Christnacht (24. Dezember 2013)

Autorin / Autor:
Prälatin Gabriele Wulz, Ulm [praelatur.ulm@elk-wue.de]

Kolosser 2, 3-10

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
Und die Liebe Gottes
Und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
Sei mit euch allen.
Amen.

Die Nacht der Versöhnung

Der Heiligabend, liebe Gemeinde, lebt von Gegensätzen und bringt zusammen, was sonst nicht zusammenkommt: das Licht und die Finsternis. Arm und Reich. Klein und Groß.
Was bei uns so heillos auseinanderfällt, findet in dieser Nacht zueinander und steht versöhnt und im Frieden nebeneinander. Das unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten. Und wenn uns dafür die Augen aufgehen, sehen wir: In dieser Nacht leuchtet das Licht. Das „ewig Licht“, das der Welt einen neuen Schein gibt. In dieser Nacht wird Gott Mensch, findet einen Weg zu uns, die wir im Finstern wandeln und nimmt Wohnung unter uns. Und Bethlehem, das Provinznest, wird in dieser Nacht zum Mittelpunkt des Weltgeschehens.
So werden in dieser Nacht Arme reich beschenkt. So finden Verlorene zurück zum Glauben und zur Hoffnung.
Das Kind in der Krippe, in Windeln gewickelt, wird zum Zeichen für alle, die Augen haben zu sehen und Ohren zu hören.
Das Kind, verletzlich und schutzlos, braucht Menschen, die es liebevoll aufnehmen und in einer kalten, unwirtlichen Welt versorgen. In dieser elementaren menschlichen Zuwendung entdecken wir den Frieden, den Gott schaffen will. Seinen Frieden, der höher ist als unsere Vernunft.

Der Text (Kolosser 2, 3-10)

Der Predigttext für die Christnacht, liebe Gemeinde, führt uns zunächst weg vom Kind in der Krippe, um schließlich genau dort wieder anzukommen.
Wir hören aus dem 2. Kapitel des Kolosserbriefs die Verse 3 bis 10:
„In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Ich sage das, damit euch niemand betrüge mit verführerischen Reden. Denn obwohl ich leiblich abwesend bin, so bin ich doch im Geist bei euch und freue mich, wenn ich eure Ordnung und euren festen Glauben an Christus sehe. Wie ihr nun den Herrn Christus Jesus angenommen habt, so lebt auch in ihm und seid in ihm verwurzelt und gegründet und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid, und seid reichlich dankbar. Seht zu, dass euch niemand einfange durch Philosophie und leeren Trug, gegründet auf die Lehre von Menschen und auf die Mächte der Welt und nicht auf Christus. Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und an dieser Fülle habt ihr teil an ihm, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist.“

Die Fülle der Gottheit

Christus ist reich, und er macht uns reich. Denn in Christus, so sagt es der Verfasser des Kolosserbriefs, liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis. In ihm ist die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Und wir haben teil an dieser Fülle und werden reich beschenkt mit Weisheit und der Erkenntnis Gottes.
Denn Christus will nicht für sich allein reich bleiben. Er gibt von seinem Reichtum ab. Er gibt weiter, was er hat. Er gibt uns Anteil an sich.
Das passt zu Weihnachten --- und zu den vielen Geschenken, die wir in dieser Zeit und in dieser Nacht austauschen.
Das große Geschenk Gottes an uns spiegelt sich in den vielen kleinen, wohl gemeinten, passenden und unpassenden Geschenken wider, die wir einander machen und die wir voneinander bekommen. Sie weisen uns darauf hin:
Christus ist reich und er macht uns reich.

Liebe Gemeinde, in dieser Nacht kommt alles zusammen. Auch das, was nichts miteinander zu tun. Auch das, was sich eigentlich ausschließt und überhaupt nicht zusammenpasst.
Im Weihnachtslied heißt es deshalb: „In unser armes Fleisch und Blut verwandelt sich das ewig Gut. Kyrieleis.“
Und dieses großartige Ereignis steht uns heute Nacht vor Augen: die ganze Fülle der Gottheit mitten unter uns! Wir erleben Überschwang und Fülle. In dieser Nacht. Bei allem Überschwang aber bleiben wir dennoch auf dem Boden. Die rauen Hirten sorgen schon dafür, dass wir nicht abheben. Die Tiere an der Krippe erinnern uns daran, dass die Schätze der Weisheit und der Erkenntnis auch der Erde zugutekommen sollen. Der offene Himmel und der Lobgesang der himmlischen Heerscharen sagen Frieden auf Erden an. Und die ganze Fülle der Gottheit liegt in der Krippe, damit wir irdische Menschen endlich, endlich das zerbrechliche irdische Menschenleben bejahen.
Und nicht nur unsere Stärke und unsere Erfolge, sondern eben auch unsere Schwäche und unsere Misserfolge bejahen.
Das, liebe Gemeinde, ist das Geschenk, das uns Gott in dieser Nacht macht.
Die Heilige Nacht ist auch eine sehr menschliche, eine sehr irdische Nacht.
So werden wir beschenkt.
Und wir erkennen in diesem Geschenk: Gottes Dasein lässt sich nicht beweisen. Es lässt sich nur feiern! Oder verfluchen.
Gottes Dasein, in dem er uns zeigt, was Menschsein ist und was es sein könnte, ist Grund für alles Singen und Sagen.
Die gute Mär vom Himmel hoch ist: Gott ist da. Denn „er ist auf Erden kommen arm, dass er unser sich erbarm und in dem Himmel mache reich und seinen lieben Engeln gleich. Kyrieleis.“


Gott ist da

Liebe Gemeinde, Gottes Dasein – mehr ist es nicht, mehr braucht es nicht. Das Allereinfachste, das ganz Elementare, das Dasein, ist ja das Allerhöchste und Allergrößte.
Das Dasein an sich ist ganz einfach. Dass es das Größte und Wichtigste ist, merken wir erst dann, wenn es nicht mehr da ist. Wenn ein Ding oder ein Mensch plötzlich weg ist, dann erst spürt man den Verlust. Wenn der Glaube oder die Liebe oder die Hoffnung abhandenkommen – und an ihrer Stelle nur noch ein gähnendes Loch, eine Leere, ein Nichts ist, dann erst fühlt man den Schmerz.
Und dann wird gesucht. Wir erleben das, wie und wo gesucht wird. Überall. Hier. Und dort. Rat, Trost, Hilfe, Rezepte werden reichlich angepriesen. Oft genug bleiben die Versprechungen hohl und leer. Und im Grunde wissen wir ja auch, dass uns nichts helfen kann, nichts des Lebens Mangel ausfüllen kann, wenn denn fehlt und nicht mehr da ist, was die Leere unseres Lebens füllen könnte.

Aber nun kommt Gott in die Welt. Aus den unendlichen Weiten des Jenseits kommt er in unser Diesseits, in unser Dasein. Er bleibt nicht überm Sternenzelt, sondern wird selbst von einem Stern beschienen. Zwischen Hirten und Schafen, zwischen Ochs und Esel ist er da. Die ganze Fülle der Gottheit. Leibhaftig unter uns. Alle Schätze der Erkenntnis und der Weisheit sind in ihm verborgen.
Was das heißt, sehe ich daran, was geschieht, wenn Menschen zur Krippe kommen. Das Kind entwaffnet. Mit seinem Dasein verändert es uns. Löst die harten und hartgewordenen Gesichter. Sieht ins Herz. Und berührt.
Seine Schutzlosigkeit appelliert an unseren Großmut und an unsere Barmherzigkeit.

So stehen wir an der Krippe, schauen und staunen. Werden erkannt und senken die Hände. Segnen und loben Gott --- und spüren, wie sich unser Herz mit Freude füllt.
Er ist da. Gott sei Dank!
Amen.

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