2. Sonntag nach Trinitatis (25. Juni 2017)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Karl-Adolf Rieker, Herrenberg [ka.rieker@gmx.de]

Matthäus 22, 1-14

Liebe Gemeinde!

Eine Geschichte ohne Happy End.
Ein Ende mit Schrecken.
Ein Hinauswurf, der sich gewaschen hat.
„Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die äußerste Finsternis! Da wird sein Heulen und Zähneklappern.“
Nur weil dieser arme Teufel nicht dem Dresscode eines ziemlich brutalen Königs entspricht, wird er schmählich degradiert.
Vom Gast wird er zum Nobody.
Vom willkommenen und geladenen Mitglied einer königlichen Hochzeit wird er zur Unperson.
Oder man könnte auch sagen: Er wird zur „Persona non grata“, zur Person, die keine Gnade findet.

„Denn viele sind zwar berufen, aber nur wenige sind auserwählt.“
Dieser war es nicht.
Ist das nicht ungerecht?
Und warum wird er hinausgeworfen? Was ist mit dem „hochzeitlichen Gewand“ gemeint, das er nicht anhat, die andern aber offensichtlich haben, obwohl auch sie von der Straße aufgelesene Gäste sind?
Hierzu muss man wissen, dass das festliche Gewand oder das feierlich Kleid für die ersten Christen das Bild für den Glauben war.
Der Mensch, der zum Glauben an Christus gekommen ist, ist ein neuer Mensch geworden, und diesen „neuen Menschen“, so das Bild, diesen neuen Menschen kann man regelrecht anziehen.
„Denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Werken ausgezogen und den neuen angezogen.“ So heißt es im Kolosserbrief (Kol 3,9).
Der neue Mensch, das ist der, der nicht auf sich selbst vertraut, sondern an Gottes Gnade glaubt.
Der neue Mensch ist der, der sich selbst vergisst, der nicht mehr an sich selber denkt, sondern sich mit vielen anderen an Gottes Liebe erfreut.
Der neue Mensch ist der, der fröhlich feiern kann, weil Gott selbst, der König der Welt, ihn eingeladen hat zum Fest des Glaubens.
Und darum, liebe Gemeinde, ist es wichtig, nicht auf den Schluss dieser Geschichte zu schauen, sondern auf ihren Anfang.
Das Ende mit Schrecken steht zwar da und soll am Ende der Predigt auch noch beachtet werden, aber viel wichtiger ist der Anfang, und der ist eine Einladung, eine Einladung zu einem Fest.

Ein großzügiges GeschenkWenn Gott von Jesus als König beschreiben wird, der seine Gäste großzügig bewirten und beschenken will, dann heißt das, dass wir uns auch tatsächlich so, nämlich als Eingeladene, als Beschenkte und als Gäste fühlen dürfen.
Wir dürfen das Geschenk der freien und großzügigen Gnade Gottes annehmen, und zwar ohne etwas dafür geben und bezahlen zu müssen.
Wir dürfen Gottes Gnade und Vergebung empfangen, ohne dass wir etwas dafürkönnen.
So wie wir nichts dafürkönnen, dass wir leben, dass wir Luft zum Atmen, Wasser und Nahrung und die ganze wunderbare Schöpfung haben und von Gott empfangen, genauso können wir auch nichts dafür, dass Gott uns vergibt, dass er uns will und uns einlädt.
Wir brauchen nur zu kommen.

Oft haben wir es ja mit der vorbehaltlosen Annahme von Geschenken schwer.
Ich ertappe mich manchmal dabei, dass wenn ich ein Geschenk bekomme, ich mir sofort überlege, was ich dem, der mich beschenkt hat, wieder für ein „Gegengeschenk“ machen könnte.
Und manche Leute notieren sich, vor allem bei Geldgeschenken etwa zu einer Hochzeit, die genaue Höhe der Summe, um dann ihrerseits, wenn in der Familie des Schenkenden ein gleicher Anlass ansteht, dieselbe Summe wieder zu schenken.
Ich meine, das sind Kalküle und Berechnungen, aber keine echten Geschenke.
Ein echtes Geschenk, das kommt aus vollem Herzen und aus der Fülle und darf auch aus vollem Herzen und in Fülle angenommen werden.

Leider haben wir Christen damit oft unsere Probleme.
Und auch im Blick auf unser kirchlich-christliches Zusammenleben ist das so.
Vor allem bei den Angestellten und Mitarbeitern der Kirche, zu denen ja auch ich gehöre, ist das so. Manchmal erliegen wir dem Irrglauben, wir seien mit unserer Arbeit eingespannt in einen Betrieb, in dem es ständig vorangehen muss und einer den anderen zu treiben hat mit Pfarrplänen, Sparmaßnahmen und Immobilienkonzeptionen.
Und dabei handelt es sich, wenn man die Kirche eben als einen Betrieb versteht, eher um eine knausrige Firma, in der man sich allzu oft am Minimum orientiert, anstatt mit Gottvertrauen aus dem Vollen zu schöpfen.

Nein, Christen sind keine Angestellten Gottes, weder diejenigen, die tatsächlich ihren Lebensunterhalt in der Kirche verdienen, noch diejenigen, die freie oder ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind.
Wir sind in erster Linie Gäste, Gäste Gottes, und der Tisch ist gedeckt, ehe wir kommen.
Es steht zweifellos sehr vieles im Neuen Testament vom Dienen, vom Verzicht und vom Loslassen – gerade darum aber sollten wir das Wort vom Geladensein, so wie es in diesem Gleichnis steht, besonders hören.
Wir sind eingeladen, und alle dürfen kommen.

Das allerdings ist nötig, dass wir kommen, dass wir die Einladung annehmen und uns nicht ablenken lassen, und uns nicht mit anderen Dingen beschäftigen, wenn es Zeit ist, der Einladung zu folgen.

Einladung zum Fest des LebensDie ersten Gäste im Gleichnis haben sich ablenken lassen, sie waren beschäftigt.
Gott lädt zum Fest des Lebens ein – doch der Mensch hat zu tun.
Er ist beschäftigt, er hat keine Zeit.
Ich will jetzt nicht in die altbekannte Klage einstimmen, dass wir alle keine Zeit haben, weil wir sie uns einfach nicht nehmen.
Das ist zweifellos so, lässt sich aber durch das Klagen darüber auch nicht ändern.
Nein, die Frage der Zeit in diesem Gleichnis ist die Frage nach dem Zeitpunkt.
Wann ist der Zeitpunkt gekommen in meinem Leben, an dem ich die Einladung Gottes annehmen kann?

Und vor allem: Gibt es ein zu spät?
Gibt es einen Zeitpunkt, an dem ich, selbst wenn ich wollte, diese Einladung nicht mehr annehmen kann? Nicht mehr richtig annehmen kann, weil ich kein festliches Kleid besitze?
Wieviel Zeit habe ich in meinem Leben noch, um der Einladung Gottes richtig, standesgemäß und vorbereitet zu folgen?
Wieviel Zeit habe ich noch, um das hochzeitliche Gewand, den neuen Menschen, anzuziehen?
Die Bekehrungsprediger haben mit solchen Gedanken immer wieder auf ihre Hörer eingewirkt, bis zum heutigen Tag. „Jawohl!“ sagen sie, „es gibt ein zu spät!“ „Wenn du dein Leben nicht heute noch Gott übergibst und seine Gnade und Vergebung und Einladung annimmst, dann wir es dir ergehen wie dem Mann im Gleichnis, von dem es an Ende heißt: „Werft ihn in die äußerste Finsternis!“

Liebe Gemeinde, ich bin kein Bekehrungsprediger.
Ich bin ein Pfarrer und ein Mensch, der versucht, die Einladung Gottes anzunehmen.
Ich kann durchaus von einem Bekehrungserlebnis in meinem Leben erzählen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das genügt.
Ich meine eher es genügt nicht.
Mit einem solchen einmaligen Bekehrungsakt ist es nicht getan.
Vielmehr ist eigentlich jeden Tag so etwas wie eine Bekehrung nötig. Die Einladung Gottes gilt ein Leben lang, sie ist jeden Morgen neu und sie gilt an jedem Tag.
Dennoch gibt es besondere Tage, die besonderen Zeitpunkte, an denen Gottes Einladung ganz besonders gilt, und das sind die Feste. Das sind die Einkehrorte für unseren Glauben auf dem langen Weg durchs Leben. Die kirchlichen Feste, Weihnachten, Ostern, Pfingsten, und vor allem die Fest-Gottesdienste sind hier wichtig.
Und wenn man so will: Jeder Gottesdienst ist ein Fest Gottes, zu dem wir eingeladen sind, um unseren Alltag festlich und heilsam zu unterbrechen, um einzukehren in sein Wort, und gemeinsam Kraft und Trost daraus zu schöpfen.

Ein Fest kann man nicht alleine feiern. Zu einem Fest gehört die Gemeinschaft.
Im Gottesdienst erfahren wir die Gemeinschaft untereinander im Singen, Beten und Hören auf Gottes Wort. Und wir erfahren auch die Gemeinschaft mit Gott, ebenfalls im Singen, Beten und Hören und in der Feier des Abendmahls.
Die Frage ist nur, ob wir dazu gehören?

Gehören wir zur Festgemeinde?Im Gleichnis gehörte einer nicht dazu.
Er war nicht auserwählt.
Denn: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“

Sind wir es, liebe Gemeinde?
Sind wir bei den Auserwählten oder bei dem Hinausgeworfenen?
Wer sind wir in diesem Gleichnis?
Ich denke, wir sind beides.
Denn in jedem und in jeder von uns steckt beides.
Beides kennen wir an uns selber.

Wir kennen das schöne und erhabene Gefühl des Gottvertrauens. Wenn einem vom Glauben das Herz voll ist. Wenn man gestärkt an Geist und Seele aus einem schönen Gottesdienst geht. Oder wenn man sich nach einem zu Herzen gehenden Abendmahl buchstäblich wie ein neuer Mensch fühlt.

Wir kennen das andere aber auch.
Wir kennen das dumpfe und schwere Gefühl der Niedergeschlagenheit. Wenn der Zweifel an uns nagt, der Zweifel an uns selbst und an Gott und der Welt.
Wenn der sogenannte „alte Adam“ uns plagt und wir Gott, und uns selbst schon gar nicht, gar nichts mehr zutrauen. Wenn uns nicht nach Feiern zu Mute ist und wir jedes Fest mit unserer Anwesenheit nur verderben könnten.

Sehen Sie, liebe Gemeinde, genau das aber will Gott nicht.
Er will, dass wir uns das Fest unseres Lebens nicht selbst verderben.
Deshalb wirft er den alten Adam in uns hinaus.
„Weg mit ihm!“ So befiehlt er.
„Fort mit ihm! Ich lasse mir von diesem Miesmacher mein Fest nicht verderben!“

Gott verteidigt sein Fest. Das will Matthäus uns sagen.
Gott verteidigt sein Fest gegen alles, was seiner Großzügigkeit, seiner Güte, seiner guten und geschenkten Gnade, seiner Gastfreundschaft im Himmelreich entgegensteht.
Weg mit all diesen trögen, nichtfestlichen Dingen.
Weg mit deinem Zweifel, weg mit deiner Angst,
weg mit deinem Geiz, weg mit deiner Schuld.
All das werfe ich hinaus in die Finsternis.
Dort soll es verrotten!
Das will uns Matthäus mit dem Schluss seiner Geschichte sagen, und das sollten wir uns sagen lassen.

Vielmehr aber sollten wir uns vom Anfang des Gleichnisses und von Gott selbst sagen lassen:
„Du bist eingeladen zum Fest des Lebens, ja zum Fest des ewigen Lebens, zum Fest im Himmelreich.“
Der, der diese Einladung ausgesprochen hat, musste es wissen, denn er war und er ist sein Sohn.
Durch ihn ist dir die Tür zum Festsaal geöffnet, und wenn dich einer fragt: „Freund, wie bist du hier hereingekommen?“
Dann sage: „In Jesu Namen“.
Und er wird sagen: „Dann bleibe in Ewigkeit.“
Amen.

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