12. Sonntag nach Trinitatis (14. August 2016)

Autorin / Autor:
Pfarrer Thomas Oesterle, Schorndorf [thomas.oesterle@elkw.de]

Apostelgeschichte 9, 1-20

Liebe Gemeinde,
wie ein Mensch vom Verfolger zum Verfolgten wird, vom Hasser zum Heiligen, vom Peiniger zum Prediger, vom Lästerer zum Liebesverkünder – davon handelt diese Predigt.

Wie eine Existenz gewandelt wird, wie einer sich ein anderes Herz fasst, wie einer ein neuer Mensch wird – davon handelt diese Predigt.

Wie eine Revolution sich im Kopf eines Einzelnen ereignet, eine Rebellion in der Seele, ein Umsturz des Gottesgedankens, und wie die Geschichte dieser Wandlung zum Wandel der Geschichte führt – davon handelt diese Predigt.

Die heutige Predigt handelt davon, wie vor Damaskus aus Saulus ein Paulus wird.

Hören wir zunächst was die Bibel davon berichtet: (Apostelgeschichte 9, 1-20)
„Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe.
Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?
Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst.
Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.
Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden.
Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.
Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach: Hananias! Und er sprach: Hier bin ich, Herr.
Der Herr sprach zu ihm: Steh auf und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen mit Namen Hananias, der zu ihm hereinkam und die Hand auf ihn legte, damit er wieder sehend werde.
Hananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, wie viel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat; und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangen zu nehmen, die deinen Namen anrufen.
Doch der Herr sprach zu ihm: Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel.
Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen.
Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werdest.
Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte sich. Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus.
Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.“

Anrede und InanspruchnahmeLiebe Gemeinde, lassen Sie uns gemeinsam der Beschreibung dieser Bekehrung ein wenig entlanggehen, um einiges daran zu entdecken.

„Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden wider die Jünger des Herrn“
– was für ein Einstieg. Saulus will das junge Christentum vernichten, er will diese kleine Gruppe beseitigen, dazu schnaubt er mit Drohen und Morden, – man kann sich die Raserei richtig vorstellen. Paulus tut das aus zweierlei Gründen:
Einerseits, weil die Jünger einen Gekreuzigten, also einen Gescheiterten, als Retter der Welt anbeteten – eine pure Gotteslästerung in den Augen des Saulus.
Andererseits, weil Saulus das Gesetz auf Punkt und Komma beachtete, und es für ihn völlig undenkbar war, was die Jünger von ihrem Herrn verkündigten: Nämlich, dass Jesus eben für die Sünder gekommen sei nicht für die Frommen, dass er Huren und Zöllnern Vergebung zugesprochen –, für die innerlich Kranken gelebt habe. Saulus war eine fromme und gesetzliche Seele und überzeugt, Gott könne nur wegen Menschen, die so sind wie er, auf die Erde kommen.

Deshalb verfolgte Saulus diese Christen, ja, er ließ sich Vollmachten geben, um sie auch in weit entfernten Städten, wo es nur eine Handvoll Christen geben konnte, gefangen zu setzen. Saulus ist in seinem Eifer Christen zu beseitigen, Vorbild für totalitäre Staaten, in denen bis heute Christen verfolgt werden.

Plötzlich erscheint ein Licht, Saulus fällt auf die Erde und hört eine Stimme, die ihn fragt: "Saul, Saul, was verfolgst du mich?"
Das Entscheidende der Geschichte geschieht plötzlich, in einem Augenblick! Saulus wird erst kurz vor den Toren von Damaskus abgefangen. Ein Theologe hat dazu geschrieben: "Christus, also der, den Saulus hasst, und in seiner Gemeinde verfolgt, dieser Christus stellt ihn. Christus verwundet diesen Löwen mitten im Sprung. Und er verwundet ihn auf den Tod."

Saulus sieht ein helles Licht. Er wird tagelang blind bleiben. Als er wieder vom Boden aufstehen kann und die Augen öffnet, sieht er nichts. Das mag daran liegen, dass derjenige Mensch, der die Macht Gottes zu sehen bekommt, blind wird für die Dinge dieser Welt. Er kann nur noch dieses Licht der Wahrheit sehen, aber für das vergängliche Etwas um ihn herum, dafür haben seine Augen den Blick verloren. Gott hat ja das Sein alles Geschaffenen in sich. Wer deshalb Gott sieht, erkennt, dass die Kreaturen für sich genommen ein Nichts sind. Wer also wie Saulus Gott erkennt, blickt nur noch auf das Wesentliche und verliert die Augen für die Dinge dieser Welt.

Doch nun fragt Paulus zurück, denn noch kann er sein Geblendet-Sein nicht deuten:
„Herr wer bist du?“ – Liebe Gemeinde, "Herr, wer bist du?" – was für eine elementare Frage! Der bis in Innerste von Gott Getroffene fragt so, weil er spürt, dass ihn da etwas anrührt, was größer ist als alle Definitionen und Beschreibungen, die er in seinem Leben gelernt hat. "Herr, wer bist du?" Das ist eine Menschheitsfrage, keiner kann ihr entgehen, entweder er stellt sie selbst oder gerät in eine Lage, in der sich ihm diese Frage aufdrängt.

Was als Antwort folgt, ist kurz und prägnant. Derjenige, der Paulus aus dem Gleichgewicht gebracht hat, stellt sich vor und ergreift zugleich Besitz von diesem Leben. Nur kurz und knapp kommt das: "Ich bin Jesus, den du verfolgst" Aber ausführlicher und so, dass man ahnt, wie vieles da nun noch folgen wird, lautet die nächste Anweisung:
„Stehe auf,
gehe in die Stadt,
da wird man dir sagen
was du tun sollst.“
Ganz selbstverständlich nimmt Christus dieses Leben in Anspruch, verplant es sozusagen. Wir Heutigen mit unserem Drang nach Freiheit und Ungebundenheit, uns – denen schon die Mitgliedschaft in einem Verein oder einer Partei, und noch viel mehr die Teilnahme am Gemeindeleben unserer Kirche zu viel ist, uns mag dieser Vorgang ängstigen. So wollen wir nicht beansprucht werden, und doch will Gott uns mit dieser Radikalität ergreifen. Doch davon nachher noch mehr.

Ermutigung zur teuren AntwortDer Rest ist schnell erklärt. Gott sendet einen der Seinen zu diesem Saulus, der wie in einer Todesstarre am Boden liegt, "er sah nicht, er aß nicht – und trank nicht". Zwar diskutiert Ananias noch mit seinem Gott, nennt gute Gründe dafür, dass sein Herr sich da doch wohl den Falschen ausgesucht hat! Aber letztlich beugt auch er sich dem Plan des ewigen Gottes. Paulus wird durch Ananias wieder sehend, er kann sich wieder der Welt zuwenden, denn nun hat er seinen Auftrag zu erfüllen.

Paulus ist in diesen Tagen durch ein Sterben gegangen. Er war ganz am Ende. In seinen Briefen wird später nachschwingen, welches Mal ihm Christus in diesen Stunden eingebrannt hat. Er hat mit Christus und an Christus ein Sterben erfahren. Aber es war ein Sterben zum Leben. Derselbe Christus der ihn hatte an seinem verblendeten Hass scheitern lassen, der richtet ihn auf zu einem neuen Leben in dem er als Apostel wirken soll.

Soweit die Bekehrungsgeschichte des Paulus. Doch ich will in dieser Predigt nicht nur von einer faszinierenden Gestalt der Geschichte reden. An Paulus erleben wir: Sein Schicksal handelt auch von uns, von uns und unserem tief verborgenen, oder auch vulkanisch ausbrechenden Wunsch, der da lautet: "Du musst dein Leben ändern“, oder: „Fang‘ ein neues Leben an."

Ein Damaskuserlebnis! Das ist nicht nur ein Wort für etwas Vergangenes, es ist zugleich eine Chiffre für Heutiges. Damaskus, das ist der Geizhals, der plötzlich zum Wohltäter wird, der Machtmensch, der in die Knie sinkt, der Reiche, der bedürfnislos zu leben beginnt, das ist die `Grande Dame', die Pflegerin in einem Armenspital wird. Damaskus, das ist aber auch der Mönch, der die Soutane ablegt, und zu neuer Freiheit findet. Das ist die charismatische Führungsfigur, die sich auf die Seite der Unterdrückten schlägt.
Damaskus, das heißt: Da kniet sich einer hinein in seine zweite neugewordene Existenz. Der jüdische Gelehrte Leo Baeck hat dazu einmal geschrieben: "Ein Grieche, der eine solche Vision erlebt, würde darüber nachgedacht und gegrübelt –, oder geredet und geschrieben haben. Er würde nicht den jüdischen Befehl gehört haben: ‚Geh – du sollst gehen‘. Der Grieche hatte keinen Gott, der ihn für sich in Anspruch nahm und ihn als seinen Boten aussandte. Nur der Jude war sich immer dessen bewusst, dass eine Offenbarung eine Sendung enthält, so dass die sofortige Bereitschaft, den Weg zu gehen, das erste Zeugnis und Zeichen des Glaubens ist."(1) Saulus der fromme Jude, versteht die Offenbarung Gottes also recht. Und wir heutigen Christen, die wir ja jüdische Wurzeln für unseren Glauben haben, lassen wir uns noch in dieser Weise in die Nachfolge rufen? Sind wir bereit umzukehren?

Dietrich Bonhoeffer hat 1937 in einer Zeit, als es der Kirche an aufrechten Nachfolgern Jesu mangelte, ein Buch geschrieben mit dem Titel: "Nachfolge". Er hat am Eingang dieses Buches eine vehemente Unterscheidung eingeführt. Bonhoeffer unterscheidet zwischen "billiger und teurer Gnade".

Billige Gnade, die den Menschen nachgeworfen wird, ohne dass sie sich wirklich einsetzen müssen, bezeichnet Bonhoeffer als den Todfeind unserer Kirche. Billige Gnade, das heißt, die Sünde zu rechtfertigen, aber nicht den Sünder. Dagegen steht die teure Gnade. Teure Gnade, das ist der Schatz im Acker, um dessentwillen der Mensch mit Freuden hingeht und alles verkauft, teure Gnade ist die wunderschöne Perle, um derentwillen ein Kaufmann seine ganzen Güter drangibt. Teuer ist diese Gnade, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Christi ruft. Teuer ist sie, weil sie den Menschen das Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt. Teuer ist die Gnade, weil sie die Sünde verdammt, Gnade ist sie, weil sie den Sünder rechtfertigt. Teuer ist die Gnade vor allem, weil sie Gott teuer geworden ist, weil sie das Leben seines Sohnes gekostet hat, und weil uns nicht billig sein kann, was Gott teuer geworden ist. In diese teure Gnade ruft uns Christus hinein.

Jetzt, am Ende der Predigt, will ich nochmals auf ihren Beginn zurückkommen. Ich habe gesagt, diese Predigt würde davon handeln, wie ein Leben verwandelt wird. Doch es sollte in dieser Predigt nicht darum gehen, das Leben eines Anderen wie ein schönes Historienspiel anzusehen, aber sich selbst herauszuhalten. Es geht darum, dass unser Leben sich verändert, weil die Gnade, die Gott uns schenkt, eine teure Gnade ist. Unser Leben, wenn es von Gottes Liebe erfasst wird, kann nicht einfach so weitergehen wie es war. Unser Leben soll sich verändern, das ist der Preis den die teure Gnade uns abfordert.

Wir alle, die wir heute in dieser Kirche sind, weil wir von diesem Jesus Christus und seiner teuren Gnade nicht loskommen, wir alle bekennen deshalb froh: Gott ist meiner mächtig geworden, gestern und heute und morgen – trotz meiner Untreue. Und so wird Gott eines jeden Menschen mächtig werden, wenn seine Stunde kommen wird, er hat es ja auch beim Verfolger Saulus geschafft. Dann wird sich jedes Knie vor ihm beugen und jede Zunge ihn bekennen. Bis dahin wollen wir ihn vor den Menschen mit unseren oft so zaghaften Zungen bekennen, und vor seinem Gebot der Nächstenliebe unsere Knie beugen. Das will jenes neue Leben von uns, zu dem wir umgekehrt sind. Amen.

Anmerkung: 1 Zitiert nach: Dieter Hildebrandt, Saulus–Paulus , ein Doppelleben, München 1989 S. 77.

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