2. Advent (10. Dezember 2023)

Autorin / Autor:
Pfarrer Julian Elschenbroich, Salach [ julian.elschenbroich@elkw.de]

Offenbarung 3, 7-13

IntentionKirche in Deutschland lebt und wirkt zunehmend unter den Vorzeichen von schwindenden Mitgliederzahlen und zurückgehendem Interesse in der Öffentlichkeit. Dies spüren auch Verantwortliche in den verschiedensten Bereichen der Ortsgemeinden. Angebote werden nach bezifferbarem Erfolg beurteilt. Die Predigt soll in dieser Situation entlastend wirken – letztendlich bin ich nicht verantwortlich für Erfolg und Misserfolg kirchlichen Wirkens.

Predigttext: Offb 3,7-137 Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, und der zuschließt, und niemand tut auf: 8 Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, die niemand zuschließen kann; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet. 9 Siehe, ich werde einige schicken aus der Versammlung des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern lügen. Siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe. Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen. Ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme! Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Wenn man sich irgendwo engagiert, in der Kirchengemeinde, in der Bürgerinitiative, im Verein – dann kann es gehen wie der jungen Frau, von der ich Ihnen erzählen möchte:
So viel. So viel hatte sie getan. Sich die Füße wund gelaufen. Überall die Einladungen für den Gottesdienst für Kleine eingeworfen. Im Regen sowieso nicht gerade ein Vergnügen. Ach was, es hatte ja in der Woche zuvor schon begonnen: Die Adressen der getauften Kinder der letzten drei Jahre zusammengetragen. Eine Route durch den Ort festgelegt. Das Team organisiert und das Thema geplant. Bastelvorlagen erstellt. Sich aufgemacht.
Die Turmuhr der Kirche schlägt Viertel. Viertel nach Zehn. Um 10 Uhr wäre es losgegangen. Das Team ist da. Sie ist da. Und insgesamt sind als teilnehmende Familien da: Zwei. Ihre Freundin hatte es ihr ja schon zuvor gesagt. „Lass es, das wird nichts: Wenig Leute zur Unterstützung; so etwas gab es vorher noch nicht.“ Sie hatte sich nicht abbringen lassen: Wie hieß es doch im Predigttext vom 2. Advent in der Johannesoffenbarung? „Du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.“ Sicher, der Seher Johannes hatte dies anders gemeint; damals in Kleinasien um das Jahr 100, als er gelebt hatte. Für sie sprachen die Worte in ihrer Situation: Kleine Kraft – und trotzdem! Irgendjemand musste ja dafür sorgen, dass sich hier etwas tut. Ohne Nachwuchs passiert nichts und jetzt hatte sie angepackt.
Und nun das. Dieses Ergebnis. Mit trotzig-entschiedenem Zugriff packt sie die Streichholzpackung und entzündet die Kerze, um zu beginnen. Und innerlich steigt in ihr die Frage auf: Lohnt sich der Aufwand überhaupt?

Lohnt sich der Aufwand?Lohnt sich der Aufwand überhaupt? Ob das die Gemeinde in der Stadt Philadelphia auch so dachte, als sie per Sendschreiben angesprochen wurde? Die erst junge christliche Gruppe befand sich in einer Minderheitensituation. Nur wenige hielten sich in der Stadt in Kleinasien zum christlichen Glauben – der jungen Gemeinde ging es so, wie es immer mehr christlichen Gemeinden auch heute bei uns in Deutschland geht: Nicht alles, was die junge Gemeinde unternahm, schien Erfolg gehabt haben. „Lohnt sich der Aufwand überhaupt?“ – Vermutlich ging es auch der ein oder anderen damals wie der jungen Frau in dem Beispiel von vorhin. Wie auch uns und mir selbst zuweilen.

Christus lobt und entlastetNun fällt aber beim Lesen des Predigttexts auf: Der sprechende Christus diktiert dem Engel der Gemeinde in Philadelphia kein Wort des Tadels. Nur Lob.
Das zeigt, was für Christus wirklich zählt: Auch heute wird die „Stärke“ und der „Erfolg“ des Einsatzes für das Christentum häufig in bezifferbaren Kategorien wie „Gemeindegliederzahl“ oder „Anzahl der Angebote“ gemessen. Man scrollt über die Homepage der Nachbargemeinde – was die alles zu bieten haben! Und wir dagegen? Als wenn wir uns nicht anstrengen würden!
Lassen Sie uns direkt in den Text hineinschauen. Zunächst einmal: „Ich kenne deine Werke.“ Nicht: Ich sehe deine Ergebnisse. Das macht einen großen Unterschied. Christus sieht die Anstrengungen und den Einsatz, – egal, wer dies noch tut. Schon dies ist eine Entlastung und zugleich Würdigung ersten Ranges. Würdigung: Es mag vielleicht nur wenigen Menschen vor Ort auffallen, was ich an Zeit und Eifer wirklich einsetze – ein anderer über mir nimmt es sehr wohl wahr. „Ich kenne deine Werke“ – das spricht Christus auch einem jeden und einer jeden in seinem Namen Engagierten hier und heute zu. Und dies ohne auf den bezifferbaren Erfolg zu sehen. Es zählt das „Dass“, nicht das „Wieviel“. Was für eine Entlastung und doch zugleich auch ganz andere Wertung als es sonst in unserer Welt üblich scheinen mag!
Und damit zum zweiten Stichwort: Entlastung. Ich bin nicht der erste, dem nicht gleich zahlenmäßiger Erfolg beschieden ist. „Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast“ – für die Gemeinde in Philadelphia in ihrer Zeit heißt das konkret: Sie hat an der Botschaft Jesu festgehalten trotz eingedrungener Irrlehren. Sie hat sich nicht abbringen lassen von ihrem rechten Tun und Glauben. Und dies scheint nicht einfach gewesen zu sein. Das „Wort von der Geduld“, da schwingt mit: Ausdauer trotz Widerstand, Durch- und Aushalten trotz Anfechtung. Gegen welche Umstände der Anfechtung halten wir an der Botschaft Jesu und mit unserer Gemeindearbeit fest? Sind es heute vielleicht eher Gleichgültigkeit oder sinkendes Interesse an Angeboten? Vielleicht auch die vielen anderen Angebote im Alltag von Menschen – nicht nur religiöse: Fitnessstudio statt Familiengottesdienst am Sonntagmorgen? Ausdauer und Geduld: Die Worte des Schreibens an die Gemeinde in Philadelphia sprechen auch heute. Das Entlastende bei allem geduldigen Einsatz: Der Schlüssel zum Erfolg meines Tuns liegt nicht in meiner Hand. Er liegt in der Hand eines anderen.
„Das sagt der […], der da hat den Schüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, und der zuschließt und niemand tut auf: Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, die niemand zuschließen kann.“ Ich – nicht du. Die Gemeinde in Philadelphia, die Engagierten in unserer Zeit: Sie wirken in Ausdauer und Geduld einmal in großer Kraft, einmal in kleiner Kraft. Was dabei herauskommt: Das entscheidet ein anderer. Der Schlüssel hierzu ist in der Hand eines Höheren.

Jeder und jede ist wichtigWürdigung und Entlastung – mein Einsatz wird von Christus gesehen und gewürdigt unabhängig von dessen Erfolg. Und trotzdem stellt sich mir die Frage: Ist nicht doch der Erfolgreiche wichtiger für meine Gemeinde, die Kirche? Vielleicht machte sich auch mancher in Philadelphia damals einen solchen Gedanken. Und als hätte er das geahnt, wendet sich Christus an die Gemeinde. „Wer überwindet“, das heißt: Wer trotz aller äußerer und innerer Widerstände von Gegenwind, Frustration, vielleicht auch Belächeltwerden auf Gott vertraut und davon redet und danach handelt: „Den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes.“
Wann waren Sie zuletzt in einer großen Kathedrale wie dem Ulmer Münster? Haben vielleicht unten im Kirchenschiff gestanden? Hinaufgeschaut entlang der gewaltigen Säulen zur Decke? Diese Säulen sind es, die die Kirche tragen. Und jeder, der „überwindet“; jede, die sich für Christus einsetzt, ist eine dieser tragenden Säulen der Kirche. Egal ob mit großer Kraft große Gewölbe tragend oder mit kleiner Kraft vielleicht einen kleineren Bogen im Seitenschiff. Jeder und jede, die an der Kirche bauen, sind tragende Säulen der Kirche – nicht nur religiöses Expertenpersonal wie Pfarrerinnen und Pfarrer. Jeder und jede kann von dem reden, was er oder sie glaubt oder worauf sie vertrauen. Und anderen damit Mut machen, ihr Vertrauen ebenfalls auf Gott zu setzen. Eine urevangelische Erkenntnis.
Und vielleicht darf ich das Bild dann auch im Sinne des Apostels Paulus weiterdenken. Das Fundament dieses Baus ist ein ganz anderer: Jesus Christus selbst. Gemäß der Devise aus dem 1. Korintherbrief: „Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ (1.Kor 3,11). Er ist der umfassende Haus-Meister der Kirche im besten Sinne: Er allein schließt auf und zu, er ist Ziel und Fundament des Baus zugleich. Und damit: nicht ich. Welche eine Entlastung.

Zeichen des GelingensUnd wie ging es mit dem Kindergottesdienst weiter, von dem ich am Anfang erzählt habe? Wie geht es mit meinem Engagement, wo auch immer?
Der Gottesdienst für Kleine ist rum. Das Team ist gegangen. Die beiden Familien auch. Sie rollt den Teppich zusammen. Und: Sie ist nicht unzufrieden. Natürlich waren es nur zwei und eine Menge Aufwand. Natürlich gibt es Luft nach oben. Natürlich hatte sie etwas verletzt den Gottesdienst begonnen. Aber dann war da dieser eine Moment gewesen. Während der Bastelphase. Ein Kind war zu ihr gekommen. Hatte sie angetippt. Und dann gefragt: „Das hast du alles für mich gemacht? Ich wollte dir nur kurz Danke sagen.“ Und sie dachte nur: Ja.
Amen.

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