14. Sonntag nach Trinitatis (28. August 2016)

Autorin / Autor:
Pfarrer Prof. Dr. Klaus Müller, Karlsruhe [klaus.mueller@ekiba.de]

Römer 8, 12-17

Liebe Gemeinde!
In den Sonntagen nach dem Fest der Dreieinigkeit Gottes haben wir Zeit genug, nach dem geistlichen Gewinn zu fragen, den wir aus der Offenbarung Gottes in Jesus Christus ziehen.
Die Antwort heute, ganz elementar und einfach: Kindschaft! Gotteskindschaft! Sie ist der erste überragende Gewinn, der uns aus dem Kommen des Christus in der Kraft des Heiligen Geistes zuströmt. Die Logik ist einfach: Wenn der Gottessohn zum Menschenbruder wird, dann sind damit die Menschenbrüder und -schwestern zu Gotteskindern erhoben. Gottessohn – Menschenbruder – Gotteskinder. Das ist die heilsame Logik post Trinitatis. Immer wieder sonntags gibt es dies zu bedenken.
Lassen wir also heute einmal die meistens doch problematische Frage zu: „Was haben wir davon?“ Das haben wir davon, dass wir Kinder Gottes heißen und es auch sind. Was haben wir an Gott, wie er uns in der Bibel verkündigt wird? Der Apostel ruft den Christinnen und Christen in Rom zu: „Ihr seid Gotteskinder.“ „Und der Geist, den Gott euch gegeben hat, ist nicht ein Sklavengeist, so dass ihr wie früher in Angst leben müsstet. Es ist der Geist, den ihr als seine Söhne und Töchter, als seine Kinder, habt.“

„Abba“ lehrt betenVon diesem Geist erfüllt rufen wir zu Gott: „Abba!“ – „Abba“ ist ein Wort aus der aramäischen Muttersprache Jesu. Eines der ganz wenigen Worte, die aus der Muttersprache Jesu sich bis in die deutsche Bibelübersetzung hinein erhalten haben – dann muss es wichtig genug sein. Abba, lieber Vater. Mit diesem Ausdruck der Nähe und des Vertrauens hebt jenes Gebet an, das Jesus lehrte und das als das „Vater unser“ das Beten der weltweiten Kirche zusammenfasst.

In diesem Geiste sollten wir immer wieder unsere Vorstellungen von Gott prüfen. Was wir von Gott sagen und bekennen, kreist entscheidend um dieses: Er ist unser Vater – wir seine Kinder. Geist der Kindschaft. Wenn es darum geht, dann braucht man also keinen theologisch geschulten Geist, um dahinter zu kommen, dann braucht man den Geist, wie Kinder ihn haben. Ja, dann braucht man die Art, wie Kinder sie haben, wenn sie sprechen und beten, um das Grundwichtige hier zu verstehen.

Im Geist Kind sein dürfen„Geist, wie Kinder ihn haben“. Mir stockte immer wieder der Atem, wenn sich mein kleiner Sohn Jonathan so mit 4 oder 5 Jahren oben an die Treppe im Pfarrhaus stellte und sich dann – wenn ich davor stand – aus fünf, sechs Stufen Höhe mir voll in die Arme fallen ließ. „Papaaaa!!“ Es blieb mir überhaupt nichts anderes übrig, als meine Arme auszubreiten und ihn mit letzter Kraftanstrengung aufzufangen. „Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!“

Von Gott kindlich redenLiebe Gemeinde, ich möchte euch heute zurufen: Habt Mut, vor Gott Kind zu sein! Vor den Menschen, da sollen wir Schwestern und Brüder sein – vor Gott aber Kind. Habt wieder Mut, ganz persönlich und naiv von Gott zu reden. Sagt nicht: „Das ist doch kindisch!“ Es ist nicht kindisch, es ist in guter Weise kindlich, es ist genau die Art, die Jesus pries und die er selbst lebte; es ist die Art, die Paulus meint: Du musst dich nicht von all dem, was in unserer Welt Furcht einflößt und einen herunterzieht, kaputtmachen lassen. Du kannst wissen, da ist einer, der hält für dich die Arme auf, der kennt dich, und der ist bei dir. Und Beten, so verstanden, heißt: Ich darf wie ein Kind seine offenen Arme in Anspruch nehmen, meinen vergangenen Tag, meinen kommenden Tag in seine Hände legen und seinen Armen, die mich halten, vertrauen: dass nicht all die bösen Geister der Furcht und der Knechtschaft mich bestimmen, sondern sein guter Geist, der kindliche Geist, der mich Abba sagen lässt, lieber Vater, unser Vater.

Vom Mut erwachsen zu werdenAus Kindern werden Erwachsene. Mündige, verantwortliche Personen. Aus Kindern werden Erben, sagt der Apostel, und sie sind es schon qua Kindschaft. Dabei wird es darauf ankommen, sich auch als Erben das Kindsein zu bewahren. Doch dieses Kindsein vor Gott wird reifen dürfen und auch müssen. Es wird dann auch die Gestalt einer verantwortlichen Übernahme dessen annehmen, was Gott weiterzugeben hat: Sein Ein und Alles. Sein wirkkräftiges Wort der Versöhnung aller Welt. Dem wir da kindlich in die Arme gefallen sind, der wird uns auch etwas auf die Schulter legen, das wir zu tragen haben und weiterzutragen in seine Welt.

Wohin Gottes Geist uns treibtDie Beziehung, in die Gott uns durch seinen Geist zu ihm stellt, ist eine uns befreiende Beziehung, die für unser Leben nicht ohne Folgen und Taten bleiben kann. Wir sind gefragt, welcher "Geist" uns "treibt" oder "umtreibt", wessen Geistes Kinder wir sind. Ist es Gottes Geist, der im Leben und Wirken Jesu anschaubar und kraft seiner Auferstehung bestätigt wurde, so leben wir in unseren menschlichen Beziehungen als Personen, die in den anderen Menschen die Kinder Gottes, seine Töchter und Söhne, sehen, die mit Gottes Geist, seinem Lebenshauch beseelt und beschenkt sind. Dazu treibt mich der Gottesgeist zuerst: den Menschenbruder als Bruder und Mensch anzusehen und zu akzeptieren. Das wird heutzutage immer revolutionärer, so zu denken. Wir leben als Menschen der Hoffnung, die daran glauben, dass die um sich greifenden menschenfeindlichen Tendenzen nicht das letzte Wort behalten, sondern überwunden werden. Und wir glauben – angesichts von Zerstörung und Tod – mit den Worten des alten Nizänischen Glaubensbekenntnisses „an den Heiligen Geist, der... lebendig macht...“

Von den Früchten des GeistesDas von Gottes Geist bewegte Leben äußert sich konkret und nimmt Gestalt an in unseren alltäglichen Beziehungen: Liebe, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue bezeichnet der Apostel Paulus an anderer Stelle als „Früchte des Geistes Gottes“. Ein solches von Gottes Geist durchdrungenes Leben – aus der Gotteskindschaft atmend und den Menschengeschwistern zugewandt. Das ist nicht etwas Abgehobenes, sondern ein achtsamer Weg von innen nach außen, ein Weg, der in der „Freiheit der Kinder Gottes“ seinen Ausgang nimmt, dir und mir in der heiligen Taufe und im heiligen Abendmahl zugesprochen und uns täglich neu geschenkt. Amen.

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