meine Klage dringt durch die Stille der Nacht. Die dicksten Mauern hallen wider von ihrem Echo. Ich darf klagen.
Und heute höre ich, hören wir:
Ja, du darfst klagen. Und ja, es gibt Grund zu klagen. Es gibt wahrlich genug Grund zu klagen. Gott sei es geklagt.
Vielleicht jetzt in der Stille, wenn es denn möglich ist.
STILLE
Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr;
fremd wie dein Name sind mir deine Wege.
Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott;
mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen?
Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?
Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen.
So singen wir betend dieses Lied (EG 382).
Ich habe eine Predigtmeditation zu dieser Perikope verfasst und dort die Literatur, der ich wichtige Gedanken entnommen habe, aufgeführt.
PmWue_Reihe_I__2025__11._Sonntag_nach_Trinitatis_Hiob_231-17_Wessel_Anja.pdf
Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)