2. Sonntag nach Epiphanias (19. Januar 2014)

Autorin / Autor:
Pfarrerin i.R. Monika Schnaitmann, Tübingen [G.Schnaitmann@gmail.com ]

Hebräer 12, 12-25

Der Verfasser – die Adressaten

Der Verfasser des Hebräerbriefes? Wir wissen es nicht. Nur so viel: Er war offensichtlich ein sprachlich und theologisch geschulter Mann, der sein Werk in die paulinische Tradition stellen wollte. Schon der Kirchenvater Origines war zu der Einschätzung gelangt: "Wer den Brief geschrieben hat – die Wahrheit weiß Gott allein."
Auch die Adressaten lassen sich nicht näher lokalisieren, wohl aber ihre Situation: Sie lebten und handelten zunächst im Glauben und in der Hoffnung, dass Christus sehr bald wiederkommen würde. Doch inzwischen sind viele Jahre vergangen, sie gehören bereits der zweiten oder dritten urchristlichen Generation an. Voller Hoffnung, voller Zuversicht, mit starkem Glauben waren sie Christen und Christinnen geworden – damals vor 80 oder 90 Jahren. Doch mehr und mehr gebärdet sich nun ihre Umgebung feindlich gegenüber den christlichen Gemeinden – vor allem die römische Staatsmacht. Sie erlebten und erlitten Denunziationen, Verfolgungen, Folterungen. Die Hebräer hatten Seelsorge dringend nötig. Müde waren sie geworden, nicht vom Arbeiten, sondern müde an Gott.

Müde an Gott

„Ich bin müde“, sagen wir ja auch, Ich bin müde zu glauben, zu beten, zu hören, müde an der Welt, in der so wenig heil ist. Klimawandel und Naturkatastrophen. die Banken- und Finanzkrise, weltweite Armut, die Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa, die unterlassene Hilfeleistung Europas.
Aber oft auch müde im privaten Umfeld. Eine eigene Krankheit oder die Nahestehender, die zum Tode führt trotz vieler Gebete. Vielleicht sind Menschen unter uns, die einsam sind, auf die niemand zugeht, obwohl wir doch so viel von Gemeinschaft sprechen. Vielleicht sind Menschen unter uns, die sich ungeliebt fühlen, obwohl wir doch so viel über Liebe reden, die unter Ungerechtigkeit leiden, obwohl wir an einen gerechten Gott glauben Vielleicht sind da Menschen unter uns, die schwer unter der Schuld anderer leiden oder selber nicht verzeihen können, obwohl bei uns so viel von Vergebung die Rede ist. Da kann man müde werden – müde an Gott, glaubensmüde.

Seelsorge

Die Botschaft des Hebräerbriefes an die junge christliche Gemeinde damals und an uns heute heißt: Wer müde ist, hat Anspruch auf Stärkung durch die Gemeinde. Und wer gerade stark ist, der soll nach den Müden schauen. „Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.“
Seht nach dem Anderen, sorgt füreinander – ihr Eltern und Kinder in den Familien, ihr Partner in der Ehe, ihr Konfirmanden in eurer Gruppe, ihr Schüler in eurer Klasse, ihr Arbeitskollegen, ihr Nachbarn, ihr Junge für die Altgewordenen, ihr Altgewordenen für die nächste Generation.
Wir brauchen dabei nicht nur an die Seelsorge in Worten denken. Zwar kann uns niemand das Schwere im Leben abnehmen. Jeder Mensch hat die eigene Last zu tragen. Aber Gott begegnet uns in Menschen. Menschen können uns helfen, mit dem Schweren zu leben und wir können auch anderen helfen. Oft braucht es dazu keine großen Worte. Keine Wunder. Von tausend Engeln spricht unser Predigttext. Engel sind Boten Gottes, das sind wir. Da braucht es keine tausend.
Nur einen, der mit uns schweigt in der Trauer,
nur einen, der mich am Krankenbett besucht,
nur einen, der mich ansieht und seinen Blick nicht abwendet,
nur einen, der meine belasteten Schultern berührt und damit sagt: Du bist nicht allein.
Nur einen, der sagt, ich verstehe, was du erlebt hast und fühle mit dir.
Jede und jeder kann das auf seine und ihre Art.
Jesus war so einfühlsam. Jesus ist so einfühlsam. Er hat den Blick für das, was Menschen nötig haben. Er spürt mitten im Tod das Leben auf und lässt es wachsen. In seiner Nähe kann man atmen. Er selbst hat das Leiden nicht gescheut, sondern es für uns auf sich genommen – und überwunden. Der Nacht des Todes folgte das Licht des Ostermorgens, das auch in unsere Seele und in unsere Müdigkeit hineinscheint.

Ist die Zeit des Esau vorbei?

Das Negativbeispiel in unserem Text ist Esau, der um das berühmte Linsengerichts wegen sein Erstgeburtsrecht verkaufte. Um eines vordergründigen, kleinlichen Vorteils willen, wegen seines Bauches, verrät er den Sinn des Lebens, das, worauf es ankommt.
Was trägt uns? Was verraten wir? Gilt das nicht für unsere ganze Welt, in der wir um des kurzfristigen Wohlstands willen die Zukunft von Generationen nach uns, die Zukunft unserer eigenen Kinder und Kindeskinder aufs Spiel setzen? Wissen wir, dass der konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, den wir alle noch lange nicht ernst genug nehmen, Seelsorge ist für die Welt? Für die müden gebeutelten Völker, für die müde südliche Welthalbkugel, für die müde Schöpfung?
1987 definierte die „Kommission für Umwelt und Entwicklung“ der UNO: „Dauerhafte Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“
Wieviel Chancen wurden seither vertan, wieviel Klimakonferenzen blieben im Unverbindlichen, auch die in Warschau im November 2013, als die Katastrophe und das Leid über die Philippinen kam.

„Net schwätzen, machen“

Alt-Bundespräsident Hort Köhler hat in seiner Rede am 14. Dezember 2013 in Tübingen mehr Engagement, mehr Tempo und mehr Herz für die eine Welt gefordert: „Net schwätzen, machen“, sagte der zunehmend Ungeduldige. Man müsse global denken und lokal handeln, aber auch, für übergeordnete Probleme, lokal denken und global handeln: „Wir brauchen einen neuen Geist der Partnerschaft.“ Dabei setzt Köhler auf die Vereinten Nationen, auf die Politik, aber auch auf jeden Einzelnen, er knüpfte an Hans Küngs „Weltethos“ an.

Ich setze auch auf die Kirchen, auf ihr Wächteramt, ich setze auf Christen und Christinnen, die aufbrechen und beginnen unsere eine Welt mit Ehrfurcht und in Schönheit neu zu gestalten. Ich setze auf die vielen, vielen kleinen Schritte von vielen, vielen Tausend Menschen. „Christliche Existenz“, formulierte Ernst Käsemann, das heißt „unterwegs sein, sich auf die Wanderschaft begeben – das ‚Wandernde Gottesvolk‘“.
Für mich sind die Worte von Hanns-Dieter Hüsch eine Interpretation der Botschaft des Hebräerbriefs, er wendet sich an die Müden und gibt Hoffnung auf die Kraft des neuen Bundes, auf die Kraft zu üben, die Menschen und diese Welt zu lieben.

„Bedenkt, dass jetzt um diese Zeit, der Mond die Stadt erreicht.
Für eine kleine Ewigkeit sein Milchgebiss uns zeigt.
Bedenkt, dass hinter ihm ein Himmel ist,
den man nicht definieren kann.
Vielleicht kommt jetzt um diese Zeit
ein Mensch dort oben an.
Und umgekehrt wird jetzt vielleicht
ein Träumer in die Welt gesetzt.
Und manche Mutter hat erfahren,
dass ihre Kinder nicht die besten waren.
Bedenkt auch, dass ihr Wasser habt und Brot,
dass Unglück auf der Straße droht,
für die, die weder Tisch noch Stühle haben
und mit der Not die Tugend auch begraben.
Bedenkt, dass mancher sich betrinkt,
weil ihm das Leben nicht gelingt,
dass mancher lacht, weil er nicht weinen kann.
Dem einen sieht man's an, dem andern nicht.
Bedenkt, wie schnell man oft ein Urteil spricht.
Und dass gefoltert wird, das sollt ihr auch bedenken.
Gewiss ein heißes Eisen, ich wollte niemand kränken,
doch werden Bajonette jetzt gezählt und wenn eins fehlt,
es könnte einen Menschen retten,
der jetzt um diese Zeit in eurer Mitte sitzt,
von Gleichgesinnten noch geschützt.
Wenn ihr dies alles wollt bedenken,
dann will ich gern den Hut, den ich nicht habe, schwenken.
Die Frage ist, die Frage ist,
sollen wir sie lieben, diese Welt?
Sollen wir sie lieben?
Ich möchte sagen, wir wollen es üben.“

Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und macht sichere Schritte mit euren Füßen. Jagt dem Frieden nach mit jedermann!
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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