5. Sonntag nach Trinitatis (30. Juni 2013)

Autorin / Autor:
Pfarrerin i.R. Monika Schnaitmann, Tübingen [G.Schnaitmann@gmail.com ]

Lukas 14, 25-33

Liebe Gemeinde,
„das Evangelium will die Welt verändern“ – mit diesen Worten wies der Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, auf dem Kirchentag in Hamburg Forderungen von Politkern zurück, die Kirche solle sich nicht in politische Debatten einmischen. Nach der Einschätzung der Veranstalter sind von diesem Kirchentag wichtige gesellschaftliche Impulse ausgegangen. Die Losung „Soviel du brauchst“ hat den Nerv der Zeit getroffen, die Frage nach der Gerechtigkeit in den Mittelpunkt gerückt: die Forderung nach gerechtem Lohn und gerechten Arbeitsbedingungen für alle, die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen – Kinderarbeit, Billigprodukte, Masssentierhaltung – die Integration von Menschen aus anderen Regionen und Kulturen, den Dialog mit den Religionen und Konfessionen unserer einen Welt, die Zehn Gebote im 21. Jahrhundert, die Nachhaltigkeit und die Energiewende, bei der Deutschland Vorbild sein soll.
„Soviel du brauchst“ – es geht auch und vor allem um die Frage nach dem richtigen Maß. Weiß der Mensch, was er braucht und weiß er, was der Andere braucht? Eine Aufstellung dessen, was uns lieb und teuer ist, zeigt der Ausstattungsgrad deutscher Haushalte in Prozenten. Kühlschrank, Kühl- und Gefrierkombinationen stehen mit 99,1% an 1. Stelle, gefolgt von Fernseher, Mobiltelefon und PC. Im Ausstattungskorb eines alleinstehendende Hartz-IV-Empfängers (Gesamtzahlung 382 €) sind 135 € für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke,
32 € für Bekleidung und Schuhe, 1,47 € (!) für Bildung.
Das und vieles mehr wurde in diesen Tagen bedacht. Ich fühlte mich wohl unter Hamburgs Sonne: ein „Wir“-Gefühl, freundliche Menschen, Begeisterung, Aufbruchsstimmung, die Kraft des Heiligen Geistes. Eine große Versammlung Gleichgesinnter: Das Evangelium soll die Welt verändern!

Hass statt Liebe?

Der Jesus, der hier spricht, gefällt mir zunächst nicht. „Es ging aber eine große Menschenmenge zu ihm“ heißt es in Vers 25. Sie alle kommen doch aus einem Grund: Liebe. Jesus hat sie immer wieder erwiesen den Kranken, Armen, Trauernden, Fremden im Land, den mit Schuld Beladenen, denen am Rand der Gesellschaft. Und nun predigt er den Hass. Hass ist keine lebensfördernde Haltung. Ich versuche, dieser Perikope in drei Schritten näher zu kommen.
• In den Versen vor ihr steht „Das große Abendmahl“. Jesus lädt ein mit
den vertrauten Worten: “Kommt, denn es ist alles bereit.“ Aber alle Gäste haben eine Ausrede für ihre Absage. Daraufhin lädt der Gastgeber die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen ein. In den Versen nach ihr stehen die Gleichnisse, vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Groschen und vom verlorenen Sohn. Gottes Liebe hat einen Namen, den Namen Jesus Christus. Das ist der Jesus, dem ich vertraue, dem ich nachfolgen möchte, der mir Vorbild ist. Nachfolgen nicht nur in den Tagen des „Wir-Gefühls“ in Hamburg, sondern schlicht in meinem persönlichen Alltag, in dem ich oft auf mich alleine gestellt bin. Ich möchte dazu meinen bescheidenen Teil beitragen, dass das Evangelium die Welt verändert.
• „ Soviel du brauchst“ – ich lese am 15. Mai 2013 im Schwäbischen
Tagblatt, Tübingen, die Aussagen des Lucas-Preisträgers, des italienischen Philosophen Giorgio Agamben: “Keine Gesellschaft war je so religiös wie diese säkulare: Die Banken haben die Stelle der Kirchen eingenommen, und das Geld ist der neue Gott.“ „Worauf du nun dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott“ – sagt Martin Luther. Stimmt! Aber - warum stellt Jesus Forderungen an unsere Nachfolge, die unerträglich und unerfüllbar sind: „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.“
• Ich frage nach dem Sitz im Leben dieses Predigttextes: Das frühe
Christentum breitete sich aus in einer Welt der vielen Götter mit familiären Traditionen und Zugehörigkeiten, die das Aufwachsen religiös prägten. Und schließlich war es für die zweite oder dritte Generation auch gefährlich, sich zur christlichen Gemeinde zu bekennen. Die Nachfolge war mit harten lebensgeschichtlichen Entscheidungen, Verfolgungen, Einschnitten und Gefahren verbunden.

Die Freiheit des 1. Gebotes: Worin besteht die letzte Bindung meines Lebens?

Ich komme zu dem Schluss, bei Hass und Liebe geht es Lukas nicht um Gefühle, sondern um das ersten Gebot: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Gotten haben neben mir.“ Das vierte Gebot ist damit ebensowenig aufgehoben wie das sechste. Die Freiheit zum ersten Gebot wird uns vor Augen gestellt, nicht eine Geringschätzung der Familie. Es geht um die Frage, worin die letzte Bindung meines Lebens besteht, nach dem Sinn meines Lebens. Hängt der tiefste Sinn meines Lebens an Besitz, Eigentum, Karriere, Beziehungen, Amt, Engagement, am Anerkanntwerden, am Familienglück? Oder verleiht mein Glauben dem allen Sinn, Grund und Tiefe. Das heißt aber auch immer wieder ein Hinterfragen, eine Infragestellung meines Handelns: Ich soll nicht als Christin die eigenen Erfolge rühmen und über den Lebenswandel anderer urteilen. „Gott, hilf, dass wir fromme Sünder bleiben und nicht heilige Lästerer werden“ mahnt Martin Luther. Ich soll nicht als Christin mich auf Jesus berufen, um meine eigenen Interessen zu verteidigen. Ich soll nicht als Christin ängstlich meine verschlossenen vier Wände versuchen zu bewahren, sondern den Aufbruch wagen.

Dem Evangelium vertrauen und gehorchen – und damit die Welt verändern

Ich bin keine Jüngerin Jesu, habe nicht Familie, Heimat und Beruf verlassen, wie jene Zwölf. Aber ich bin Sympathisantin und Anhängerin mit Familie, Haus und Beruf. Jesus fordert nicht Unmögliches von uns, aber er stellt Lebensbedingungen in Frage, von denen wir eben nicht sagen dürfen, sie seien von Gott gewollt. Unser Predigttext verdeutlicht das durch zwei Gleichnisse aus dem Wirtschaftsleben und der Kriegspolitik:
„Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen, -
damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten, und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann's nicht ausführen?
Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit zwanzigtausend?
Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden.“

Der Berliner Flughafen, Stuttgart 21, Elbphilharmonie, der Bundeswehreinsatz in Afghanistan, Rüstungsexporte mit hohem Profit, Drohnen-Projekt – um nur wenige Götter des 21. Jahrhunderts zu nennen. Jesus will weder eine unbedachte Begeisterung für seine Person noch eine ungeprüfte Glaubensgewissheit. Er will keine vom Kirchentag nur Eintagsbegeisterte. Doch – ein leiser Zweifel bleibt in mir: Warum gebraucht Jesus überhaupt das Wort „Hass“?
"Der Kirchentag zeigt, dass es ein enormes Bedürfnis dafür gibt, sich einzumischen und Dinge ändern zu wollen", sagte die Bischöfin der gastgebenden Nordkirche, Kirsten Fehrs. So soll es sein, so muss es sein! Das Evangelium will die Welt verändern!

"Was keiner wagt, das sollt ihr wagen
was keiner sagt, das sagt heraus
was keiner denkt, das wagt zu denken
was keiner anfängt, das führt aus

Wenn keiner ja sagt, sollt ihr’s sagen
wenn keiner nein sagt, sagt doch nein
wenn alle zweifeln, wagt zu glauben
wenn alle mittun, steht allein

Wo alle loben, habt Bedenken
wo alle spotten, spottet nicht
wo alle geizen, wagt zu schenken
wo alles dunkel ist, macht Licht."
(Lothar Zenetti © Strube Verlag GmbH, München)

Amen.

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