14. Sonntag nach Trinitatis (10. September 2023)

Autorin / Autor:
Rundfunkpfarrerin i. R. Dr. Lucie Panzer, Stuttgart [lucie.panzer@web.de]

Lukas 17, 11-19

IntentionDie Predigt soll erinnern: Eine dankbare Lebenseinstellung hilft, Krisen zu bewältigen. Und sie fragt: Wie findet man zur Dankbarkeit?

Wie übersteht man eine Krise?Wie. Liebe Gemeinde, wie übersteht man eine Krise? Krieg in der Ukraine, Sommerhitze, Waldbrände, Erderwärmung, Energieknappheit, Lehrermangel – ich könnte noch viel mehr aufzählen. In der weiten Welt, in unserem Land: überall Krisen. Die Stimmung ist düster. Und auch privat: Meine Freundin stand neulich vor der Tür, hat geweint und fürchtet um das Aus ihrer Ehe. Wie soll es weitergehen? Wie kann es weitergehen?
Wie übersteht man eine Krise?
Eines scheint mir sicher: Jammern und schimpfen – auch die Regierung, auf die Flüchtlinge, auf die Muslime, auf die bösen Nachbarn, mit denen es nicht auszuhalten ist, auf den Ehemann, der schon immer so war und sich wohl nie ändern wird – jammern und schimpfen wird nicht helfen. „Jammern und Schimpfen sind die nutzlosesten Formen der Kommunikation“, habe ich gerade gelesen. „Durch Jammern und Schimpfen wird meine Stimmung nicht besser, es nervt mein Gegenüber und es ändert nichts an meiner Situation.“
Wie kann man eine Krise überstehen?
Dankbarkeit – sagt Jesus. Dankbarkeit hilft aus der Krise. Ich lese Ihnen mal vor, wie er einem Menschen aus der Krise geholfen hat:
„Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, dass er durch das Gebiet zwischen Samarien und Galiläa zog. Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! Und da er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein.
Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde? Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.“(Lk 17, 11-19)

Sie haben es gehört: Ein Mann hat seine Krise überstanden. Für damalige Verhältnisse war seine Situation eigentlich aussichtslos gewesen. Es gab keine Medizin gegen seine schreckliche Krankheit. Und doch wurde gelegentlich jemand gesund. Deshalb gab es ja diese Regelung, dass man in dem Fall zu den Priestern gehen musste. Die waren damals so eine Art Gesundheitsamt.
Einer also kommt zurück und ist geheilt. Einer von Zehn. Wie kommt das? Auch die anderen sind gesund geworden. Was ist bei ihm anders? Warum meint er, dass er sich bedanken sollte und die anderen nicht? Waren die nicht zufrieden?

Zufriedenheit ist eine Sache der SelbsteinschätzungNun, mit unserer Zufriedenheit ist das so eine Sache. Da gibt es keinen objektiven Befund. Das ist immer eine Sache der Wahrnehmung, eine Sache der Selbsteinschätzung. Kennen Sie das nicht auch: Eigentlich fehlt mir nichts, ich mag meinen Beruf, in meiner Familie ist eigentlich alles ok, das Wetter ist gut – aber an einem Tag bin ich zufrieden, dankbar und glücklich und am nächsten Tag denke ich nur noch an das „eigentlich“: Eigentlich fehlt mir nichts – aber manchmal tun mir die Beine weh. Eine lange Wanderung mit meinen Kindern, das traue ich mir nicht mehr zu. Eigentlich mag ich meinen Beruf – aber oft ist mir alles zu viel. Eigentlich ist in meiner Familie ist alles ok – aber wer weiß, ob das gut geht, was meine Kinder sich vorgenommen haben. Aus heiterem Himmel machen sich die Sorgen breit und ich werde muffig und unausstehlich.

Die Lebenseinstellung ist entscheidendWas macht den Unterschied? Die Lebenseinstellung. Meine Einstellung zum Leben und zu mir selbst. Manche sagen: Das Glas ist halb voll. Wie schön. Andere sagen: Es ist ja schon halb leer – wie schrecklich. Wie soll das weitergehen? Sie kennen das wahrscheinlich.
Wahrscheinlich war das zur Zeit Jesu nicht anders. Der Mann, der gesund geworden ist, könnte sagen: Schön und gut. Aber ich habe die besten Jahre meines Lebens an diese Krankheit verloren. Oder: Wer weiß, was morgen ist. Womöglich kommt die Krankheit schon bald zurück. Und dann wird alles noch schlimmer. So zu denken macht ihn ängstlich und sorgenvoll. Irgendwann traut er sich nicht mehr unter die Leute, weil er Angst hat, dass ihn jemand ansteckt.
So kommt man nicht aus der Krise. So geht die Krise weiter, und alles scheint immer schlimmer.
Der Mann, der zu Jesus zurückgekommen ist, hat es aber anders gemacht! Er hat sich gefreut. Er hat das Gute wahrgenommen, das ihm geschenkt worden ist. Er hat die Chancen gesehen, die jetzt vor ihm lagen. Jetzt konnte er sein Leben wieder in die Hand nehmen. Gott sei Dank. Der Mann ist dankbar für sein Leben. Er ist Gott dankbar. Und Jesus sagt: Das hat dir geholfen. Deine Dankbarkeit. Dass du begriffen hast: Gott hat mir geholfen. Dieser Glaube hat dir geholfen. Jetzt kannst du leben ohne Angst. Jetzt bist du wirklich gesund.

Dankbarkeit hilft aus der KriseDankbarkeit hilft einem aus der Krise. Im Privaten ist das so: Wenn ich mich an die guten Stunden dankbar erinnere, die wir miteinander hatten – dann motiviert mich das, einen Weg aus der Ehekrise zu suchen. Wenn ich nur sagen kann – es war schon immer schwierig und schmerzhaft – warum soll ich mich dann noch bemühen? Und in den großen, den gesellschaftlichen Krisen wahrscheinlich auch: Wenn mir nur die vergangenen Krisen einfallen und die Schwierigkeiten, die Niederlagen und die Zusammenbrüche – dann kann man auch die Gegenwart nur mehr dunkel sehen und die Zukunft erst recht. Eine Krise nach der anderen – die Welt wird immer schlimmer. Dabei: wie viele Krisen haben wir überwunden! Geht es nicht unserer Generation besser als jeder vor uns? Warum sollte es plötzlich nicht mehr weiter gehen, wenn wir uns Mühe geben? Es wird vielleicht anstrengend, mag sein. Aber wir können es schaffen! Sich erinnern und dankbar zurückschauen, das motiviert. Da sieht man: Es ging voran, auch damals, als wir dachten, alles sei aus und vorbei. Es wird auch jetzt weitergehen. Wir werden es schaffen. Gott wird uns beistehen, wie er uns beigestanden hat. So kommt man aus der Krise.
Und wie schafft man das, dass man sich dankbar erinnern kann?
Ich glaube: Das Gedächtnis braucht den Austausch mit den anderen. Sie erweitern das Bild, das ich im Kopf habe, sie lassen mich Dinge sehen, für die ich selbst blind bin oder die ich vergessen hatte. Manchmal kränkt einen das, aber es kann auch sehr wohl tun. Erinnerung braucht immer die anderen. Jemanden, der mir hilft, über den Tellerrand der Ängste und Befürchtungen und über den Tellerrand dessen, was alle sagen, hinauszuschauen. Erinnerung braucht den anderen, der mich immer wieder auch an das Gute erinnert. Ich finde, das können und sollten wir alle tun: Uns gegenseitig daran erinnern, was wir an Gutem erfahren haben und wie gut es uns geht. Damit wir nicht wie gelähmt herumsitzen und jammern und schimpfen.
Und die anderen neun? Die sind doch auch wieder gesund geworden? Ich denke mir: Die wollten wahrscheinlich so schnell wie möglich wieder in ihren Alltag. So lange haben sie ihre Familien, ihr Geschäft, ihren Beruf allein gelassen. Jetzt soll da nichts mehr schiefgehen. Jetzt wollen sie so schnell wie möglich wieder selbst dafür sorgen, dass nichts passiert. Wieder meinen sie: ich muss festhalten, was ich habe. Mich kümmern, dass nichts verloren geht. Wenn ich nicht für mich selber sorge, wer soll es denn dann tun? Dass ein anderer, dass Gott für sie sorgt – anscheinend haben sie das gar nicht bemerkt. Oder sie haben es gleich wieder verdrängt.

Eine Psychotechnik für dunkle TageWie anders dagegen der eine, der zurückkommt. Er dankt bewusst und ausdrücklich dem, der ihm zu einem neuen Leben verholfen hat. Er hat begriffen: Gott hat mir mein Leben geschenkt. Der Mann sieht sich nicht länger als einer, der Schlimmes hinter sich hat. Er ist jetzt einer, dem Gott geholfen hat. Die Erinnerung daran gibt ihm eine neue Identität. Ich verdanke mein Leben Gott. Das macht stark für die Zukunft, denn: Gott kann (und wird) mir auch in Zukunft beistehen und mich stark machen. Dankbarkeit kann viel bewirken. Denn nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind und leben können.
Wie kommt man aus der Krise? Jesus sagt: Der dankbare Glaube hilft. Aber wie gewinnt man den?
Eine Art Psychotechnik für dunkle Tage kannten schon Menschen zur Zeit der Bibel. Die haben sich ganz bewusst vorgenommen, positiv zu denken. „Lobe den Herrn, meine Seele“, sagt da zum Beispiel ein Mensch zu sich selber, „Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Wir haben das vorhin gebetet (Ps 103, 2). Ich kann mir richtig vorstellen, wie da einer seine Seele, die im Trübsinn versinkt und mit dunklen Erfahrungen zu kämpfen hat, anfeuert: Los, auf, erinnere dich. Vergiss nicht, was du alles an Schönem erlebt hast. So vieles fällt mir ein, wenn ich erst anfange nachzudenken. So vieles, was ich an Gutem erlebt habe.
Vergiss nicht! Sagt der Mensch, von dem die Bibel erzählt, wie er seine dunklen Stunden bekämpft. Vergiss nicht! Nein, vergessen habe ich es nicht, was ich an Gutem erlebt habe. Aber jedenfalls auch nicht genug daran gedacht.
Lobe den Herrn, meine Seele! Vergiss nicht, was Gott dir Gutes getan hat: So ändert sich alles. Ich bin eine, der Gott Gutes getan hat. Und wie oft waren es andere Menschen, die mir Gutes getan haben. Sollte ich dann anderen nicht auch Gutes gönnen und Gutes tun?
Amen.

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