15. Sonntag nach Trinitatis (04. September 2016)

Autorin / Autor:
Dekanin Renate Meixner, Weikersheim [Renate.Meixner@elkw.de]

1. Petrus 5, 5-11

Auf der Suche nach dem guten Stand in schweren ZeitenStolz und ein wenig unsicher stehen sie während der Schulentlassfeier auf der Bühne, die Schülerinnen und Schüler der Abschlussklasse. Die Mädchen zeigen sich in schicken Kleidern, die Jungs eher im coolen Look. Ein neuer Lebensabschnitt liegt vor ihnen, der alte wird feierlich abgeschlossen mit Musik und den guten Worten der Schulleiterin und des Klassenlehrers. Immer wieder, fast refrainartig, kommt dabei ein Thema zur Sprache: ‚Scheut euch nicht vor Hindernissen. Man kann an ihnen wachsen. Ihr habt es doch erlebt in den vergangenen Jahren. Ihr wisst doch: wenn man an etwas dranbleibt, wenn man standhält trotz Gegenwind, lohnt sich das.‘ Jede und jeder einzelne wird nochmals gewürdigt: nicht für gute Noten im Abschlusszeugnis, sondern für die Stärke, in schwierigen Situationen Stehvermögen gezeigt zu haben.
‚Ihr wisst doch…‘ das klingt mir auch aus den Worten des 1. Petrusbriefes entgegen. ‚Ihr wisst doch: manchmal ist es schwer, auf dem Weg des Glaubens zu bleiben. Leid bleibt euch nicht erspart, ebenso wenig euren Glaubensgeschwistern auf der ganzen Welt. Aber es lohnt sich, standzuhalten. Derjenige, dessen Namen wir tragen, hat es uns vorgelebt. Er hat in schlimmster Situation durchgehalten und am Ende den Sieg errungen. Sein Sieg ist auch unser Sieg.
Doch wie macht man das? Woher sollen die kleinen christlichen Gemeinden in Kleinasien die Kraft nehmen, die ständigen Schikanen der römischen Herren zu ertragen? Wie sollen sie auf Dauer aushalten, als eine kleine Minderheit immer wieder zum Sündenbock für irgendwelche Missstände gemacht zu werden? Die Gefahr, einzuknicken, ist groß, sehr groß. Der Widersacher, der die Leute vom Glauben abbringen will, läuft umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.

Da muss man sich wappnen – am besten mit Rüstung und SchwertJa, sagt der Briefschreiber, da muss man sich wappnen – am besten mit Demut, am besten alle miteinander. ‚Bindet euch die Demut um‘ (1), empfiehlt er ihnen am Ende seines Briefes eindringlich. Mit der Demut seid ihr gut gerüstet.
Ausgerechnet mit der Demut! – Nein, alles bloß das nicht! Es würde mich nicht wundern, wenn die Empfänger damals den Brief entnervt aus den Händen gelegt und gar nicht mehr zu Ende gelesen hätten. Das Wort Demut hatte damals schon denselben negativen Klang, den es heute auch noch hat. Es klingt nach Selbstaufgabe und Duckmäusertum. – Wer sich eh schon auf der Schattenseite des Lebens sieht, will dieses Wort nicht hören. Wer sich ohnmächtig ausgeliefert fühlt an Menschen und Mächte, will nicht demütig sein – zumindest nicht im Sinne einer Selbstaufgabe: weder die Christen Kleinasiens, die Opfer der Christenverfolgung wurden, noch die jungen Menschen, die ich bei ihrer Schulentlassung kennen gelernt habe.
‚Unsere Schülerinnen und Schüler haben alle schwere Pakete zu tragen‘, sagt mir die Schulleiterin auf dem Weg zum Festsaal. Sie meint damit die schwierigen familiären Verhältnisse, denen sie ausgeliefert sind. Nein, sie wollen sich nicht die Demut umbinden, nicht schwach wirken. Schick sein wollen sie – und cool. Auf die Sonnenseite des Lebens wollen sie kommen.
Und wir? In den letzten Monaten verging kaum eine Woche ohne die Nachricht von einem Selbstmordattentäter, der sich und andere Menschen in den Tod katapultierte. Mit der Ermordung eines Priesters im französischen Rouen ist auf einmal das Thema Christenverfolgung uns erschreckend nah gerückt. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen wissen wir ganz genau, dass wir uns vor diesen radikalen Gewalttätern nicht schützen können. Das löst bei vielen Menschen Ängste aus, aber auch Wut und Ohnmacht oder den Wunsch, mit eiserner Faust durchzugreifen. Aber geraten wir nicht gerade so in die Versuchung, dem Widersacher zu erliegen? In diesen wirren Zeiten, wo der Gottesname von Fanatikern instrumentalisiert und missbraucht wird für Mord und Totschlag dürfen wir uns nicht davon abbringen lassen: der Gottesname ist und bleibt ein Appell, eine Einladung, für Frieden und Versöhnung einzustehen.

Der erstaunliche Fund: die Kraft der Demut“Seid nüchtern und wacht…“ empfiehlt der Briefschreiber. Es geht ihm nicht um den Aufstand oder Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse, sondern um das Widerstehen gegenüber der Macht des Bösen und Zerstörerischen. Und dieses Widerstehen speist sich aus der Demut – aus der Demut gegenüber Gott. Sie hat nichts zu tun mit Duckmäusertum oder Selbstverleugnung, sondern mit der Art und Weise, wie wir mit unseren Sorgen und Ängsten umgehen. „So demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“
Demut ist also die Einsicht, dass alle meine Sorgen, Nöte und Ängste bei Gott wesentlich besser aufgehoben sind als bei mir. Behalte ich sie in meinem Kopf und meinem Herzen, erdrücken und lähmen sie mich. Gelingt es mir, sie betend auf Gott zu werfen und sie dort zu lassen, kann ich aufatmen und schwere Zeiten leichter tragen. Oder mit den Worten Martin Luthers gesprochen: „Wer ein Christ sein will, der lerne doch solches glauben, dass er sein Herz mit seinen Sorgen Gott auf seinen Rücken werfe; denn er hat einen starken Hals und Schultern, dass er es wohl tragen kann.“ (2)
Demut und Sorglosigkeit gehören zusammen, so paradox das klingen mag. Dagegen spricht ein übermäßiges Sorgen und Grübeln für eine gewisse Selbstüberschätzung. Wir haben nun mal nicht alles im Griff, so sehr wir uns darum bemühen. Es unbedingt zu wollen und auch noch zu meinen, es zu können, ist Hochmut.
So schält sich also mehr und mehr aus diesem verstaubten und antiquiert daherkommenden Begriff der Demut eine kostbare Kraft heraus, die hilft, zu widerstehen und durchzuhalten im Glauben. Hoffentlich haben die damaligen Empfänger des Briefes ihn zu Ende gelesen und diese Kraft der Demut im gemeinsamen Gebet verspürt.
Hoffentlich kommen auch die jugendlichen Schulabgänger und -gängerinnen mit dieser Kraft in Berührung, damit sie eine Hilfe haben für die schwierigen Situationen, in die sie hineingestellt sind.
Ich sehe sie nochmal vor mir, wie sie am Ende der Feier auf der Bühne stehen in Reih und Glied – jetzt nicht mehr ganz so stolz, eher verlegen. Sie halten ihr Abschiedsgeschenk in Händen: in der einen Hand einen kleinen Beutel mit Sorgenpüppchen, in der anderen Hand einen Luftballon.
„Damit eure Sorgen einen Ort haben und immer jemand bei euch ist, dem ihr sie erzählen könnt“, so erklärt die Schulleiterin die Sorgenpüppchen. Sie fungieren quasi als die weltliche und die therapeutische Variante zum Gebet. Wenn’s gut geht, sind sie eine Hinführung zum Beten. „All eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Wer sich darin übt, findet Kraft, schwierige Situationen durchzustehen. Wer bei Gott einen Ort hat, wo er seine Sorgen loswird, hat beste Chancen, auch die Leichtigkeit und die Unbeschwertheit des Lebens zu erfahren. Deshalb der Luftballon in der anderen Hand der Jugendlichen. Ein eindrückliches Bild, wie sie alle dastanden mit den Sorgenpüppchen und dem Luftballon – gut gerüstet für den neuen Lebensabschnitt.
Und wir? Wie stehen wir da als Christenmenschen, als Kirche in der Gesellschaft? Stolz? – Verlegen? Ängstlich? - Verunsichert? – Ja, wohl immer wieder. Aber hoffentlich auch: Mit gutem Stand. – Widerstandsfähig gegenüber der Versuchung, ohne Gott zu leben oder seinen Willen zu verdrehen. Mit beweglichem Knie und Kopf, um sich zu beugen vor Gott. – Mit betenden Händen und einem wachen Blick für die Zeichen der Zeit. Leichtfüßig dennoch, weil unsere Sorgen aufgehoben sind. – Diese Haltungen stehen uns gut an. So können wir bestehen auch in schwierigen Zeiten – wohl wissend, dass auch wir gehalten sind. Uns immer wieder darin vergewissernd, dass Gottes Haltung uns gegenüber eindeutig ist: Er, der Gott aller Gnade, wird uns aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen

Anmerkungen:
1: Diese bildhafte Übersetzung von „Haltet fest an der Demut“ habe ich entnommen aus: Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament: Der erste Brief des Petrus, Stuttgart 2015.
2: Dr. Martin Luther’s sämmtliche Werke, Neunter Band, Erlangen 1827, S.72.

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