2. Advent (09. Dezember 2018)

Autorin / Autor:
Dekan Frithjof Schwesig, Blaubeuren [frithjof.schwesig@elkw.de]

Jesaja 35, 3-10

Intention:
Gott macht sich auf den Weg zu den Menschen. Dann kann etwas Neues entstehen. Traurige, Verzweifelte und Müde werden aufgerichtet. Ich möchte erzählen, wie das heute konkret aussehen kann. Und die Predigthörer ermutigen, daran mitzuwirken.

Liebe Gemeinde!
Wenn Gott auf dem Weg ist, bleibt nichts beim Alten. Neues entsteht: Wasser in der Wüste. Ströme im dürren Land. Blumen, die blühen. Und ein Weg, der in die Freiheit führt, „der der heilige Weg heißen wird…und auf dem die Erlösten gehen werden“, das hat der Prophet Jesaja versprochen. Und wir hören es heute, im Advent 2018. Ein Aus-Weg für Menschen in auswegloser Situation. Ein Geh-Weg für Menschen, die allein keinen Schritt mehr gehen können. Ein Heim-Weg für Menschen in der Fremde. Die wankenden Knie werden fest und fit für längere Märsche. Die müden Hände werden stark und packen an. Lahme springen und Stumme singen. Aus einem verzagten Haufen werden Menschen, die frei und fröhlich ausziehen. Gefahr droht ihnen dabei nicht. Denn wilde Tiere gibt es nicht mehr. Seufzen und Schmerzen haben ein Ende. Freude wird sein. Reine, große Freude!

Wenn Gott kommt, entsteht Neues.Gott ist auf dem Weg. Das ist, kurz gesagt, die Botschaft des Propheten. „Seht, schaut hin, da ist euer Gott! Er kommt und wird euch helfen.“ Jesaja, der Prophet, ruft diese Worte Menschen zu, die es schwer haben. Es sind die Männer und Frauen Israels, die diese Worte hören. Sie sitzen in Babylonien, in der Fremde, wohin ihre Vorfahren einst verschleppt wurden. Dennoch ist die Sehnsucht nach der Heimat wach geblieben. Sie wollen wieder heim, nach Israel, nach Jerusalem, nach Zion. Aber rings um sie herum ist Wüste, nichts als Wüste. Wie oft haben sie ihre Hände zum Gebet erhoben: „Komm und hilf uns, Herr!“ Doch nichts ist geschehen. Jetzt sind diese Hände müde geworden. Wie viele schwere Wege haben sie gehen müssen! Jetzt sind ihre Knie wankend geworden. Wie sehr haben sie auf Befreiung gehofft! Jetzt sind ihre Herzen verzagt. Doch nun hören sie diese kühnen Worte des Propheten: „Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt!“ Gott ist auf dem Weg.

Wenn Gott kommt, richtet er auf.Soweit – so wunderbar. Aber dann, liebe Gemeinde, kommt er doch – der Missklang. Und damit das Befremden. „Gott kommt zur Rache. Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen“, sagt der Prophet. Wenn ich das Wort Rache höre, denke ich an Hass, an üble Gefühle und Gedanken, in denen ich mir ausmale, wie es sein könnte, wenn ich dem einen oder der anderen mal so richtig die Meinung sage. Wenn ich Rache höre, denke ich an Blut und Spiralen von Gewalt, aus denen man nicht mehr aussteigen kann und wo es am Ende nur Verlierer gibt. Für den Propheten Jesaja aber hat das Wort Rache einen anderen Klang. Es verbreitet nicht Angst und Schrecken, sondern Freude. Denn Gott ist der, der rächt. Ihm gehört die Rache, und das heißt: Er wird das Recht wieder herstellen. Er wird begangenes Unrecht wieder in Ordnung bringen. Gott weiß: Gerechtigkeit herzustellen und nicht der Logik der Gewalt zu folgen – das schaffen Menschen nicht. Deshalb sagt Gott: Die Rache gehört nicht in die Hand des Menschen, sondern in meine Hand. „Mein ist die Rache“, spricht der Herr. Nicht ihr, sondern ich vergelte. Wie ich das mache? Ich will das Leben derer bewahren, die Unrecht leiden. Ich helfe denen auf, die müde geworden sind in den Kämpfen ihres Lebens, und stärke die, deren Hände zittern und schwach geworden sind. Das, liebe Gemeinde, ist die Rache, für die Gott eintritt: Er richtet auf. Er bereitet einen Weg durch die Wüste.
Wann wird das alles geschehen? Ich vermute, die Menschen damals haben das auch gefragt. Einige werden gesagt haben: „Gott wird euch niemals helfen! Täuscht euch nicht! Jesaja ist ein Träumer!“ Andere werden sich erinnert haben, dass Gott sein Volk schon einmal aus der Gefangenschaft herausgeführt hat, schon einmal durch die Wüste, schon einmal ins Gelobte Land, damals mit Mose. Und daraus schöpfen sie neue Hoffnung: So wie Gott geholfen hat, wird er wieder helfen. Und das bald. Denn Jesaja redet von dieser Zukunft Gottes als stünde sie vor der Tür – zum Greifen nah!

Die adventliche Haltung des Propheten steckt an und setzt in Bewegung.Ich bewundere diese Haltung des Propheten, die sich nicht beirren lässt, die an Gott festhält und an dem, was er mit uns Gutes im Sinn hat. Und ich spüre, wie in dieser Entschiedenheit und Eindeutigkeit Kraft überspringt in mein Leben, ein neuer Schwung, eine frische Zuversicht: „Gott kommt und wird euch helfen!“
So kann ich mich auf den Weg machen zu Menschen, die es schwer haben. Und so war ich bei einem Mann, dessen Ehe vor dem Ende steht. Seine Frau ist mit den drei Kindern ausgezogen. Die beiden haben es nicht mehr miteinander ausgehalten. Müde Hände, wankende Knie. „Was habe ich gebetet!“, hat er zu mir gesagt. „Tagelang. Wochenlang. Kein Türchen hat sich aufgetan. Gibt es noch einen Weg für mich?“
Ich habe mit einer Schülerin gesprochen, die von Mitschülern geschnitten wird, weil sie und ihre Familie sich in der Flüchtlingshilfe engagieren. Der Weg zur Schule kostet sie jeden Morgen Überwindung. Wankende Knie, verzweifeltes Herz. „Ich halte diese Verachtung nicht mehr aus. Die trifft ja auch diejenigen, denen ich helfe. Gibt es in meiner Klasse noch einen Weg für mich?“
Ich habe eine Frau besucht, Mitte 40. Die Ärzte haben sie aufgegeben und nach Hause geschickt. „Wie habe ich gehofft! Aber jetzt sehe ich keinen Silberstreif am Horizont. Ich bin bereit zu gehen. Gibt es einen Heimweg für mich?“
Müde Hände, wankende Knie, ein verzweifeltes Herz. An diese Müden und Verzagten ist das Wort des Propheten gerichtet: „Seht, da ist euer Gott. Schaut doch, was er tut: Er lässt niemanden links liegen, geht an keinem vorbei. Er kommt in deine Angst und Verzweiflung, Einsamkeit und Schuld. Er wird dir Kraft geben und Wege zeigen, auf denen dein Fuß gehen kann. Sei getrost! Fürchte dich nicht!“
Diese Worte geben den Müden frische Kraft und den Verzagten neue Hoffnung. Sie spüren: Ich bin nicht vergessen. Gott ist für mich da. Und das tut mir gut.
Vielleicht, liebe Gemeinde, führt auch Ihr Weg in diesen Adventstagen zu müden, wankenden und verzweifelten Menschen. Ich bin sicher: Die freuen sich über einen Besuch, über ein aufmunterndes Wort und eine helfende Hand. Und über jemanden, der mit ihnen die bohrenden Fragen nach dem Warum aushält. Gott will Menschen trösten und ihnen einen Weg aus der Wüste zeigen. Dazu braucht er unsere Mitarbeit, unsere Hände und Füße. „Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!“ Vor dieser Aufgabe muss niemandem bange sein. Denn wir haben ja sein Wort, das uns herausreißt aus dem, was oft so hoffnungslos daherkommt: „Fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott. Er kommt und wird euch helfen!“ Gott ist auf dem Weg. Amen.

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