20. Sonntag nach Trinitatis (02. November 2025)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Christina Jeremias-Hofius, Oberndorf am Neckar [christina.jeremias-hofius@elkw.de]

1. Mose 8,18–22; 9,12–17

Intention
Die Predigt will dazu bewegen, ins Staunen zu kommen über Gottes Verlässlichkeit und sich auszusöhnen mit der vergleichsweisen minderen Qualität des menschlichen Herzens.
Überschrift: Wie Gott sich und damit alles in Ordnung bringt
Thema: Was Güte (ohne Siegel und doch unwiderruflich) ausmacht

Predigttext
Als die Wasser der Sintflut abgeflossen waren auf Erden und Noah sah, dass der Erdboden trocken war, da forderte Gott ihn auf, die Arche zu verlassen:
8,18 So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne, 19 dazu alles wilde Getier, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden kriecht; das ging aus der Arche, ein jedes mit seinesgleichen.
20 Noah aber baute dem Herrn einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. 21 Und der Herr roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. 22 Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
Dann schloss Gott mit Noah, seinen Nachkommen und allen Tieren einen Bund.
9,12 Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier bei euch auf ewig: 13 Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. 14 Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. 15 Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe. 16 Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, dass ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund zwischen Gott und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, das auf Erden ist. 17 Und Gott sagte zu Noah: Das sei das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch auf Erden.

Von der Qualität: Was darf Bestand haben?
Liebe Gemeinde, niemand und nichts, so hat man den Eindruck, kommt ohne Qualitätsmanagement aus. Jeder und alles evaluiert, was das Zeug hält. Kirchengemeinderatsgremien die zu Ende gehende Amtszeit, die Landeskirche mit Oikos den Qualitätsstand aller Gebäude, die Kindergärten ihre Standards. Es lebe QM – das Qualitätsmanagement.
Oikos lehrt uns in den Kirchengemeinden gerade das Fürchten. Werden unsere Gemeindehäuser, Kirchen oder Pfarrhäuser Bestand haben? Oder werden sie evaluiert, gewogen und für unzureichend, für zu leicht befunden? Taugt oder taugt nicht über das Jahr 2040 hinaus? Kann weg oder darf bleiben?
Für zu leicht befunden – im Hebräischen, der Muttersprache unseres Predigttextes, ist „zu leicht befunden“ dasselbe Wort wie „für verflucht bezeichnet“. Was zu leicht befunden wird, wird als verflucht angesehen, entspricht nicht seiner Bestimmung, seinen Vorgaben, seiner Qualität.
„Kracks“ macht es auf dem Tisch, und schon läuft seitlich aus der Tasse der Kaffee auf die blütenweiße Tischdecke. Dieses Mal hat die Tasse dem heißen Wasser nicht mehr standgehalten. Daraufhin wird die Tasse für zu leicht befunden: Sie behält den Inhalt nicht mehr. Sie wird ihrer Bestimmung nicht gerecht. Sie kann weg. Die Tasse. Nicht für die Ewigkeit gemacht.

Von welcher Qualität der Mensch wohl ist
Ebenso wie wir Menschen. Wir sind mit Leib und Seele auch nicht für die Ewigkeit gemacht. „Verlasst euch nicht auf Fürsten, sie sind Menschen, sie können ja nicht helfen. Denn des Menschen Geist muss davon.“ Der Psalmbeter, die Psalmbeterin von Psalm 146 spricht ein großes Wort gelassen aus: Verlasst euch nicht. Unzuverlässig ist der Mensch.
Zusagen werden vergessen.
Abkommen wie das Klimaabkommen werden mir nichts dir nichts aufgekündigt. Abmachungen ad acta gelegt. Aus „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ wird ein „So war das nicht gemeint“. Es ist doch erstaunlich, dass man sich heutzutage Gedanken macht, ob und wie lange ein Friedensabkommen hält.
Unzuverlässig ist der Mensch. Mal mehr, mal weniger. Dieses Wesen, das so nicht für die Ewigkeit gemacht ist. Ein Qualitätssiegel? Ich weiß nicht. Und unser Erzähler hält die mindere Qualität fest: Schlecht ist des Menschen Herz. Von Jugend auf.

Und von welcher Qualität Gott ist
Es ist nur einer gut (Mk 10,18), verlässlich: Gott. Für die Ewigkeit und unerschaffen und ungemacht. So ganz anders als der Mensch.
Doch zu diesem Wesen von begrenzter Qualität sucht Gott in dem Chaos, das er selbst mit der Sintflut angerichtet hat, nun ein neues Verhältnis, versucht sich und die Beziehung wieder auf die Reihe zu bekommen, zu ordnen. Unordnung ist Ausdruck fehlender innerer Ordnung, sagt man. Nicht länger im Reinen mit seiner Entscheidung, Mensch, Tier und alles geschaffen zu haben, hat Gott die Sintflut herbeigeführt.
Und jetzt? Sich wieder ins Lot bringen. Ordnung schaffen. Ordnen. Alles auf Anfang.

Ordnung. Und der Erdboden, die Erde, wird zu Gottes Herzenssache
Alles auf Anfang? Nicht ganz: Da geschieht ein Neuanfang mit Altem. Mit dem geretteten Rest aus der Arche. Daher hat Noah den Auftrag, aus der Arche zu kommen. Also geht Noah, wie geheißen, aus der Arche. Ob es wohl gemüffelt hat auf der Erde, so wie es nach einem Wasserschaden eben müffelt? Noah jedenfalls sorgt für einen anderen Geruch, einen Wohlgeruch. Den Duft von gegrilltem Fleisch. Erinnerungen steigen hoch – Erinnerungen an Gemeinschaft, an früheres Miteinander. Ähnlich wie bei manchem Grillduft Erinnerungen an Familienfeste und Sommerabende weckt. Oder andere bei heißen Mandeln an Weihnachtsmarktbummel in Gelassenheit und Vorfreude denken. Erinnerungen lösen etwas aus. Bei Gott lösen sie ein Selbstgespräch aus. Autokommunikation nennen die Fachleute das. Von Psychologinnen und Psychologen früher als befremdlich bezeichnet, wird das Selbstgespräch inzwischen wieder hochgeschätzt. Wer mit sich selbst redet, bringt Ordnung in seine Gedanken. So tut es auch Gott. Denn in seinem Selbstgespräch entsteht Ordnung, wird wieder Ordnung geschaffen.

Ab sofort gilt zum Ersten: Der schuldlose Erdboden soll in Zukunft geschützt werden. Wenn der Mensch Mist baut, dann soll der Erdboden nicht noch zusätzlich unter Gott leiden. Der Erdboden bekommt Gewicht. Zu leicht befunden, einfach preisgegeben, wird nicht mehr geschehen. Lieber Erdboden, höre es gut. Bei allem, was der Mensch Dir antut, es tut der Mensch. Gott hat damit nichts zu tun.

Und zum Zweiten gilt ab sofort für alle Tage der Erde, gilt in Zeit und Raum: Komplementäres soll bleiben. Saat und Ernte. Frost und Hitze. Sommer und Winter. Tag und Nacht. Nicht genannt werden Wasser und Erde – doch das versteht sich wohl von selbst. Komplementäres soll bleiben. Wo das eine nicht ohne das andere in seiner ganzen Bedeutung zur Wirkung kommt. Gott denkt allerdings das Komplementäre ins Extreme. Statt Kälte und Wärme geht es um Frost und Hitze. Nicht einfach Wachsen und Reifen, sondern Saat und Ernte. Vom Hineinlegen des Samenkorns bis zum Abschneiden. Von A bis Z. Ab jetzt gilt es. Alle Tage. Ab jetzt bis zum Ende, bis zum Z. Was das „Jetzt“ von damals zum A macht. Neuanfang eben – mit Altem. Neuanfang für Gott.
So redet Gott in seinem Herzen und macht die Erde und den Erdboden zu seiner Herzenssache.

Das Ordnen geht weiter. Gott ordnet sich und steht zu seiner Qualität.
Und dann, dann redet Gott mit Noah und den Seinen und nimmt die geretteten Tiere, jede lebendige Seele, mit in den Blick. Die redet er an. Erzählt ihnen, dass er jetzt Nägel mit Köpfen macht. Genauer, einen Nagel, an den er seinen Kriegsbogen hängt und umbaut zu einer Art Ampel, wie die Lärm- oder Luftampeln, wie man sie aus Schulen seit Coronazeiten kennt. Der Bogen zeigt Farbe: Jedes Mal, wenn es so weit kommt, dass Gott seine Qualität, seine Verlässlichkeit vergessen sollte, erinnert der bunte Bogen Gott, erinnert an die Komplementarität: Zum Grollen kommt die Ruhe, zum Finstern das Licht, zum Zorn das Erbarmen, zur aufziehenden Nacht die Morgenröte.
Sollte Gott wieder die Wetterwolken aufziehen lassen und es mitten am Tag dunkel werden lassen; sollte Gott außer sich geraten bis hin zur Entäußerung und der Mensch sich ihm gegenüber von seiner schlechtesten Seite zeigen, dann leuchtet der Bogen. Um Gott zu erinnern! Und oft freuen wir Menschen uns mit.

Doch der Bogen soll Gott erinnern. Es könnte also sein, dass er manchmal leuchtet, ohne dass Menschen ihn wahrnehmen, wahrnehmen können. Wie damals auf Golgatha, als es mitten am Tag finster wird. Drei Stunden lang. Da war es haarscharf. Da standen Gottes Wort und damit Gott selbst auf dem Spiel, Gott in seiner Qualität, seiner Verlässlichkeit, auf ewig. Was, wenn die Komplementarität zur Nacht verloren ginge?
Doch zur Nacht gesellte sich wieder der Tag. Im und mit dem letzten Schrei Jesu. Gott steht zu seinem Wort. Steht zu diesem Bund, damals vor Noah als Zeugen eingesetzt. Steht dazu, dass sein Zorn nicht ohne sein Erbarmen mehr sein soll. Und aus diesem Bund aus Noahs Zeiten erwuchs ein weiterer. Doch das ist eine andere Geschichte.

Worin die menschliche Qualität seit der Sintflut bestehen soll (Hierzu würden die im Predigttext ausgelassenen Verse gut passen.)
Was heißt Gottes Neuanfang für den Menschen von minderer Qualität?
Es entlässt den Menschen in die Freiheit, nur seiner Qualität entsprechend seiner Bestimmung gerecht zu werden. So wie es der Wochenspruch festhält: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: Nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“
Gottes Wort festhalten, seine Zusage an diese Erde und an jede lebendige Seele. Sich an den Richtlinien entlanghangeln. Liebe einüben. Tun und nochmal tun, und wenn sich ein Fehler eingeschlichen hat, dasselbe wieder und wieder üben, bis es stimmt. Und dabei im Kopf behalten: Du bist Mensch. Und Gott ist Gott. Darum: Verlass dich nicht auf Menschen, nicht mal auf dich selbst. Darin liegt deine Qualität, Deine Güte. Amen.


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