2. Weihnachtsfeiertag (26. Dezember 2015)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Martina Servatius, Laupheim [Martina.Servatius@elkw.de]

Hebräer 3, 1-3; 3, 4-6

Liebe Schwestern und Brüder!
Ich mag Nischen. So kleine abseitige Räume, in denen du gut sein kannst. So kleine abseitige Zeiten. Unbeachtet. (Aber voller Potential.) Unbelastet von hohen oder gar zu hohen Erwartungen. In der Nische schaust du mal, was sich eher nebenbei so ereignet. Das mag ein Grund sein, warum ich so dankbar bin für den zweiten Weihnachtsfeiertag, diese Nische.
Im Bild gesprochen: Wenn der Heilige Abend bis zur Bescherung den Kindern gehört, so der zweite Feiertag den alten Leuten; die schon manchen Stern haben vom Himmel fallen sehen und manchen Lichterglanz erlöschen. Am zweiten Feiertag müssen wir nicht mehr „Stille Nacht“ singen. Da dürfen es eben auch die Lieder aus der zweiten Reihe sein: „Freuet euch, ihr Christen alle“ oder „Fröhlich soll mein Herze springen“ oder „Wunderbarer Gnadenthron“. Also: Willkommen in der Nische. Schön, dass ihr da seid im Gottesdienst am zweiten Weihnachtsfeiertag.
Was wir heute in der Nische zu hören bekommen, das drängt allerdings in kosmische Weite. Das öffnet den Raum. Das macht die Zeit auf von der Schöpfung bis zur Vollendung. Das sprengt alle Grenzen. Und will so recht unsere Herzen mitnehmen: hinauf und hinaus.

Lesung (oder Wiederholung) Hebräer 1,1-3
Weihnachtliches KontrastprogrammNicht wahr, das ist ein ziemlicher Kontrast zur vertrauten Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium. Malt uns diese den Gottessohn als Wickelkind in einer Krippe vor Augen, so der Hebräerbrief wie einen soeben inthronisierten König. Holt Lukas den Gottessohn herunter in die Niederungen des irdischen Lebens mit Steuerschätzung, Schwangerschaft, Wohnungsnot, Hirten und Schafen, so rückt ihn der Hebräerbriefabschnitt in majestätische Höhe zur Rechten Gottes. Wie ein Gegengewicht. Eine Erinnerung daran, dass die Niedrigkeit Gottes nicht ohne seine Hoheit zu denken ist; dass die Windeln nicht darüber hinweg täuschen dürfen, dass wir es im Menschgewordenen mit dem Herrn der Welt zu tun haben.
Ein weihnachtliches Kontrastprogramm. Wobei der Hebräerbrief natürlich nicht als Weihnachtspredigt geschrieben worden ist. Die Zuordnung unseres Abschnitts zum Christfest verdanken wir der Weisheit der Perikopenordnung. Die verordnet uns – vielleicht gegen allzu viel Süßes – hier eine dogmatische Zusammenfassung des Christusgeschehens auf höchstem sprachlichen Niveau. Die entzieht das Christusgeschehen dem Zugriff aller Verkitschungsversuche.
Selbst die Engel, die im Engels-Kult unserer Tage (gab es das damals auch schon?) längst aus ihrer Gottesbindung losgerissen sind und in alle kommerziellen und ideologischen Richtungen davon geschwebt, selbst die Engel setzt der Hebräerbrief wieder in ihre richtige Ordnung; als Hofstaat um den Thron der göttlichen Majestät. Im Rang deutlich unter dem Sohn. Und wenn schon die Engel hier zurechtgesetzt werden, um wieviel mehr gilt das für alle irdischen Mächte und Gewalten.
Wer immer den Hebräerbrief geschrieben hat, er war ein Meister der Sprache. Man muss die Spannungen auskosten, die sich in diesen Versen auftun. Man muss die Pole bestaunen, zwischen denen sich Gottes rettendes Reden ereignet:
vorzeiten - und jetzt
einst zu den Vätern - und jetzt zu uns
einst durch die Propheten - und jetzt durch den Sohn.

Ein wohlgeordneter Kosmos tut sich auf. Geschaffen, zusammengehalten, getragen durch das Wort Gottes. Gott spricht. Er ist in Kontakt mit den Seinen. Er handelt. Er hält die Ordnung aufrecht. Durch den Sohn, durch den Gottes Herrlichkeit vollgültig in der Welt erschienen ist und der nun vollmächtig zu seiner Rechten in Amt und Würde eingesetzt ist. Der „trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort“. Warum ist das dem Hebräerbrief so wichtig? Warum fährt er alles, was ihm an Sprachkunst zur Verfügung steht, auf, um die Hoheit Jesu Christi zu beschreiben?

Wer hat die Macht?Wir ahnen es: weil es um die Macht geht. Der Hebräerbrief will die Machtverhältnisse zurechtrücken. Im Himmel. Und vor allem auf Erden. Da, wo seine Gemeinde lebt. Wo seine Gemeinde leidet. Die leidet nämlich unter den irdischen Machtverhältnissen. Die ist verunsichert, entmutigt, erschöpft. Der römische Kaiser lässt sich öffentlich als „Herr und Gott“ verehren. Wer da nicht mitmacht, wird als Staatsfeind verdächtigt. Mit allen Konsequenzen. Das trifft die christliche Gemeinde. Wie soll sie sich verhalten? Was sollen die christlichen Männer, Frauen, Familien tun? Sich anpassen und die christliche Identität der Staatsräson opfern? Oder widerstehen und dafür Schmähungen, Bedrängnisse, vielleicht sogar das Martyrium auf sich nehmen? Wie kann man so eine Situation durchstehen?
Auf Christus schauen, sagt der Hebräerbrief. Auf Christus schauen, glauben und geduldig weitergehen. Der Thron der „Majestät in der Höhe“ steht weit über dem des römischen Kaisers. Auf dem Thron in der Höhe sitzt euer Gott, zu seiner Rechten der Sohn, „Abglanz seiner Herrlichkeit“, „Ebenbild seines Wesens“. Die Machtfrage ist geklärt, selbst wenn es auf Erden noch anders aussieht. Der „die Welt gemacht hat“, der „alle Dinge“ trägt „mit seinem kräftigen Wort“, der wird euch stärken für den Weg bis zum Ziel. Der gibt euch nicht aus den Händen. Der wird sich auch zuletzt durchsetzen. „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“ (Hebräer 13,8).
Ob diese Antwort des Hebräerbriefs auch für uns „in diesen letzten Tagen“ des Jahres 2015 hilfreich ist? Ob sich die Ermutigung überträgt?
Während ich dies schreibe, versucht Westeuropa die Terroranschläge in Paris zu verarbeiten. Brüssel liegt als Geisterstadt unter dem Ausnahmezustand. … Die Herren der Welt üben Macht aus mit den alten Mitteln: Waffen, Gewalt, Druck auf Minderheiten. Krieg, Tod und Not folgen auf dem Fuß. Ganze Bevölkerungen fliehen. Das Geld, das der Krieg verschlingt, steht nicht mehr für Nahrungsmittel zur Verfügung. Nicht für Wohnraum und Kleidung.
Kleine christliche Gemeinden in Griechenland arbeiten bis zur Erschöpfung, um ein wenig Barmherzigkeit aufrechtzuerhalten für die Fliehenden. Wie lange können sie noch durchhalten?
Und die Leute bei uns, die ihr Bestes geben, um ein wenig Barmherzigkeit walten zu lassen, oder Gerechtigkeit. Wie lange können wir alle es noch aushalten, dass einfach kein Ende des Unrechts, der Gewalt, des Krieges in Sicht ist? Und was tun wir, wenn auch bei uns Leute versuchen, mit Angst und Terror Politik zu machen? Kann man da sagen:> Auf Christus schauen, glauben und geduldig weitergehen?<
Sag mir eine bessere Antwort. Ich weiß keine.
Ich weiß mit dem Hebräerbrief nur die eine Antwort, die Gott selbst gegeben hat. Die schönste aller Antworten. Die, die zu Herzen geht. Die, die mit der Macht der Liebe sich in diese Welt stellt. Mitten in diese Welt, so wie sie ist. Da steht sie nun und glänzt, diese Antwort: Jesus Christus.
Und er redet zu uns. Und spricht von der Vergebung der Sünden, von der Erlösung von der Angst. Von dem Gott, der die Welt gemacht hat, und „der alle Dinge trägt“. Und wir hören die Herrlichkeit des Vaters aus seinen Worten. Wir sehen sie in seinem Blick, und in dem, was er für seine Menschen tut. Und in unseren besten Momenten glauben wir, sie auch am Kreuz zu sehen. In dem geschundenen Leib. Die Herrlichkeit Gottes. Die sich treu bleibt. Ihrer Andersartigkeit. Ihrer Überlegenheit, die so viel höher ist, als die Macht der Gewalt.
Und wir wollen zu ihm gehören. Zu ihm, der Gottes Glanz in dieser Welt verkörpert. Er möge uns von seinem Thron aus regieren. Er möge uns tragen „mit seinem kräftigen Wort“. Und etwas vom Glanz seiner Gnade möge er unter uns aufscheinen lassen. Hier in unserer Nische am zweiten Weihnachtsfeiertag. An jedem Tag unseres Lebens und in der Stunde unseres Todes. Etwas von seinem Glanz möge er aufscheinen lassen im Blick unserer Augen, im Tun unserer Hände. Im Aufschauen, Glauben und Geduldig-Weitergehen. Im Choral aus dem fünften Teil des Weihnachtsoratoriums heißt es so schön:
„Dein Glanz all Finsternis verzehrt,
die trübe Nacht in Licht verkehrt.
Leit‘ uns auf deinen Wegen,
daß dein Gesicht
und herrlich’s Licht
wir ewig schauen mögen.“
Amen.

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