Drittletzter Sonntag des Kirchenjahrs (10. November 2013)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Dr. Dörte Bester, Aichtal [Doerte.Bester@elkw.de]

Lukas 18, 1-8

Liebe Gemeinde!
"Gott, schaffe mir Recht und führe meine Sache!" (Psalm 43, 1) so beginnt der 43. Psalm. – "Gott, schaffe mir Recht!" So zu beten, leitet uns die Bibel an.
"Schaffe mir Recht gegen meine Widersacher!" Mit diesen Worten wendet sich eine Witwe an einen Richter. Schaffe mir Recht! Recht zu sprechen, Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen – das war und ist bis heute die Aufgabe der Richter.
Doch dieser Richter. Der kümmert sich nicht. „Er wollte lange nicht“ heißt es lapidar. Er tut nicht, was seine Aufgabe ist. Er spricht kein Recht, er verschafft der Witwe nicht ihr Recht. Deshalb wird er als ungerechter Richter bezeichnet. Die Bitte der Witwe stößt auf taube Ohren.
Schaffe mir Recht gegen meine Widersacher! Gegen Verwandte vielleicht, die sich der Verantwortung entziehen, die sie damals als Familie für eine verwitwete Frau hatten. Gegen Nachbarn, die die Grenzen eines Feldes zu ihren Gunsten verschieben und ihren Vorteil aus der Situation ziehen wollen.
Schaffe mir Recht! Der Satz verhallt scheinbar wirkungslos. Der Richter will nicht.
Doch irgendwann ändert er seine Meinung: Wie es dazu kommt, erfahren wir aus seiner Perspektive:
„Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage“ (V.4 und 5).
Der Richter, der sich, wie er selbst noch einmal betont, weder vor Gott noch vor einem Menschen fürchtet, der lässt sich zum Handeln bewegen, weil er die Schläge einer Witwe fürchtet. Die Szene kehrt die tatsächlichen Machtverhältnisse um: Witwen und Waisen gehörten damals zu den Schwächsten der Gesellschaft. Dieser Richter hingegen war mächtig und einflussreich.

Gott: kein ungerechter Richter!

Und ein Zweites: Dieser Richter lässt sich von dieser Witwe zum Handeln bewegen, „weil sie ihm soviel Mühe macht“ (V.5).
Immer wieder wird sie ihn aufgesucht haben. Ihn freundlich bittend zunächst, dann immer drängender angegangen haben. Anfangs nur im Gericht, irgendwann vielleicht auch, wenn sie ihn auf der Straße sah. Hartnäckig bittend und fordernd: Schaffe mir Recht gegen meine Widersacher!
Und bevor er sich das noch länger anhört, bevor er sich weiter bedrängen lässt – da tut er endlich, was sie von ihm fordert: Er verschafft ihr Recht.
"Schaffe mir Recht, Gott und führe meine Sache!" (Psalm 43,1).
So zu beten, leitet uns die Sprache der Bibel an. Jesus ist gewiss: „Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er’s bei ihnen lange hinziehen?“ (V. 7).
Damit keine Verwechslung aufkommt: Gott wird nicht mit dem ungerechten Richter verglichen:
Die Folgerung Jesu ist eine Schlussfolgerung „vom Kleinen zum Großen“: Wenn schon so ein ungerechter Richter, der weder Gott noch die Menschen achtet, der nur sich selbst der Nächste ist, wenn schon dieser ungerechte Kerl einer Witwe, von der er im Grunde nichts zu fürchten hat, zu ihrem Recht verhilft, weil sie ihn beständig darum bittet, ihn mit ihren Bitten bedrängt, um wieviel mehr wird dann Gott, der gerecht ist und die Menschen liebt, ihnen Recht schaffen.
Wenn schon so ein ungerechter Richter sich erweichen lässt – dann doch erst recht der barmherzige Gott!

Mut zum Beten. Zeit zum Beten

Jesus erzählt die Geschichte, um den Menschen, die mit ihm waren, Mut zu machen, allezeit zu beten und nicht nachzulassen.
Betet! So ruft er uns zu. Betet und lasst nicht nach!
Solche Ermutigung braucht es – damals wie heute.
Betet und lasst nicht nach!
Lasst nicht nach!
Manchmal ist das gar keine Absicht, da geht es einfach verloren im Vielerlei eines Tages:
Martin Luther schreibt an Meister Peter, einen Barbier und guten Freund, übers Beten:
„Und man hüte sich mit Fleiß vor diesen falschen, betrügerischen Gedanken, die sagen: Warte ein wenig, in einer Stunde will ich beten; ich muß dies oder jenes zuvor erledigen. Denn mit solchen Gedanken kommt man vom Gebet in die Geschäfte, die einen dann halten und umfangen, so daß aus dem Gebet den ganzen Tag nichts wird“ (Martin Luther, Eine einfältige Weise zu beten, für einen Freund, 1535).
Beten unterbricht den Alltag, unterbricht meine vielerlei Beschäftigungen und öffnet Raum für das Gespräch mit Gott. Am Morgen zum Beginn des Tages oder am Abend, vor dem Essen oder wenn die Kirchenglocken läuten und zum Gebet rufen. Vor einem schwierigen Gespräch oder beim sicheren Nachhausekommen nach der Arbeit: Beten unterbricht den Alltag und öffnet Raum für das Gespräch mit Gott. Betet und lasst nicht nach!

Auch Klage ist Gebet!

Betet und lasst nicht nach! Die Ermutigung braucht es – auch dann, wenn es, wie bei der bittenden Witwe, erst einmal nichts zu helfen und nichts zu nützen scheint.
„Ich rufe bei Tag, doch du antwortest nicht, bei Nacht, doch ich finde keine Ruhe!“ (Psalm 22,3) so klagen Betende schon in den Psalmen.
Da habe ich so gebetet, und dann ist’s doch passiert – oder hat’s doch nichts geholfen: Ist jemand nicht wieder gesund geworden, jemand gestorben vor der Zeit, eine Beziehung nicht mehr ins Lot gekommen. Kaum jemand von uns, der solche Sätze nicht kennt – von anderen und manchmal auch von sich selbst.
„Ich rufe bei Tag, doch du antwortest nicht, bei Nacht, doch ich finde keine Ruhe.“
Jesus hält dieser Erfahrung die Aufforderung und Ermutigung entgegen: Betet und lasst nicht ab! Bestürmt den Himmel und lasst das Gespräch mit Gott nicht abreißen.
Und wenn die Bitten dann scheinbar ungehört verhallen?
Manchmal bleibt nicht mehr als dann die Klage und Frage ins Gebet zu nehmen und vor Gott zu bringen: Warum? Das Gespräch mit Gott nicht abreißen zu lassen, nicht nachzulassen im Suchen und Fragen, im Klagen und Bitten.

Beten verändert mich

Und wer so den Himmel bestürmt, mit Bitten und mit Klagen und Fragen, der kann auch die Erfahrung geschenkt bekommen: Gott antwortet. Und seine Antwort verändert mich, verändert meine Perspektive und manchmal auch meine Bitten.
Dem Gebet um Heilung stellt sich die Bitte um die Linderung von Schmerzen an die Seite.
Der Bitte um noch viele geschenkte Jahre stellt sich die Bitte um erfüllte Zeit zur Seite.
Aus der Bitte um die Erhaltung einer Beziehung trotz Streit und Schwierigkeiten kann nach einem Scheitern die Bitte werden um die Kraft für einen neuen Anfang.
Aus der Bitte für Kinder oder Enkelkinder, sie auf den „rechten“ Weg zu bringen, kann die Bitte werden, dass Gott sie auf ihrem Weg leiten und begleiten möge.
Betet und lasst nicht nach! Bestürmt den Himmel mit euren Bitten und Fragen und vertraut darauf. Gott hört unser Gebet. Und er antwortet. Und seine Antwort hat die Kraft, das Leben zu verändern, mich von der Macht des Todes zu befreien und mir immer wieder einen neuen Anfang zu schenken.
Betet und lasst nicht nach!

Beten verändert die Welt

Euer Gebet, es hat die Kraft, die Welt zu verändern, auch darum, weil es euch, mich und dich zum Handeln führt.
Die Witwe, von der Jesus erzählt. Ich bin sicher – auch sie hat gebetet. Nicht zufällig wohl stimmen die Worte, mit denen sie sich an den Richter wendet und um ihr Recht kämpft, fast wörtlich mit den Worten des 43. Psalms überein. – „Schaffe mir Recht, Gott, und führe meine Sache!“ heißt es da. – „Schaffe mir Recht gegen meine Widersacher“ fordert sie vom Richter.
Wer seine Sache im Gebet vor Gott bringt: „Schaffe mir Recht, Gott“ – der wird Kraft bekommen und Worte finden, um auch hier auf der Welt für das Recht einzutreten und hinzustehen. Das Gebet, es nimmt uns nicht aus dieser Welt heraus – sondern stellt uns mitten in sie hinein.
Betet und lasst nicht nach! Mit einem klaren Blick für die Welt – und einem Vertrauen, das weit über das hinaus reicht, was unsere Augen sehen.
Herr, dein Reich komme, dein Wille geschehe – wie im Himmel so auch auf Erden. Amen.

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