1. Sonntag nach Weihnachten (28. Dezember 2014)

Autorin / Autor:
Dekan Gerhard Wolfermann, Nördlingen

Lukas 2, 25-38

Liebe Schwestern und Brüder!
„Herr nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren“, dieser Satz des Simeon ist uns vertraut aus dem Abendgebet der Kirche. Ein Satz, den ich, wenn einmal meine Zeit gekommen ist, auch so für mich sagen können möchte. Simeon schaut zurück auf ein erfülltes Leben, ein Leben, das sinnvoll war. Nur ein Mensch, der weiß, wozu er gelebt hat und dass sich das gelohnt hat, kann so sprechen. Auch wir wünschen uns, dass am Ende unseres Weges sich die Dinge zusammenfügen, dass die vielen Erfahrungen und Erlebnisse, die oft unverstanden nebeneinanderstehen, ein sinnvolles Ganzes geben.
Hier weist die glückliche Erfahrung des Simeon, über sein persönliches Glück hinaus auf die universale Sinngebung durch Gott. Der Evangelist Lukas erzählt von Personen, deren Geschichte von Gott geführt wird. Und das ist ja unser Glaube, dass individuelles und universales Geschehen in einer uns noch verborgenen Weise von Gott geführt und damit von Sinn erfüllt sind. So ist diese Begegnung kein zufälliges Aufeinandertreffen, sondern von Gott gewollt. Im Zentrum des jüdischen religiösen Lebens, dem Tempel, verkündet Simeon, dass in diesem Kind die Verheißungen erfüllt sind, die ihm zuteil geworden sind; wobei diese nach altkirchlichem Verständnis für die Gesamtheit der alttestamentlichen Verheißungen stehen, die mit Jesus Christus erfüllt sind. Verheißung und Erfüllung werden gleichzeitig in dieser Begegnung des Simeon mit Jesus.
Simeon ruft das Kind, das er in seinen Armen trägt, als Retter und Erlöser der Welt und Israels aus. Maria und Josef können das nur verwundert zur Kenntnis nehmen. Dass Simeon sie segnet, zeigt an, dass die beiden viel Kraft und Gottvertrauen brauchen werden, um das zu verstehen und gehorsam anzunehmen, was Gott mit ihrem Kind und ihnen vorhat.

Gottes Führung erfährt WiderspruchWenn Gott handelt, auch da, wo er zum Heil und Wohl der Menschen redet und handelt, erregt das oft Widerspruch; das haben schon die Propheten erleben müssen. Auch Botschaft und Handeln Jesu werden nicht unwidersprochen bleiben und der Anspruch, den Simeon formuliert, dass er der Messias, der Retter und Erlöser ist, ebenso.

Dass Jesus der Christus ist, „das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben“, wie es in der Barmer Erklärung heißt, dieser Anspruch ist bis heute eine Herausforderung, gerade im Gespräch mit anderen Religionen und Weltanschauungen. Es ist die Überzeugung, dass in der Botschaft Jesu, in seinen Worten und Taten die Liebe und Gnade, die Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit Gottes, in unüberbietbarer Weise aufleuchtet.

Als Glaubender mit dem Widerspruch lebenDieser Botschaft treu zu bleiben, ist eine Herausforderung. Gerade in der Auseinandersetzung mit anderen Überzeugungen setzt sie uns enge Grenzen, die Grenzen der Achtung vor dem Leben und der Wertschätzung gegenüber meinem Nächsten. Das Evangelium stellt uns vor die Herausforderung, nur mit den Mitteln des Wortes, der Vernunft und des guten Vorbilds zu überzeugen. In der 2000-jährigen Geschichte der Kirche wurde das nicht immer durchgehalten. Alles andere aber macht nicht nur die Boten, sondern auch die Botschaft unglaubwürdig. Jeder von uns weiß, wie schwer es ist, auf Macht und Zwang zu verzichten, gerade wenn man von der Wahrheit einer Idee wirklich überzeugt ist. Die zu lieben und für die zu beten, die einem feindlich gesonnen sind, ist wohl eine der schwersten Übungen, die Jesus von seinen Nachfolgern fordert.
Mut zum Widerspruch

Wie Simeon ankündigt, wird Jesus aber auch den Widerspruch der Reichen und Mächtigen provozieren. Seine Botschaft, dass Jede und Jeder für Gott gleich wertvoll ist, dass auch die Sünder gerettet werden sollen, das ist anstößig, weil es der Herrschaft von Menschen über Menschen, den Boden entzieht. Denn da zählt der Mensch mehr als Ordnungen, mehr als Reichtum, Können oder Herkunft. Wo Christen damit ernst machen, sehen auch heute die Reichen und Mächtigen darin eine Gefährdung der weltlichen Ordnungen, die ihre Pfründe absichern und garantieren sollen.

Im Dekanat Nördlingen hat sich die Synode einmütig hinter die Resolution „Ja, wir sind ein Zufluchtsland“ des Diakonischen Werk Bayern gestellt. Schutzsuchende Menschen aus Kriegs- und Hungergebieten, Menschen, die aus Glaubensgründen oder wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt werden, kommen zu uns. Auch in kleinen Orten entstehen Unterkünfte, und es ist nicht immer einfach, aufeinander zuzugehen. Als Christen sehen wir uns gefordert, diesen Menschen Zuflucht zu bieten, eine Willkommenskultur zu schaffen und in ihren Gaben und Fähigkeiten eine Bereicherung zu sehen, ja sie als Hoffnungsträger für eine Gesellschaft von morgen zu begreifen, angesichts einer Gesellschaft, deren Altersaufbau aus den Fugen geraten ist. Wir wollen Partei sein für Notleidende und Schutzsuchende, auch wenn das Widerspruch nach sich zieht.

Die bayernweite Eröffnung der Aktion Brot für die Welt fand bei uns statt. Kirchliche Entwicklungsarbeit kann nicht unpolitisch sein, denn sie kommt unausweichlich in Konflikt mit ungerechten Wirtschafts- und Handelsstrukturen, dem Missbrauch von Macht und Herrschaft. Oft brauchen wir gar nicht so weit weg zu gehen. Unrecht und Ausbeutung ereignen sich auch in unserem Land. Da werden Menschen als scheinselbstständige Subunternehmer am Bau, in der Landwirtschaft oder am Schlachthof beschäftigt, denn dass die sich selbst für einen Hungerlohn ausbeuten, ist ja nicht verboten.

Ermutigung zum aufrechten GangAn Weihnachten haben wir die unbedingte Zuwendung Gottes zu uns, seinen Menschenkindern, gefeiert, das unbedingte Geschenk seines Heils für alle Menschen. Weihnachten lädt uns ein, Jesus nachzufolgen, seinen Weg zu den Menschen mitzugehen, den Weg der Liebe und Menschenfreundlichkeit, den Weg Menschen einzuladen, von verkehrten Wegen auf den Weg des Lebens umzukehren. Er lädt uns ein, Gottes Heil in Wort und Tat zu verkündigen und zu bezeugen.

Damit dies keine gnadenlose Selbstüberforderung wird, brauchen wir den Beistand des Heiligen Geistes, der uns sagt und zeigt, wann und wo wir gefragt sind und auch etwas tun können.
Simeon und Hanna waren zur rechten Zeit am rechten Ort und haben die Worte, Gesten und Taten gefunden, die dran waren, die hilfreich und aufbauend waren. Um diese Geistesgegenwart dürfen wir auch immer wieder beten und bitten. Im Hören auf das Evangelium können wir darauf vertrauen, dass uns ein Licht aufgeht und wir begreifen, wann und wozu uns Gott heute gebrauchen kann, bei seinem Handeln zum Heil der Welt. Es braucht nicht immer Aktionismus, manchmal auch Geduld, auf den Moment zu warten, an dem ich gebraucht werde. Geduld, wie sie auch Simeon und Hanna hatten, die auf die Erfüllung von Gottes Verheißung in ihrem Leben geduldig gewartet haben. Diese Zeit des Wartens, war aber keine leere Zeit, es war eine Zeit, die gefüllt war mit Fasten und Beten, erfüllt, damit aufmerksam und wachsam zu sein, für den Augenblick, in dem Gott einen Platz für sie in seiner Geschichte mit seinen Menschen hatte, einen Platz, an dem sie unverzichtbar und einmalig wichtig waren.
Damit unsere Augen und Ohren offen bleiben für Gottes Handeln, damit unser Herz sich berühren lässt von den Menschen, die Gott unseren Weg kreuzen lässt, tut es gut, die Worte der Verheißung, des Evangeliums, im Herzen zu bewegen und mit unserem Mund mit einzustimmen in den Lobpreis Gottes. Amen.


Verwendete Literatur: Francois Bovon, Das Evangelium nach Lukas III/1, Neukirchen 1989.

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