2. Sonntag nach Trinitatis (29. Juni 2025)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Dr. Gerhard Schäberle-Koenigs, Bad Teinach-Zavelstein [gerhard.schaeberle-koenigs@web.de]

Jesaja 55,1-5

IntentionZur Freiheit hat uns Christus befreit. Die Predigt möchte Christenmenschen Mut machen zur Freiheit. Zur Freiheit von den Zwängen, sich mit Vergänglichem Ansehen, Glück und wahres Leben zu verschaffen.

PredigttextWohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.
Jesaja 55,1-5

Warum gebt ihr Geld aus für das, was nicht satt macht?Liebe Gemeinde, Propheten sind bekannt dafür, dass sie auch mal ungewöhnliche Mittel einsetzen, um ihre Botschaft – Gottes Wort, das sie empfangen haben – den Menschen nahe zu bringen.
Jesaja ahmt hier einen Marktverkäufer nach, der seine Ware unschlagbar günstig anbietet, nämlich umsonst. Ich stelle mir vor, wie sich auf dem Markt schnell eine große Traube von Menschen um ihn bildet. Amüsiert hören sie zu. Sie lachen, sie winken einander, sie klatschen sogar Beifall, wenn ihnen ein Satz besonders gefällt, vielleicht wenn Jesaja sie fragt: „Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?“
Immer wieder auch löst sich jemand aus der Menge, geht kopfschüttelnd weiter zum Bäcker, um richtiges Brot zu kaufen. „Der hat ja gar nichts zu verkaufen“, murmeln sie verärgert vor sich hin. „Der schwätzt bloß.“
Ja, Jesaja schlüpft in die Rolle des Marktschreiers. Er bietet das, was er hat, sensationell günstig an: Umsonst.
Er macht sich lustig über all die, die den Menschen das Blaue von Himmel versprechen und sich dafür teuer bezahlen lassen.
Wir werden ja überschwemmt von Angeboten, die versprechen, unser Leben leichter, bequemer, gesünder, erfolgreicher und sorgenloser machen. Und all das – wie es in der Werbung heißt – für fast nichts.

Nicht alles, was teuer ist, macht auch sattDas Mindeste, was Menschen zum Überleben brauchen, ist Brot und Wasser. Das darf der Prophet seinen Zeitgenossen als kostenlose Gabe Gottes anbieten. Dahinter aber und in ihm enthalten ist noch viel Größeres: das Leben überhaupt. Wie viele Menschen leben tagaus tagein in rastloser Unruhe und können doch nie zufrieden sein. Immer weiter suchen sie das wahre, das glückliche, das vollkommene Leben. Und finden’s nicht. Die einen sind immer auf der Suche nach den stärksten Autos. Und wenn sie’s haben, dann merken sie: Es gibt noch bessere. Manche brauchen immer wieder die neueste, modernste Kücheneinrichtung. Andere müssen reisen, um die halbe Welt fliegen an die entlegensten Orte. Wenn sie in einem Prospekt ein bisher unberührtes Urlaubsparadies entdecken, dann nichts wie hin. Dort angekommen, merken sie, dass Tausend andere schon da sind. Also doch wieder nicht das Paradies. Hunger und Durst nach dem wahren Leben treiben seltsame Blüten – und werden doch nicht gestillt.

Das volle Leben: Umsonst!Was aber preist Jesaja nun an für umsonst?
Das ganze Leben. „Höret, so werdet ihr leben.“ Mehr geht nicht.

Jesaja öffnet mit seiner marktschreierischen Rede den Menschen die Augen. Seht doch, was ihr habt, und seht, was euch geschenkt wurde und immer weiter geschenkt wird. Gott hat euch das Leben geschenkt. Umsonst. Gott hat euch die Sonne geschenkt, ihre Wärme und ihr Licht. Er hat uns wunderbar ausgestattet und kostbare Gaben mitgegeben: Augen und Ohren. Unsere Hände können wir geschickt gebrauchen. Und unseren Verstand auch. Und er hat uns Mitmenschen gegeben, mit denen wir gesellig zusammenleben können. Und dazu auch noch Gefühle, die wir füreinander aufbringen können. Wir können uns mit jemandem freuen. Wir können mit jemandem traurig sein. Wir können Liebe erwidern.
Mit einem gerüttelt vollen Maß an Leben hat Gott uns ausgestattet. Umsonst.
Merkwürdig, wie wir immer wieder meinen, noch bessere, noch raffiniertere Mittel finden zu müssen, damit’s uns gut geht. Was suchen wir eigentlich noch?
Diese Frage ist in unserer Zeit bedrängender als je zuvor. Wenn wir über all das hinaus, was uns geschenkt ist, noch hierhin und dorthin laufen und kaufen, was uns angeboten wird an Glück, an Sorglosigkeit, an wahrem Lebenssinn, dann ist das so, wie wenn jemand ein ihm liebevoll ausgesuchtes Geschenk verschmäht. Es wäre nicht verwunderlich, wenn es das letzte Geschenk gewesen wäre.

Wo es was umsonst gibt, da bekommen auch die Armen was abJesaja will kein Geld für das, was er anzubieten hat.
Er ruft den Leuten zu:
„Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser!
Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst!
Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!“
Unter denen, die ihm zuhören, werden viele sein, die eh kein Geld haben.

Und Gott führt kein exklusives Geschäft. Er bedient nicht nur die oberen Zehntausend. Was es bei ihm gibt, das ist umsonst. Für alle. Nicht als Sonderangebot mit irgendwelchen Fallen im Kleingedruckten. Nicht als Lockvogelangebot, sondern grundsätzlich: „Kommt her und kauft ohne Geld.“ Alle sind gemeint. Auch die, die nichts in der Tasche haben.

Einen bescheidenen Abglanz von diesem Umsonst-Angebot Gottes erleben wir seit etlichen Jahren in den Vesperkirchen. Ja, da kommen Menschen, die sich nicht jeden Tag ein nahrhaftes, wohlschmeckendes Essen leisten können Und sie trauen sich zu kommen, weil sie merken: Hier müssen wir nicht bitten und betteln. Hier taxiert uns keiner abschätzig. Hier sind wir eingeladen.
Auch die Suppenküchen in den großen Städten vor 100 Jahren und früher schon gehören in diesen Zusammenhang. Und ebenso die jahrhundertelange Praxis, dass an den Klosterpforten jeder einen Teller Suppe und eine Scheibe Brot bekommen konnte. Umsonst.

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken.“Jesus hat den Ton, den der Prophet lange vor ihm in seiner marktschreierischen Rede angeschlagen hat, aufgenommen und vielfältig weitergespielt. Im Wochenspruch klingt das an: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken.“ Und besonders eindrücklich hat er es illustriert in seiner Geschichte vom großen Abendmahl, die wir gehört haben. Kommt zum Fest und esst und trinkt – Eintritt frei. So wurde es wohl denen zugerufen, die an den Hecken und Zäunen lebten, in windschiefen Hütten, in den Elendsvierteln.
Wo es etwas umsonst gibt, da bekommen die Armen auch etwas ab.

Gott sieht uns freundlich an – gratisDer Prophet fragt: „Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?“ Was hat er denn anzubieten? Umsonst?
Letztlich geht es ihm nicht nur um Brot und Wasser. Auch nicht um Milch und Wein. Letztlich lenkt er die Sehnsucht seiner Zeitgenossen auf das, was man auf keinem Markt kaufen kann. Es ist Gottes Zuwendung zu einem jeden von uns. Ja, die kostet nichts. Die gibt’s umsonst. Die kann sich jede und jeder leisten. Auch der ärmste Schlucker.
So ähnlich hört sich Gottes Gnade an. In dem lateinischen Wort, das dahintersteckt – gratia – steckt das uns geläufige „gratis“ drin. Kostenlos oder umsonst.

Mag sein, dass das viele Menschen in unserer Zeit nicht interessiert. Denn es ist ja nichts wert, was nichts kostet. Für Menschen jedoch, die weitersehen, ist Gottes Zuwendung so kostbar wie Brot und Wasser für einen, der am Verhungern und am Verdursten ist. Sie ist lebensnotwendig. Und zugleich ist sie ausreichend zum Leben. Lebensnotwendig ist sie, weil jeder Mensch darauf angewiesen ist, angesehen zu werden und beachtet zu werden. Wer gar nicht beachtet wird, wer nie einen liebenswürdigen Blick bekommt, der verkümmert. Kleinkinder, die ganz ohne jede Zuneigung leben sollen, einfach nur gefüttert und gewickelt werden und sonst gar nichts, die können sich nicht entwickeln. Die sterben bald – auch bei bester Ernährung.
Auch erwachsenen Menschen tut es gut, wenn sie freundlich angesehen werden.
Vor kurzem erzählte eine alte Frau, die voll Kummer war, was es mit ihr machte, als sie völlig unerwartet freundlich angesehen wurde:

„Vor ein paar Tagen fuhr ich mit der Straßenbahn von einer Beerdigung nach Hause. Auf halber Strecke stieg eine junge Frau zu und setzte sich mir mit einem freundlichen Hallo gegenüber. Schon das ist bei uns in der Stadt etwas Besonderes.
Sie legte ihre Tasche und ein kleines Tuch neben sich auf den Sitz und begann, in einem Buch zu lesen. Kurz darauf holte sie aus ihrer Tasche einen Brotbeutel und nahm daraus eine Scheibe Brot heraus, schaute mich kurz an und bot mir auch eine Scheibe an. Dankend lehnte ich ab. Sie biss mit großem Appetit in ihr Brot, überlegte kurz und frage mich dann: Haben Sie heute schon etwas zu Mittag gegessen? Nachdem ich verneinte, griff sie nochmals in den Beutel und reichte mir eine Scheibe mit den Worten: Dann nehmen sie wenigstens das. Jetzt nahm ich das Brot an und aß mit Freude die Scheibe Brot in der Straßenbahn.
Hinterher habe ich überlegt“, so erzählte mir die Frau weiter, „was die junge Frau dazu bewogen hat, mir ein Stück abzugeben. Ich sehe weder aus wie vom Fleisch gefallen noch habe ich besonders hungrig geschaut. Jedenfalls habe ich so bewusst und voller Freude schon lange nicht mehr in ein Stück Brot gebissen.
Wenn ich an dieses Ereignis denke, kommt eine tiefe Dankbarkeit in mir auf.“

Gott sieht uns an – gnädig. Und das meint jetzt nicht nur gratis, sondern wohlwollend, mit liebevollen Augen, mit einem „Ja“ im Gesicht. Dieser Blick ist so notwendig zum Leben wie ein Glas Wasser und ein Stück Brot für jemanden, der am Verhungern und Verdursten ist. Amen.

Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)